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Kunden-Feedback

Soziale Netze und Web 2.0 - Chance für die Marktforschung

09.06.2008
Von Manfred Leisenberg
Soziale Netze und Online-Communities sind Fundgruben für Unternehmen, die mehr über sich und ihre Produkte und Dienstleistungen erfahren wollen.

Viele Manager wissen mit Social Networks nichts anzufangen. Dabei ermöglichen sie - charakteristisch für Social Software - offene, meinungsbildende Diskussionen. Diese Gespräche können die Kundenkommunikation auf eine neue Basis stellen, denn, so schreibt C.R. Prahalad, die "Zukunft des Wettbewerbs besteht darin, einzigartige Werte mit dem Kunden gemeinsam zu schaffen".

Ausgefeilte Tools helfen dabei, in sozialen Netzwerken mehr über seine Kunden zu erfahren, so der Autor Prof. Manfred Leisenberg
Ausgefeilte Tools helfen dabei, in sozialen Netzwerken mehr über seine Kunden zu erfahren, so der Autor Prof. Manfred Leisenberg
Foto: Leisenberg

Wenn er recht hat, steht künftig die Markt- und Wettbewerbsanalyse auf der Grundlage sozialer Netze im Mittelpunkt. Unternehmen sollten sich deshalb mit den Möglichkeiten von Social Media Monitoring und Social Network Analysis beschäftigen.

Marktforschung konzentriert sich bekanntlich auf das systematische Gewinnen, Aufbereiten und Interpretieren von Informationen, die für das Marketing-Management relevant sind. Klassische Quellen hierfür sind Befragungen, Beobachtungen und Tests. Web 2.0 und soziale Netze liefern mit hoher empirischer Relevanz genau diese Quelldaten durch

  • Befragung - zum Beispiel Voting auf Portalen wie YiGG oder innerhalb von Netzen wie MySpace,

  • Beobachtung - zum Beispiel Verfolgung thematischer Diskussionen in Foren oder Weblogs und

  • Tests - zum Beispiel User-Tests zur Akzeptanz des Designs von Portalen.

Es gilt, Quelldaten möglichst automatisiert zu erfassen und nach unternehmensspezifischen Gesichtspunkten via Social Media Monitoring oder Social Network Analysis zu untersuchen und auszuwerten.

Wie sieht man mich? - Social Media Monitoring

Als Datenquellen kommen sowohl klassische Unternehmens- und Nachrichtenportale als auch dedizierte On- und Offline- Datenbanken oder die hier im Mittelpunkt stehenden Web-2.0-Inhalte aus sozialen Netzen, Blogs, Foren oder Meinungsportalen in Frage. Besondere technische Anforderungen ergeben sich aus den großen Datenvolumina, die ein maschinelles Vorgehen unausweichlich machen.

Darüber hinaus sind diese Daten, die ja nicht systematisiert vorliegen, nur aufwendig mit Verfahren des Data Mining, der Textanalyse oder der Business Intelligence zu verarbeiten beziehungsweise normalisiert zu speichern. Integrierte Social-Media-Monitoring-Dienste wie Gridmaster oder TNS WebLedge bieten effiziente Verfahren zum dezentralen Selektieren und Erfassen der Quellen. Sie eignen sich ebenso für Vorverarbeitung, Speicherung und Analyse sowie das Präsentieren der Ergebnisse an. Dabei greifen abgestimmte Technologien ineinander: Spezialisierte Agenten holen zunächst dezentral vorverarbeitete Daten bei Bedarf auch aus dem Deep Web. Darauf folgen sowohl semantische als auch syntaktische Textanalysen mit Methoden der Statistik oder der Künstlichen Intelligenz. Häufig werden hierbei verschiedene Sprachen berücksichtigt und es können regelbasiert auch Stimmungen ("gut oder schlecht") festgestellt werden. Dabei ergänzen sich Untersuchungen, die multilinguale Monitoring-Spezialisten per Hand ausführen, und automatisierte technische Verfahren symbiotisch. Die strukturierte Präsentation der Analyseergebnisse via XML, Feed oder Dashboard schließt die Prozesskette ab.

