Softwareeinkauf ohne Reue

24.04.2009
Von Jürgen Beckers und Gerry Wallner 
In der ersten Folge unserer dreiteiligen IT-Einkaufsserie geht es um die Projektierung. In dieser Phase werden die Weichen dafür gestellt, dass die Beschaffungsmaßnahme nicht im Desaster endet.

Das letzte IT-Projekt wurde im Streit mit dem Anbieter vorzeitig beendet? Kosten und Zeit des gegenwärtigen Projekts laufen aus dem Ruder, und der Anbieter ist nicht bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen? Diese und ähnliche Konflikte resultieren meist aus unterschiedlichen Erwartungen von Anbieter und Kunde. Werden den Partnern solche Unterschiede erst in der Umsetzungsphase bewusst, ist es meist zu spät, den Interessenkonflikt gütlich beizulegen. Zu diesem Zeitpunkt stehen beide Parteien bereits unter erheblichem zeitlichem und finanziellem Druck, die vereinbarte Lösung erfolgreich zu implementieren. Sich unter solchen Rahmenbedingungen zu einigen ist in der Regel schwierig und scheitert schnell an blank liegenden Nerven oder festgefahrenen Standpunkten. In der Projektierungsphase können Sie die Weichen dafür stellen, dass Ihre Beschaffungsmaßnahme nicht im Desaster endet.

1) Abstimmung der Ziele

Um die technischen, betriebswirtschaftlichen und terminlichen Ziele eines IT-Projekts erreichen zu können, muss der Anwender entweder so viel Marktmacht besitzen, dass er den Anbieter zu jeder gewünschten Kurskorrektur im Projektverlauf ohne Zeitverzögerung, Funktionseinbußen und Budgetüberschreitung motivieren kann. Oder aber er muss seine Erwartungen und Anforderungen vertraglich so konkret spezifizieren, dass sie als Grundlage der gemeinsamen Geschäftsbeziehungen dienen können. Dies gilt nicht nur für den Einkauf von individuell konzipierten IT-Lösungen, sondern auch bei industrieller Standardsoftware nebst entsprechenden Dienstleistungen.

Der Anbieter kann die Erwartungen des Kunden nur dann erfüllen und vertraglich bindend zusagen, wenn er sie genau kennt. Zudem muss seine Software in der Lage sein, die vom Anwender genannten Anforderungen in vollem Umfang beziehungsweise mit bekannten und im Vorfeld akzeptierten Einschränkungen zu erfüllen. Ist sich der Anbieter dessen nicht sicher, wird er auch keine verbindlichen Zusagen machen wollen und können. In diesem Fall sollte sich der Anwender überlegen, ob und zu welchen Konditionen er bereit wäre, trotzdem einen Vertrag mit dem Anbieter zu schließen. Wenn er weiß, welche Ergebnisse er erwarten kann, kann er sich darauf einstellen. Dadurch sinkt das Risiko, dass das Projekt während des späteren Verlaufs abgebrochen werden muss.

2) Erstellen eines Lastenhefts

Um den richtigen Anbieter für ein IT-Vorhaben zu finden, sollte der Anwender ein Lastenheft erstellen, das alle wesentlichen Anforderungen und Erwartungen der Geschäftsleitung, der Anwender, der IT- und Rechtsabteilung an die zu beschaffende IT-Lösung enthält. Herrscht erst einmal Klarheit darüber, was man sucht, findet sich auch der passende Anbieter leichter. Die potenziellen Partner können dann ihre Angebote auf Basis der im Lastenheft dokumentierten Anforderungen und Erwartungen abgeben. Der Anwender sollte sie allerdings noch einmal ausdrücklich dazu auffordern, auf eventuelle Abweichungen gut sichtbar hinzuweisen. Wichtig ist zudem, dass das Lastenheft auch die Erwartungen im Hinblick auf die Folgekosten für die Einführung und den späteren Betrieb einer IT-Lösung enthält. Unklare Beschreibungen können leicht zu bösen Überraschungen führen.

3) Was unbedingt ins Lastenheft gehört

• Beschreibung der Ausgangssituation – insbesondere im Projektumfeld und -bereich.

• Definition der technischen und betriebswirtschaftlichen Ziele, die mit der Einführung der Standardsoftware verfolgt werden. Gibt es Budgetvorgaben für die Beschaffung, Implementierung, Einführung und den Betrieb (inklusive eventueller Anpassungen)?

• Beschreibung des Ist-Zustands einschließlich Schnittstellen zu anderen Systemen und Programmen bei Projektbeginn.

