Mit Ex-Netscape-Chef Marc Andreessen sprach "Infoworld"-Redakteur Dan Briody

"Softwareschmieden werden ASPs oder gehen unter"

16.06.2000

CW: Sie haben mit Loudcloud Inc. ein Unternehmen für Internet-Infrastruktur gegründet. Was ist damit gemeint?

Andreessen: Derzeit entsteht eine völlig neue Industrie, die die Softwarebranche an Größe und Komplexität übertreffen wird. Hier wachsen Software- und Telecom-Unternehmen zusammen und bauen eine verwirrende Vielzahl an horizontalen und vertikalen Lösungen. Hier laufen viele Entwicklungslinien zusammen. Konvergenz lautet das allgemeine Motto. Für die Softwerker ist es damit vorbei, einfach ein Programm auf CD zu kopieren und zu verkaufen. Diese Vorgehensweise weicht einem Netz-Service-Modell.

CW: Sie sprechen von Application-Service-Providern (ASPs)?

Andreessen: Unternehmen wie Oracle oder Peoplesoft, die wir heute als ASPs bezeichnen, werden wir in fünf Jahren als vertikale Applications Provider sehen. Eine andere ASP-Gruppe, zu der etwa US Internetworking gehört, entwickelt sich in Richtung Systemintegration. Wir sind keines von beiden. Wir bieten aber auch keine Netzinfrastruktur an.

CW: Was ist Loudcloud dann?

Andreessen: Wir betreiben, was ich das Softwareraster nenne.

CW: Was ist das?

Andreessen: Das ist eine Infrastruktur-Schicht. Wir stehen zum Rechenzentrum in einem ähnlichen Verhältnis wie Softwareanbieter zu den Hardwareherstellern. Es handelt sich also darum, eine Infrastruktur einzuziehen, die es den Unternehmen einfacher macht, ihre Software in extrem komplexen Umgebungen zu nutzen. Man könnte sie auch als eine operationale Softwareumgebung bezeichnen. Konkret bieten wir vorkonfigurierte Web-Fähigkeit, die Funktion von Applikations-Servern sowie Datenbankfunktionalität an. Das ist eine große Herausforderung für den operationalen Betrieb.

Firmen wie AOL, Yahoo und Amazon können es sich leisten, für diese Aufgabe Hunderte von Mitarbeitern einzustellen. Andere Internet-Companies haben diese Möglichkeiten nicht. Ihnen liefern wir die vorgefertigte Infrastruktur.

CW: Viele ASPs wollen wie die Telecoms nach Nutzung abrechnen. Gehen Sie ähnlich vor?

Andreessen: Ja und nein. Wir haben eine proprietäre Softwareumgebung entwickelt, mit der sich komplexe Anwendungslandschaften verwalten und beim Wachstum begleiten lassen. Oder anders gesagt: Wir haben den Prozess des Aufbaus und des Betreibens umfangreicher Systemumgebungen für alle von uns angebotenen Dienste automatisiert. Wir verkaufen eine fertige Umgebung, bei der man Kapazitäten je nach Nutzung bezahlt.

CW: Wie sieht das konkret aus?

Andreessen: Zu unseren Kunden gehören insbesondere Softwarefirmen, die dabei sind, sich als ASP zu etablieren. Sie kaufen unsere Umgebung und können damit Dienstleistungen anbieten, die sie bei ihren Kunden nach Kapazitätsnutzung abrechnen.

CW: Derzeit läuft diese Art von Outsourcing nicht besonders gut. Woran liegt das?

Andreessen: Die größte Herausforderung ist immer die schon existierende Softwarearchitektur. Nur die wenigsten davon sind wirklich stabil und skalierbar. Wenn dort Änderungen nötig werden, sind wir im Boot, und dann läuft auch das Geschäft richtig an.

CW: Dieses Infrastruktur-Outsourcing verlangt von den Kunden ein anderes Konzept der Anwendungsentwicklung. Was tun Sie, um hier Akzeptanz zu finden?

Andreessen: Predigen. Es handelt sich um einen neuen Outsourcing-Ansatz, den man so lange erklären muss, bis die Kunden ihn verstehen. Ich glaube, dass sich unser Konzept in den kommenden zwölf Monaten durchsetzen wird.

CW: Viele Softwerker schrecken vor der Outsourcing-Variante von ASP zurück, weil sie befürchten, ihre Differenzierungsmöglichkeiten zu den Konkurrenten zu verlieren.

Andreessen: Softwareunternehmen, die überleben wollen, kommen um ASP nicht herum.

CW: Verwässert es das Markenzeichen einer Softwareschmiede, wenn sie ihre Produkte über einen ASP-Aggregator anbietet?

Andreessen: Ja, und es kostet Kunden. Es ist, als ob Compaq sagen würde, wir verkaufen nur noch über einen bestimmten Händler. Dann sinkt die Bedeutung des Markennamens Compaq, weil die Kunden Vertrauen in den Händler und nicht in den Hersteller entwickeln. Deshalb bin ich überzeugt, dass Softwarehäuser untergehen, wenn sie nicht zum ASP werden.