Die folgenden Ziele lassen sich erreichen:

  • Außenwirkung ermitteln: In Erfahrung bringen, wer wie über das Unternehmen und seine Produkte in den Netzen spricht. Beispielsweise lässt sich verfolgen, wie ein neues Produkt in den Markt startet, welche Schwächen entdeckt werden und wie die Erwartungshaltung potenzieller Kunden ist.

  • Word of Mouth Analyse: Welche Mundpropaganda ist zu meinem Produkt, meiner Dienstleistung oder meinem Unternehmen im Umlauf? Automatisiert lässt sich ermitteln, worüber der Kunde in den sozialen Netzen diskutiert, wie er Unternehmen oder Produkte bewertet und wie hoch die Weiterempfehlungs-Wahrscheinlichkeit ist.

  • Meinungsführer kennen lernen: A- Blogger und Meinungsführer in Netzen, Blogs und Foren können festgestellt werden. Das in den sozialen Netzen vorherrschende Missverhältnis zwischen der Anzahl von Content -Produzenten und -Konsumenten lässt sich bei Kenntnis der Meinungsführer durch Incentivierung wirksam für das Marketing nutzen.

  • Issues Management ermöglicht Frühwarnsystem: Unternehmen können Entscheidungsprozesse effektiver durch die rechtzeitige Integration von Stakeholder-Informationen aus den sozialen Netzen gestalten. Die zeitnahe Ermittlung wichtiger Themen der jeweiligen Branche oder deren emotionale Besetzung sind typische Monitoring-Funktionen.

  • Platzierung von Werbung prüfen: Systematisches Testen von Reaktionen in den Netzen ermöglicht eine verbesserte Analyse der Werbewirkung.

  • Trends schnell ermitteln: Mit den Mitteln der künstlichen Intelligenz und der Clusteranalyse lassen sich bekannte Trends im Zeitverlauf verfolgen und sogar bislang unbekannte Trends feststellen.

  • Analyse des Wettbewerbs: Wie ist die Wahrnehmung meiner Produkte im Vergleich zu denen der Wettbewerber? Kundennahes Screening der Marketingaktivitäten des Wettbewerbers in sozialen Netzen und anderen Web-2.0-Anwendungen ist realisierbar.

Social Network Analysis - Kundenbeziehungen sichtbar machen

Das Messen, Darstellen, Simulieren und Bewerten der vielfältigen sozialen Beziehungen im Web-2.0- Umfeld ist Ziel der aus Sozialpsychologie und Graphentheorie hervorgegangenen Social Network Analysis(SNA). Im Sinne der hier besprochenen Markt- und Wettbewerbsanalyse kann sie wichtige Informationen liefern zu:

  • Kooperationsbeziehungen (Wer entwickelt mit wem ein innovatives Produkt?)

  • Kommunikationsbeziehungen (Wer beeinflusst wessen Meinungsbildung oder Kaufentscheidung?)

  • formellen Beziehungen (Wer investiert in welches Unternehmen?) und

  • wirtschaftlichen Beziehungen (Wer ist wessen Geschäftspartner?).

Von Nutzern erzeugte Netzwerkdaten, die zuvor automatisch in Communities oder Foren erfasst und normalisiert in Datenbanken abgelegt wurden, lassen sich durch Werkzeuge wie GroupScope oder Influencer Network Analysis (INA) statistisch analysieren und als Beziehungsgraphen visualisieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die nicht interaktive Erfassung der Mitgliederprofile einiger großer sozialer Netze einschließlich der dazugehörigen Relationsmatrizen allein durch inkrementelle Adresserzeugung und ohne Authentifizierung möglich ist.

Die SNA- Werkzeuge fassen die Analyseergebnisse häufig übersichtlich zusammen, indem sie Fragen beantworten, wie:

  • Wer kennt wen?

  • Wer sind Opinion Leader, Influencer oder Lead User?

  • Wer wurde am häufigsten von anderen angesprochen?

  • Welche Diskussionsstränge waren für die Entwicklung eines "Themas" maßgeblich?

