Internationales Lizenzrecht läßt Fragen offen

SPA erwartet vom Internet erhebliche Kostenreduktion

14.06.1996

Für den Microsoft-Strategen Pete Higgins bietet das Internet reichlich Möglichkeiten zur Kostenreduktion. Wie der unmittelbar an Bill Gates berichtende Manager in seinem Plenarvortrag ausführte, will Microsoft seinen Platz auf den Händlerregalen reduzieren und künftig vermehrt die Internet-Distribution nutzen. Zu diesem Zweck stellte der Branchenriese auf dem Kongreß sein "Commerce Framework" und die ersten Pläne zum Krypto-API für Windows 95 und NT vor.

Der Gefahr durch ein sogenanntes Internet-Terminal, das zum Beispiel Oracle mit einem preisgünstigen Network Computer (NC) propagiert, glaubt Microsoft mit deutlich sinkenden PC-Kosten begegnen zu können: Higgins zitierte seinen Chef Gates, wonach es schon bald den "Simple Interactive PC" (SIPC) für 500 Dollar geben könnte.

Reduzieren will Microsoft schließlich auch den Software- Lernaufwand, indem man beispielsweise einen Web-Browser in die Windows-Shell integriert. Gelingt dies - und zwar besser als die von Pannen begleitete Demonstration auf dem SPA-Kongreß -, könnte der Konkurrent Netscape das Nachsehen haben.

Intranet-Server bringt das große Geld

Als Gegenspieler von Higgins betrat Todd Rulon-Miller von Netscape die Arena der SPA-Vortragsbühne. Sein Thema war das Intranet. Demnach erzielt Net- scape den Löwenanteil der Gewinne nicht etwa bei den End-Usern, sondern mit rund 80 Prozent des Umsatzes in großen Firmen, die den Browser "Netscape" sowie die Server-Lösung des Unternehmens zum Aufbau ihrer internen Netze einsetzen. Als Beispiel für diesen Ansatz nannte Rulon-Miller Hewlett-Packard mit 1500 Web-Servern. Steht ein solches Netz, so braucht der Support ein neues Programm nur auf einen Web-Server zu speichern, und das gesamte Unternehmen kann sich darüber bedienen. Für Rulon-Miller bedeutet das eine Einsparung von mehreren Millionen Dollar im Bereich des Inhouse-Supports.

Andere Intranet-Befürworter propagierten in Cannes Synergieeffekte auf der Ebene der Netzkopplung: Joe Solari von Cabletron und Vic Langford von Novell diskutierten beispielsweise die Möglichkeit, daß aus den Intranet-Kopplungen mehrerer Firmen so etwas wie ein zweites Internet entstehen könnte. Der Verzicht auf Internet- Service-Provider (ISPs) sollte nach ihren Vorstellungen mit erheblichen Kostensenkungen verbunden sein.

Neben der Plenarsitzung zählte zu den interessantesten Vortragsreihen das "Public and Legal Seminar", auf dem sich Softwareproduzenten mit Themen wie Online-Zensur, Copyright und Kryptografie auseinandersetzten. Besonders die Frage, wie Software international eindeutig geschützt und dann via Internet verteilt werden könnte, beschäftigte die Teilnehmer.

Sehr weit in die Zukunft blickte diesbezüglich Esther Dyson, Chefin des US-Marktforschungsinstituts Edventure Holding. Die Analystin stellte in ihrem Vortrag kurzerhand das gesamte Konzept des geistigen Eigentums in Frage. Laut Dyson muß das Kapital einer Firma im Zeitalter des Internet neu definiert werden, damit die Software ohne Copyright-Probleme übermittelt werden kann. Als Beispiel nannte Dyson die SAP-Aktivitäten in den USA. Deren Erfolg beruhe letztlich nicht auf dem Verkauf von Lizenzen, sondern sei das Resultat der Distribution von R/3-Expertenwissen im Internet - letztlich also einer Form geistigen Kapitals.

Sehr viel pragmatischer näherten sich dagegen zahlreiche Juristen dem Thema Urheberrecht. Um die Defizite der 1984 unterzeichneten Berner Copyright-Konventionen auszugleichen, haben fast alle Länder im Online-Zeitalter eigene Verordnungen entwickelt. Diese nationalen Besonderheiten konnten auch von den zahlreichen "Green Papers" und EU-Direktiven zur europäischen Vereinheitlichung nicht überbrückt werden. Die holländische Juristin Marian Kennedy erklärte, daß nationale Besonderheiten vor der Produktfreigabe in jedem Fall geklärt werden sollten. Eine weltweite Distribution über das Internet mit einer wasserdichten Lizenzierung konnten sich die Juristen nicht vorstellen.

Dies gilt insbesondere für die neue Softwaregeneration. Produkte wie Netscapes "Navigator" oder Microsofts "Explorer", die im zweimonatlichen Rhythmus in neuen Versionen erscheinen, lassen sich nicht mehr über die klassischen Händlerkanäle verteilen. Sie sind auf das Internet angewiesen. Dies gilt erst recht für Newcomer, deren Geschäftspläne inzwischen kaum weiter als 18 Monate reichen dürfen, wenn sie von Investoren ernstgenommen werden wollen: Ihr Lebenzyklus von der Gründung über die Veröffentlichung von einem oder zwei Programmen bis zur Übernahme durch einen großen Konzern läßt den Aufbau einer Distribution nicht mehr zu.