Softwarehaus mag keine Runtime-Gebuehren zahlen Compiler-Lizenzierung wirft bei Micro-Focus-Kunden Fragen auf

03.02.1995

MUENCHEN (hv) - Eine juristische Grauzone stellt die Lizenzierung von Compiler-Technik dar. Anwender und Softwarehaeuser, die etwa die Unix-Variante des Cobol-Compilers von Micro Focus nutzen, muessen Runtime-Gebuehren fuer saemtliche erzeugten Programme zahlen. Unterlassen sie dies, bekommen sie Aerger - so geschehen bei der Muehlheimer Boll und Partner Software GmbH.

Franz-Josef Boll, Geschaeftsfuehrer des gleichnamigen Softwarehauses, fiel aus allen Wolken, als ihm klar wurde, dass Hewlett-Packard (HP) fuer saemtliche von ihm unter Unix kompilierten und verkauften Programme Runtime-Gebuehren fordern konnte. Boll hatte seinen Compiler vor zweieinhalb Jahren von Micro-Focus- Vertriebspartner HP erworben und ist, wie er versichert, damals nicht zur Zahlung von Runtime-Lizenzen verpflichtet worden. Ob unabsichtlich oder durch einen Fehler: HP verzichtete zunaechst auf die Royalties, so dass beim Kunden zu keiner Zeit Rechtsunsicherheit aufkam.

Als sich Boll nun wegen des Wunsches, auch andere Unix-Derivate unterstuetzen zu koennen, mit der Bitte um eine bestimmte Betriebssystem-Erweiterung (OSX) an Micro Focus wandte, erlebte er eine Ueberraschung. Wie von anderen Kunden auch fordert das US- Softwarehaus fuer jeden Unix-Rechner, auf dem ein mit dem Compiler uebersetztes Programm laeuft, eine Gebuehr von rund 500 Mark. Weitere 100 Mark sollen fuer jeden Benutzer hingeblaettert werden, der mit der Anwendung arbeitet. Fuer Programme, die unter den PC- Betriebssystemen MS-DOS, Windows und OS/2 kompiliert wurden, erhebt das Softwarehaus dagegen keine Forderungen.

Micro Focus haelt dieses Vorgehen fuer recht und billig. "Wenn bisher keine Runtime-Gebuehren gezahlt wurden, dann ist das eine Sache zwischen Hewlett-Packard und Boll", meint Prokurist Reinhard Janning. Man habe dem Kunden inzwischen ein gutes Angebot gemacht, das ihm ermoegliche, den Compiler auf saemtlichen Unix-Derivaten zu verwenden. Hersteller wie HP, IBM oder Siemens-Nixdorf seien als Vertriebspartner zwar verpflichtet, die Gebuehren zu kassieren, doch ueberpruefen koenne und werde Micro Focus dies nicht. Die Softwerker haetten nicht einmal Kenntnis darueber, wann ein Kunde ueber einen Partner Programmierwerkzeuge erwerbe.

Allerdings haelt auch der Micro-Focus-Sprecher diese Lizenzierungspraxis inzwischen fuer fragwuerdig: "Ich gebe zu, die Runtime-Lizenzierung ist nicht mehr State of the art." Es werde immer schwieriger, dieses Lizenzverfahren durchzusetzen.

Mehr noch als ueber die Gebuehren hatte sich Boll ueber den aus seiner Sicht "hanebuechenen" Lizenzvertrag geaergert, den Micro Focus ihm nach der Bestellung mehrerer Runtime-Lizenzen zuschickte. Von einer Vertragsstrafe in Hoehe von 10 000 Mark ist darin die Rede, falls sich der Kunde weigert, den lizenzrechtlichen Forderungen nachzukommen. Ein darueber hinausgehender Schadensersatz koenne - falls erforderlich - verlangt werden.

Fuer Aufregung beim Kunden sorgte auch eine Passage, in der es heisst: "Der Lizenznehmer ist verpflichtet, Micro Focus auf Verlangen jederzeit Auskunft ueber den Einsatzort der von ihm erstellten Software zu erteilen und die Lizenzierung der OSX- Module nachzuweisen. Ebenfalls ist Micro Focus berechtigt, diese Angaben zu ueberpruefen." Ferner behaelt sich das Softwarehaus vor, bei "Vorliegen eines wichtigen Grundes" den Vertrag zu kuendigen.