Customer Created Content findet sich nicht nur in sozialen Netzen, sondern zum Beispiel auch in Weblogs, Foto- oder Videoportalen, die sich daher ebenfalls zur effizienten Informationsgewinnung für die Markt- und Wettbewerbsanalyse eignen. Corporate Blogs etwa lassen sich gut einsetzen, um Produkte oder Dienstleistungen noch vor ihrer Markteinführung zu prüfen oder um Kundenmeinungen zu ermitteln. Für einfache automatisierte Auswertungen oder Blog-Monitoring stehen spezialisierte Echtzeitsuchmaschinen wie Technorati oder Rivva zur Verfügung.

Auch Videoportale wie Youtube bieten vielfältige Möglichkeiten: Infotainment kann gezielt platziert werden und bei der Zielgruppe Kommentare und Nutzerreaktionen provozieren, die von Analysewerkzeugen, wie Tubemogul, automatisch verfolgt werden können. Zudem stellen Nutzer häufig kritische Filmbeiträge ein, die darauf hinweisen, wie die jeweilige Community ein Produkt einschätzt oder welche Produkteigenschaften erwartet werden. So können Kundenwünsche und -anregungen zielgruppengenau ermittelt werden. Die effektive Einbindung des Kunden in Produktentwicklung und Marketing wird dadurch möglich.

Ähnliche Möglichkeiten bieten Foto-Communities, wenn Kunden dort ihre Erfahrungen mit Produkten bildlich dokumentieren. Flickr bietet zudem den zusätzlichen Vorteil, moderierte Diskussionsgruppen zu eröffnen, die für die Marktforschung und den weiteren Innovationsprozess verwertbare Daten erzeugen können.

Kommt es darauf an, einzelne Marksegmente zu untersuchen, lassen sich spezialisierte Netzwerke nutzen: So können zum Beispiel über das Musikportal Last.fm Interessenprofile sowie genre- und lifestylespezifische Hitlisten ermittelt werden, deren Kenntnis nicht nur für die Vermarktung von Musik Bedeutung hat.

Marktforschung 2.0: Chancen und Risiken

Immer mehr Unternehmen nutzen bereits soziale Netzwerke und andere Web-2.0- Anwendungen als Verkaufs- und Marktforschungsinstrumente. Beispielsweise versucht die Bielefelder Synaxon AG wertvolle Marktinformationen und Produktanregungen zu erhalten, indem sie auf Ihrem Portal snippr.de Fragen der digitalen Welt mit potenziellen Kunden diskutiert. Das Social Network hinter snippr.de ermöglicht es, Expertenwissen zu lokalisieren und monetarisieren, und ganz nebenbei erhält Synaxon wertvolle Informationen über Kundenwünsche und -anforderungen.

Aus dieser Entwicklung ergeben sich vielfältige Chancen, mit dem Verbraucher direkt ins Gespräch zu kommen. Es kommt für Marktforscher darauf an, diese Möglichkeit, authentische Informationen kostengünstig und direkt zu beschaffen, effizient auszunutzen. Nach deren Analyse können Rückschlüsse auf den Produkterfolg, das Außenbild des Unternehmens und die Positionierung der Wettbewerber gezogen werden. Dabei ist es wichtig, die Datenqualität kritisch zu bewerten und Quellen auf empirische Relevanz zu prüfen, um aussagefähige Ergebnisse zu erhalten. Selbstverständlich müssen alle ethischen und juristischen Anforderungen an den Schutz der individuellen Nutzerdaten erfüllt werden.

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Fazit

Marktforschung 2.0 beinhaltet eine zukunftsträchtige Toolbox, die für Unternehmen insbesondere in Bereichen authentischer Informationsgewinnung Chancen birgt. Die Möglichkeiten optimal zu nutzen erfordert eine auf die jeweilige Zielstellung anpasste, strukturierte Vorgehensweise:

  • Relevante Datenquellen, wie Communities, Foren, Weblogs, digitale Dokumente etc. im Internet ausfindig machen und agentengestützt dezentral vorverarbeiten,

  • diese Quellen sowohl im Zeitverlauf als auch bezüglich der Nutzerbeziehungen systematisch lokal nach Normalisierung analysieren und

  • aufbereitete Ergebnisse komprimiert, z.B. als Beziehungsgraph, präsentieren und Marketing-Daten ableiten.