Problem 2000/Wirtschaftsprüfer machen auf ein Problem der Unternehmen aufmerksam

Sorge um Shareholder-Value sollte Aktionäre auf die Barrikaden treiben

31.10.1997

In der Hochfinanz schrillen die Alarmglocken. Zwar hängt der Himmel voller Aktien, doch der Run auf Investments und Fonds darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß im feinen Nadelstreifenmilieu die Angst vor dem Super-Gau umgeht. Sie denken an die Jahreszahlen- und Euro-Umstellung.

Die Bedenkenträger sind Börsenspezialisten. Doch kürzlich haben Deutsche Telekom, Pro Sieben und die Lufthansa das Volk in Scharen an die Börsen gelockt. Im Gegensatz zu den Profis können diese tausende Kleinanleger keine Geschäftsberichte lesen. Sie haben von den Vorgängen in den Konzernzentralen keinen blassen Schimmer.

Was passiert, wenn ein börsennotiertes Unternehmen die Karre an die Wand fährt, weil es sein Jahr-2000-Problem nicht rechtzeitig löst? Wer schützt den Anleger vor derlei Unbill? Während in den USA die Geschäftsberichte alle Informationen enthalten, die für das Wohl eines Unternehmens von Bedeutung sind, beschränkt sich die Überprüfung deutscher Börseninteressenten eigentlich auf deren Umsatz- und Gewinnquotienten. Von einer anlegerorientierten Informationspolitik nach internationalen Standards ist man hierzulande, so Novartis-Chef Daniel Vasella, weit entfernt.

Der riesige Vertrauensvorschuß der Aktie sollte zu denken geben. Und allmählich regen sich die Geister in der Hochfinanz. Angetrieben von der Initiative der europäischen Notenbankchefs, die sich auf ihrem Baseler Treffen Anfang September zu einem dramatischen Appell an alle Finanzinstitute durchrangen, rauscht nunmehr ein frischer Wind durch die edlen Glaspaläste der Republik.

Im Wissen, daß es für eine grundsätzliche Problemlösung eigentlich schon zu spät ist, mahnen die Oberbanker in ihrer Mitteilung "Vorbereitung auf das Jahr 2000" zumindest eine angemessene Notfallplanung an, um auf Betriebsunterbrechungen bei Geschäftsabschlüssen und Zahlungen vorbereitet zu sein. Hierzu hat der Baseler Ausschuß für Finanzaufsicht einen technischen Bericht verfaßt, der Strategien formuliert und den Banken bei der Förderung des Problembewußtseins und der Durchsetzung von Maßnahmen zur Seite stehen soll.

"Für die Banken ist das Millenium ein großer Kostenfaktor", sagt Markus Strigl, Analyst von Trinkaus Capital Management (TCM) in Düsseldorf. Dies erkenne man bei genauerem Hinsehen schon heute in den Bilanzen, wo sich der Aufwand für das Jahr 2000 vor allem in Rückstellungen niederschlage. Die Aufgabe der Wirtschaftsprüfer hierzulande sei es jedoch nicht, so der Marktbeobachter, "in die Zukunft zu blicken", sondern das Testat zum Schutz der Gläubiger auszustellen. Die penible Überprüfung von Bilanzposten diene eher dem sogenannten Vorsichtsprinzip, während sich amerikanische Wirtschaftsprüfer vor allem an Prioritäten aus Anlegersicht orientierten. Weil verbindliche Richtlinien fehlen, erklärt TCM-Mann Strigl, sei die Information über Jahr-2000-Projekte allenfalls aus Marketing-Erwägungen oder ethischer Gesinnung heraus zu erklären. Im Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in Düsseldorf, wo sich normalerweise die Vordenker aus den eigenen Reihen treffen, spielt man die Problematik herunter. Wie aus der Führungsetage verlautete, falle die Jahr-2000-Umstellung unter die "Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung". Diese sei nicht verpflichtet, darüber in ihren Geschäftsberichten zu informieren. Wirtschaftsprüfer müßten sich nur am niedergelegten Zahlenmaterial orientieren. "Der Anleger muß sich darauf verlassen."

Der verhaltene Gestus mutet seltsam an, zumal verläßlichen Informationen zufolge das Bundesamt für Kreditwesen erst im Juli das IDW dringend ersucht hatte, gemäß Paragraph 9 der Prüfungsverordnung die DV-Umstellung im Rahmen der Wirtschaftsprüfungspraxis anzumahnen. Folgt man der Bitte der obersten Behörde, sollen die Prüfer den genauen Status quo der Umstellung ermitteln und zum Beispiel konkret nach Umfang und vorgesehenem Zeitablauf der Jahr-2000-Umstellung fragen.

