Bootstrap und Spice ergänzen ISO-Norm

Softwerker suchen nach besserem Qualitäts-Management

02.05.1997

Software-Qualitäts-Management hat die Aufgabe, Prozesse zu erkennen, bewerten und zu verbessern. Unternehmen setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte: Während eine Versicherung über ihre Klientel Bescheid weiß und mit der eigenen DV einen guten Service und transparente Angebote, also eine gute Kundenbindung, erreichen kann, stellt sich ein Softwarehaus vor allem auf die sich ändernde Nachfrage des Marktes ein. Flexibilität ist hier gefragt

Die Software-Anbieter konzentrierten sich bisher fast ausschließlich auf die Qualität ihrer Endprodukte. Es geht jedoch darum, auch die Prozeßqualität, also den Weg der Entstehung, im Auge zu behalten. Denn mit klar definierten Prozessen lassen sich Fehler nicht nur beheben, sondern schon im Vorfeld vermeiden. So wird Software nur dann erfolgreich entwickelt, wenn Marketing und Vertrieb den Markt richtig eingeschätzt und ihre Erkenntnisse an die Entwicklungsabteilung weitergegeben haben.

Was Softwarequalität ist, bestimmt der Nutzer, sei es der Käufer am Markt oder der Kollege aus der benachbarten Fachabteilung. An ihren Bedürfnissen muß der Entwickler seine Prozeß- und Produktqualität ausrichten. Deshalb ist ein Qualitäts-Management-System (QMS) umfassend angelegt: Es berücksichtigt sowohl interne als auch externe Kunden- und Lieferantenbeziehungen. Zu den Lieferanten zählen dabei heute nicht nur die klassischen Zulieferer von Komponenten, sondern auch Internet-Provider oder ISO-Zertifizierer. Die innerbetrieblichen Ebenen umfassen darüber hinaus Software-Engineering, Projektplanung und unterstützende Prozesse wie Konfigurations-Management und die Organisation.

Schneller und wirtschaftlicher können diese Prozesse identifiziert und beschrieben werden, wenn sich ein zentrales, übergreifendes QM-Team bildet. Mit ihm fließt Qualitätskompetenz in jeden Prozeß ein. Außerdem erhält das Lernen des Unternehmens eine langfristige Perspektive, denn eine zentrale QM-Mannschaft schafft Klima und Infrastruktur für bessere Prozesse.

Software-Qualitäts-Management wird inzwischen meistens mit einer Zertifizierung nach ISO 9001 vebunden. Jedoch besteht für hiesige Firmen ein Nachholbedarf: Etwa 20000 zertifizierten Unternehmen in Großbritannien stehen gut 10000 Abnahmen hierzulande gegenüber. Die Tendenz ist allerdings steigend. So waren 1991 zehn Prozent der deutschen Dienstleister zertifiziert, heute sind es nach Untersuchungen bereits mehr als 50 Prozent. Ein Grund dafür ist, daß ohne ISO-Siegel heute weniger Aufträge vergeben werden - insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen.

Die ISO-Reihe macht Momentaufnahmen. Sie hält den Status quo von Qualität fest, gibt aber keinen Hinweis darauf, wie Prozesse bewertet und verbessert werden können. Dies wird den Unternehmen überlassen. Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) ergaben, daß gut zwei Drittel aller Unternehmen für das ISO-Zertifikat nur ein formales QM-System aufbauen. Doch kann dies der erste Schritt zu einem gelebten QMS werden: Mit ihm wird das Bewußtsein für Qualität geschaffen.

Für die Gestaltung der Prozesse etabliert sich in der Softwarebranche derzeit "Bootstrap", eine Methode, die durch das Esprit-Programm der EU gefördert wird: Dieses europäische Assessment-Verfahren integriert wichtige ISO-Standards und ist darüber hinaus für die spezifischen Abläufe der Software-Entwicklung konzipiert. Es bewertet die Prozesse, die ISO 9001 nur beschreibt und schafft damit die Grundlage für gezielte Verbesserungen.

Bei Beurteilungen nach Bootstrap kann eine ISO-Zertifizierung als "Nebenprodukt" anfallen wie etwa bei den Entwicklungszentren der Deutschen Telekom AG in Darmstadt und Saarbrücken. Der Carrier erwarb das Zertifikat zwischen zwei Bootstrap-Projekten.

Für viele Unternehmen mit eigener DV sowie für Softwarehäuser ergeben sich die Fragen welches Verfahren zum Einsatz kommen soll, ISO 9001 oder Bootstrap, und ob beide Ansätze zu kombinieren sind (siehe Kasten).

Grundlegend sollte aber deutlich sein, daß kleine und mittlere Unternehmen bei Bootstrap entscheiden können, wie tief sie einsteigen wollen, ob in ein Voll-Assessment mit externen Beratern, in Gruppenberatungen oder in Self-Assessments. Damit haben sie die Möglichkeit, Kosten zu steuern.

Den Beurteilungen folgen dann Improvement-Workshops. Sie werden von Bund und Ländern oft gefördert, damit auch kleine und mittlere Unternehmen den Weg in ein umfassendes QMS schaffen. Die Geldgeber versprechen sich außerdem Synergie-Effekte. Denn Improvement-Pläne profitieren immer von Erfahrungen, die andere schon gemacht haben.

Erfolgreiches Qualitäts-Management heißt nicht, soviel Qualität wie möglich anzusteuern. Software-QM beschränkt sich vielmehr auf ein sinnvolles Maß an Qualität für Prozesse, Dienstleistungen und Produkte: Auf diese Weise kann ein Unternehmen die Qualität seines Angebots marktgerecht festlegen.

Außerdem schafft QM Transparenz und wird daher bei Software zu einer festen Größe. Denn die zunehmende Komplexität in Softwaresystemen macht Qualitäts-Management zu einer eigenständigen Aufgabe: Aus der Zutat wird ein Hauptgericht. So wie heute die Personalabteilung für die Betreuung der Mitarbeiter oder das Marketing für die Vermarktung sorgt, werden in Zukunft fachübergreifende QM-Abteilungen zur Grundausstattung gehören - als Dreh- und Angelpunkt für reife Prozesse und Produkte.

Die Diskussion um ISO 9001 hat das Bewußtsein für ein umfassendes Software-Qualitäts-Management erzeugt - eine wichtige Basis, denn Qualität beginnt im Kopf. Und die Entwicklung geht weiter. Spezielle Verfahren für die Softwarebranche haben Fuß gefaßt. Besonders die Ergebnisse von "Spice", einer Methode, die von der ISO-Gruppe entwickelt wurde, bestimmen den Inhalt von ISO 15504, dem designierten Software-Prozeß-Standard. Diese Normen werden noch in diesem Jahr in Bootstrap 3.0 integriert.

Die Deutsche Telekom AG, die Software-Qualitäts-Management als strategische Aufgabe begreift, hat die Ergebnisse vor Augen: Die Software-Entwicklung der Telekom in Darmstadt und Saarbrücken hat mit einem ersten Assessment ihre Schwachstellen erkannt und anschließend eine Verbesserung der Prozeßqualität von mehr als 25 Prozent gegenüber dem Ausgangszustand erreicht. Dies konnte in einem zweiten Assessment 1996 nachgewiesen werden. Die Entwicklung wurde transparenter, die Wartung standardisiert, und die Kommunikation zwischen Anwendern und Entwicklern läuft besser.

*Peter Bölter ist Leiter Qualitäts-Management bei SQS Gesellschaft für Software-Qualitätssicherung mbH in Köln.