Programmküchen und Anwender hielten es bis vor kurzem noch nicht für möglich:

Softwarepower zwingt HW-Hersteller zum Gesinnungswandel

19.04.1985

MÜNCHEN (mer) - Das DV-Geschäft befindet sich im Umbruch. Zunehmend gewinnt die Anwendungssoftware für die Hersteller als Umsatzträger an Bedeutung. Selbst große Universalanbieter brechen mit der Tradition und versuchen, diesen speziellen Markt für sich aufzubereiten.

"Der Software-Anteil am Geschäftsvolumen wird steigen; wir messen diesem Umstand große Bedeutung bei", kommentiert Dr. Rudolf Bodo, Direktor im Unternehmensbereich Datentechnik und Leiter des Bereiches Vertrieb Marketing, der Siemens AG, München, die Tendenz in Richtung "Weichware". "Wir wissen aber auch", so Bodo weiter, "daß wir diesen steigenden Markt nicht allein bedienen können und auch nicht wollen."

Betrachteten die Computermanufakturen in der Vergangenheit ihre Software noch überwiegend als reines Zubrot zum Hardware-Geschäft hat sich mittlerweile die Einstellung in den Management-Etagen grundlegend gewandelt.

So zeigen die Münchner starkes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Softwarehäusern, um deren spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten letztlich dafür zu nutzen, ihren Systemen über die Software weitere Marktanteile zu verschaffen. Das gilt auch für den Bereich der Arbeitsplatz- und Mikrocomputer. Bodo: "Hier legen wir ganz besonderen Wert darauf, daß Softwarehäuser als Partner und Programmlieferanten auftreten."

Auch die IBM sieht sich außerstande, die wachsende Nachfrage an guten Standard- und Branchenpaketen aus eigener Kraft zu bewältigen (COMPUTERWOCHE befragte dazu auch den Generalbevollmächtigten der IBM Deutschland GmbH, Bernhard Dorn, siehe Interview S. 16). Woran externe Programmschmieden vor einigen Jahren noch nicht zu denken wagten, ist nach einer längeren "Mauschelphase" jetzt offiziell: Seit Januar dieses Jahres bietet auch der Marktführer Software- und Systemhäusern Kooperationsverträge an, um die programmierende Zunft als Zugpferd! vor ihren schwergängigen "Blech" - Karren zu spannen.

Die betroffenen Softwerker - nach eigenen Aussagen in früheren Jahren von Big Blue zum Teil als "knallharte Konkurrenten massiv angegangen" - sehen den Gesinnungswandel des Computerriesen bestätigt: "Die Mentalität, zumindest bei den IBM-Oberen, hat sich gewaltig geändert. Die haben eingesehen, daß wir eben auch sehr viel zum positiven Image der IBM-Installationen beitragen", freut sich der Geschäftsführer eines Unternehmens, das ausschließlich im IBM-Kielwasser segelt. "Wenn Responsezeiten bei Kunden durch unsere Tools; von durchschnittlich zwölf Sekunden auf zwei gesenkt werden, dann wird uns das nur von Eingeweihten gutgeschrieben. Für die Masse der Benutzer ist das nach wie vor ein tolles IBM-System. "

Zwar haben die Software-Abteilungen der Universalanbieter durch terminlich bedingte Anpassungen an die verfügbare Maschinerie immer einen kleinen Nachteil gegenüber den externen Zuträgern systemnaher Komponenten, doch liegt das eigentliche Desaster für die Hardware-Produzenten in der Anwendungssoftware (siehe auch CW-Gespräch mit Nixdorf-Vorstandsmitglied Arno Bohn auf Seite 20).

Legt man Ergebnisse einer Softwarestudie der Diebold Deutschland GmbH zugrunde, läßt sich aus; dem hohen Anteil der beim Kunden erstellten Eigenentwicklungen deutlich ablesen, daß die herstellereigenen Anwendungslösungen - aber auch das Angebot auf dem freien SW - Markt - die Bedürfnisse der User nur sehr bedingt abdecken (siehe Tabelle). So ziehen es beispielsweise 46 Prozent der Siemens - und gar 67 Prozent der IBM-Benutzer vor für ihre Rechnersysteme der oberen Preisklasse die Anwendungsprogramme in Eigenregie zu entwerfen.

Hier wird das Bedürfnis nach individueller Software dieser Benutzerkategorie offensichtlich, aber auch die! Unfähigkeit der Branchengrößen, anwendungsgerechte Programmpakete zu produzieren. Bestätigt: der Münchner Siemens-Manager Rudolf Bodo: . "Etwa 60 Prozent aller wünschenswerten Funktionen ist das Maximum, was ein Hersteller mit einem Anwendungspaket abdecken kann."

Eklatante Unterschiede ergeben sich denn auch bei den Entscheidungen der Anwender, entsprechende "Weichprodukte" entweder von ihrem HW-Hersteller oder über ein Softwarehaus zu beziehen. Nach den Erkenntnissen der Frankfurter Marktforscher beziehen etwa 40 Prozent der Siemens- und rund 50 Prozent der IBM-Kunden die benötigte

Anwendungssoftware nicht bei ihrem HW-Lieferanten. Benutzer von Sperry- und NCR-Anlagen greifen dagegen zu 84 beziehungsweise zu 95 Prozent auf die Produkte des Herstellers zurück.

Nirgends finden indes die Kunden eine so reichhaltige Auswahl an systemnahen Tools, Standardprogrammen und Branchenlösungen vor wie an der IBM-Theke. Aufgeschlüsselt nach den Betriebssystemen des Spitzenreiters, kann Big Blue auf eine Angebotspalette verweisen, die der Konkurrenz das Wasser in die Augen treiben muß (siehe Grafiken).