Daß es auch anders geht, zeigt das Beispiel Deloitte and Touche. In einem vor wenigen Wochen an alle weltweiten Niederlassungen distribuierten Papier stellen die Firmenanalysten Kriterienkataloge auf, halten Standardbriefe an die Mandanten bereit und geben Tips, wie man sich bei Fragen der betreuten Klientel verhalten soll. Tenor des rund 50 Seiten starken Arbeitspapiers: Wir stellen sicher, daß sich bei unseren Mandanten etwas tut.

In weit ausholender Manier trimmen die Pariser Beratungsstrategen ihre Kollegen auf den neuesten Stand: In der gebotenen drastischen Schärfe skizzieren sie mögliche Kettenreaktionen des DV-Gaus und vermitteln Einblicke in die vielfältigen Erscheinungsformen gängiger Computertechnologie. In einer klar geordneten Prioritätenskala gibt das Papier Anweisungen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Mandanten auf den richtigen Kurs zu bringen. Deloitte and Touch sieht es als seine Pflicht an, das Problem in aller gebotenen Deutlichkeit aufs Tapet zu bringen.

Auch in den anderen großen Beratungsfirmen läuft die Einschwörung auf die problemorientierte Mandantenbetreuung auf Hochtouren - wenn auch die Informationsbereitschaft gegenüber der Presse zu wünschen übrig läßt.

Nur Price Waterhouse in Hamburg ist zugänglicher. Ralf Ötting ist IT-Ansprechpartner der deutschen Niederlassung des US-Wirtschaftsprüfers und insofern mit der aktuellen Diskussion des Jahr-2000-Problems bestens vertraut. Aber auch er kann nur auf die Hinweis- und Prüfungspflicht gegenüber Kreditinstituten verweisen, während in allen anderen Branchen die Vorgaben an die Prüfungspraxis ungeregelt seien. Grundsätzlich, so der Experte, rechne man mit einer deutlichen Tendenz in Richtung amerikanischer Regelungen.

Daß die Sirenen in der Hochfinanz noch schriller aufheulen müßten, als sie es derzeit tun, zeigt eine Umfrage der Kölnischen Rückversicherung AG. Aufgeschreckt hatte Andersen Consulting mit einer Analyse, die millionenschwere Schadensersatzforderungen auf die Insurance-Branche zukommen sieht.

Danach wollte der Versicherungskonzern genauer wissen, welche Priorität die Branchen Chemie, Maschinenbau und Banken dem Problem 2000 zumessen. Das Ergebnis war niederschmetternd: 60 Prozent gaben zu, noch keine vollständige Analyse ihrer DV vorgenommen zu haben, gut 30 Prozent haben noch nicht einmal angefangen, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Fast jedes zweite Unternehmen hatte es versäumt, Schnittstellen nach außen einzubeziehen, drei von vier Firmen wußten nichts über den Stand der Umstellungen bei ihren Lieferanten.

Das desolate Resultat muß Versicherer und ihren Ausputzern im Rücken sehr zu denken geben. Mit düsteren Szenarien wird deshalb mobil gemacht für die überfällige Zurechtweisung der Versicherungskunden: Maßnahmen in letzter Minute kosten bekanntlich mehr, drohende Haftungsansprüche erfordern Rückstellungen. Aktionäre überziehen Vorstände, Manager konfrontieren Softwarelieferanten, Berater und Wirtschaftsprüfer mit Klagen.

In den USA reagieren die Anleger bereits: Sie satteln um auf Aktien der Crash-2000-Spezialisten. Wie bei Bloomberg in New York zu erfahren ist, legten die Kurse der im "Year-2000-Index" zusammengefaßten Dienstleister sprunghaft zu..

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Im Vergleich zu New York oder London - laxe deutsche Börsenvorschriften machen es möglich: Ob die Investitionen der Anleger sicher sind oder das Management wegen Ignoranz gegenüber einem riesigen DV-Problem börsennotierte Firmen an den Rand des Ruins treibt, diese Fragen scheinen hierzulande noch auf taube Ohren zu stoßen. In den USA und in Großbritannien setzen sich indes schon andere Ansichten durch. Wirtschaftsprüfer werfen ein Auge darauf, welche Aktionen Unternehmen angesichts des Jahr-2000-Problems starten.

*Max Leonberg ist freier Journalist in München.