• Welche aktuellen Schwachstellen und Problembereiche sind zu berücksichtigen?

• Beschreibung des Soll-Zustands, der durch die IT-Beschaffung erreicht werden soll. Auch Prozessbeschreibungen, Schnittstellen, Mengengerüste sowie Qualitäts- und Gesetzesvorgaben sollten darin enthalten sein.

• Bestehen Anforderungen an die Übernahme von Altdaten?

• Anforderungen an die Projektorganisation – einschließlich der Mitwirkungsleistungen des Kunden, der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten, des Test- und Abnahmekonzepts sowie der Anforderungen an die Dokumentation.

• Definition der Leistungsübergabepunkte, an denen die Verantwortung für die vereinbarte Leistung vom Anbieter auf den Kunden übergeht. Ein Beispiel hierfür ist die Telefondose der Telekom: Fehler, die durch Geräte oder Leitungen verursacht werden, die hinter dieser Dose installiert sind, verantwortet nicht der TK-Anbieter, es sei denn, Lieferung und Betreuung fallen laut Vertrag ausdrücklich in seine Zuständigkeit. Sind also die beim Kunden verlegten Leitungen defekt, ist dafür nicht der Netzanbieter zu belangen, da seine Verantwortung an der TK-Dose endet.

• Definition der Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Anbieters – etwa an Unternehmensgröße, Erfahrung und Umsatz.

• Spezielle Vorgaben an Angebot und Vertragsinhalte - etwa Angebotsbindefristen, Einkaufsbedingungen, Nutzungsrechte an der Standardsoftware, Outsourcing-Rechte, Übertragungsmöglichkeiten im Konzern, Service-Levels für Wartung und Pflege.

Das Lastenheft ist extrem wichtig. Wer Probleme bei der Erstellung hat, sollte externe Hilfe in Anspruch nehmen. Fehler, die während der Projektierung entstehen, lassen sich nachträglich nicht mehr korrigieren - zumindest nicht ohne Mehrkosten. Und diese Zusatzkosten überschreiten die Ausgaben für eine Beratung meist um ein Vielfaches. Als grober Richtwert sind – je nach Komplexität der Anforderungen – zwischen fünf und 15 Prozent der Projektkosten für die ordnungsgemäße Projektierung einzuplanen.

Zudem sollten an der Erstellung des Lastenhefts alle Personen beteiligt sein, die von dem Projekt direkt oder indirekt betroffen sind (siehe Kasten "Wer am Lastenheft mitwirken sollte"). Auf diese Weise kann das Anwenderunternehmen gewährleisten, dass die Anforderungen und Interessen auf allen Ebenen umfassend berücksichtigt werden. Interne Widerstände gegen die Einführung – ein Problem, an dem viele Projekte scheitern – sind dann in aller Regel nicht zu erwarten.

Mit der Verabschiedung des Lastenhefts endet die Projektierungsphase. Auf Basis der hier definierten Anforderungen und Erwartungen kann der Auftraggeber den passenden Anbieter auswählen und den Vertrag ausarbeiten. Diese Auswahlphase stellt den zweiten großen Schritt im Einkaufsprozess dar und wird in der nächsten Ausgabe ausführlich beschrieben. (sp)

Wer am Lastenheft mitwirken sollte

Ein IT-Projekt-Manager (intern oder extern) mit fundierter Erfahrung in dem relevanten Softwarebereich, der die technischen und kaufmännischen Ziele und Anforderungen aufstellt;

der Entscheider, der die Einführung der Software veranlasst hat, um bestimmte betriebswirtschaftliche Ziele zu erreichen;

die für das Projekt zuständigen IT-Mitarbeiter, die sich um die Zusammenstellung der technischen Ist- und Soll-Vorgaben kümmern (Servicedesign);

die IT-Organisation, die für den Betrieb der Lösung verantwortlich sein wird (Service-Operation);

je ein Anwender und Entscheider aus den betroffenen Fachabteilungen und von den externen Partnern – etwa Händlern oder Lieferanten, die mit der Software zukünftig arbeiten sollen;

der verantwortliche Einkaufs- oder Finanzchef, dem die Budgetvorgaben und sonstigen Einkaufskonditionen mitgeteilt werden;

der auf IT-Beschaffung spezialisierte Hausjurist (intern oder extern), der die rechtlichen Anforderungen – etwa Nutzungsrechte und Einkaufsbedingungen – spezifiziert und prüft.