Für die Wirtschaftlichkeit bereits eine entscheidende Größe:

Sozialverträglichkeit setzt Grenzwerte

27.11.1987

MÜNCHEN (CW) - Technik sozialverträglich zu gestalten, ist mittlerweile nicht nur die Forderung von alternativen Denkern. In der Wirtschaftlichkeitsrechnung taucht dieser Faktor bereits als rechenbare Größe auf, wobei die Betrachtung von Grenzwerten eine zunehmend wichtige Rolle spielt.

Sozialverträgliche Technikgestaltung im Schatten der Mikroelektronik sowie neuer Informations- und Kommunikationstechniken ist das Schwerpunktthema des SoTech-Rundbriefs Nr. 5/1987, den das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales herausgibt. Drei der insgesamt zehn SoTech-Beiträge sind hier kurz skizziert.

Den einen erscheint der Begriff "Sozialverträgliche Technikgestaltung" laut SoTech-Editorial als Synonym für Sozialpläne oder "Schmiermittel" in Krisenzeiten, andere betrachten ihn als "Bremsklotz" technischen Fortschritts. Geprägt wurde er von dem Technikphilosophen und Energiewissenschaftler Klaus Michael Meyer-Abich. Dem Begriff werden unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen; er läuft Gefahr zum Modewort abzudriften, "das in kleiner Münze jedem wohlfeil ist".

Statt Erbsen zählen synergistischer denken

"Sozialverträgliche Technikgestaltung ist technik- und fortschrittsfeindlich" lautet die erste These, gegen die Ulrich von Alemann, vom Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung e.V. (Risp), in seinen Überlegungen zu Felde zieht. Nach seiner Definition umfaßt dieser Begriff Gestaltung sowie Fortentwicklung von Technik, fordert jedoch keineswegs zum Ausstieg auf. Allerdings umfasse Technikgestaltung, will sie sozialverträglich sein, eine stärkere Respektierung sozialer und menschlicher Bedürfnisse sowie die Vermeidung von Schäden und die Umgehung von Sackgassen.

In seiner zweiten These tritt Alemann dem Argument der Wirtschaftsfeindlichkeit von Sozialverträglichkeit entgegen: Auch Unternehmensvertreter überwinden zunehmend "enges betriebswirtschaftliches Rechnen zugunsten von ganzheitlichem oder synergistischem Denken". Sozialverträglichkeit wird, so prognostiziert Alemann, im Zuge erweiterter Investitions- und Wirtschaftlichkeitsrechnungen zu einer "durchaus rechenbaren Größe" werden.

Sozialverträglichkeit soll und kann der Staat nicht allein herstellen oder verordnen, da sie immer nur ein gesamtgesellschaftliches Produkt sein kann. So korrigiert Alemann den Vorwurf, Sozialverträglichkeit bedeute staatliche Regulierung. Vielmehr seien Normsetzungen in der Bundesrepublik traditionell eine Selbstverwaltungsaufgabe mit staatlicher Hilfe. Konsumentensicherheit und Umweltverträglichkeit verlangen daher die Mitarbeit von Techniker- und Ingenieurverbänden, angesprochen sind darüber hinaus die Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft, die Tarifparteien sowie die Öffentlichkeit.

Als große Herausforderung im Sinne eines Wandels, bezeichnet Professor Herbert Kubicek von der Universität Trier sozialverträgliche Technikgestaltung. Sie ist, kritisiert er in seinem Beitrag über "sozialverträgliche Technikgestaltung als Prozeß", noch keinesfalls die Regel Hinsichtlich der Informations- und Kommunikationstechniken (IuK-Techniken) sollten bereits im frühen Entwicklungsstadium Anwendungsfelder sowie die Verteilung von Be- und Entlastung abgeschätzt und mit Beurteilungsnormen verglichen werden können.

Die Schwierigkeit der Normsetzung, so illustriert Kubicek an aktuellen Beispielen wie etwa der ISDN-Debatte, besteht jedoch darin, daß Kriterien wie Umweltverträglichkeit, menschengerechte Arbeitsbedingungen, Bürger-Freundlichkeit und Verfassungsverträglichkeit keine eindeutigen Maßstäbe lieferten. Sie seien vielmehr in hohem Maße interpretationsbedürftig und unterlägen darüber hinaus durch neue Erkenntnisse einem fortwährenden Wandel.

Ähnlich den Chemikern, so fordert Kubicek, sollten sich auch IuK-Techniker mit Grenzwerten befassen. Häufig kritisierten sie jedoch Begrenzungsvorschläge als technik- und fortschrittsfeindlich. Dabei seien sie auf Grund ihrer fachlich begrenzten Ausbildung bisher nicht in der Lage, bei der Erarbeitung von Grenzwerten mit Blick auf soziale Normen mitzuwirken.

Im Rahmen des SoTech-Beitrags über "Sozialverträglichkeit im Konflikt unterschiedlicher Akteure und Interessen" skizziert Egon Pöhler grundsätzliche theoretische und methodische Schwierigkeiten bei Sozialverträglichkeits-Konzepten für IuK-Technologien. Erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes, an dem der Sozialwissenschaftler beteiligt ist, zeigen, daß jene theoretische Perspektive bisheriger Risiko- und Akzeptanzforschung, die die gesellschaftlichen Grundlagen der Technik systematisch ausklammert, zu Inkonsistenzen und Widersprüchen führt.

Grundlagen und Folgen der technologischen Evolution entwickeln sich in Wechselwirkung, so eine der zentralen Thesen Pöhlers. Nur eine soziologische Analyse könne die Struktur dieses komplexen Zusammenhangs klären.

Gestaltungsspielraum neuer Techniken

Einige der Momente, die zur Klärung der Gesamtstruktur beitragen, umreißt Pöhler in einem Fragenkatalog. Darin aufgeführt sind unter anderem Akteure unterschiedlicher Interessen, Machteinflüsse, gesellschaftlicher Voraussetzungen zur Entwicklung von IuK-Techniken sowie Kompromißmöglichkeiten.

Der Aspekt der Sozialverträglichkeit muß, so fordert Pöhler, in theoretische, politische und wirtschaftliche Diskussionen über die gesellschaftliche Zukunft miteinbezogen werden. Seiner Ansicht nach bestehen auch angesichts komplexer Ansprüche Chancen für neue Technologien, "soweit es gelingt diese den gesellschaftlichen Forderungen anzupassen".