Erfindergeist und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen

Softwarebranche muß den Patentschutz ernst nehmen

13.06.1997

Das Thema Patentschutz für Computersoftware (in der gängigen Rechtssprechung wird vielfach der umfassendere Begriff "Computersoftware" gewählt, da dieser nicht nur Computerprogramme, sondern auch Datenstrukturen und dergleichen beinhaltet) beziehungsweise Computerprogramme wird mittlerweile seit mehr als 30 Jahren weltweit kontrovers diskutiert. Schon Mitte der 60er Jahre kam eine vom damaligen US-Präsidenten Johnson eingesetzte Kommission zu dem Ergebnis, daß Computersoftware aus den folgenden Gründen nicht durch Patente geschützt werden sollte: Erstens: Das jeweilige Patentamt verfügt in der Regel über keine ausreichenden Dokumentationen, um Erfindungen im Bereich der Software prüfen zu können. Zweitens: Die zuständigen Behörden beschäftigen dafür zuwenig Prüfer. Und drittens: Entsprechende Untersuchungen würden zu lange dauern und zuviel kosten.

Ähnlich verhielt sich 1968 auch der französische Gesetzgeber, als er "Computerprogramme als solche" vom Patentschutz ausgeschlossen hat. Offensichtlich wollte man in beiden Fällen allen Problemen im Zusammenhang mit diesem technischen Neuland aus dem Weg gehen - eine Geisteshaltung, die sich längere Zeit fortgesetzt hat. Denn von einem der Väter des Europäischen Patentabkommens (EPÜ) war zu erfahren, daß bei der Formulierung der darin enthaltenen Passagen in Sachen Computersoftware dem französischen Beispiel gefolgt wurde, damit das Abkommen überhaupt zustande kam.

Daher sind nun auch im EPÜ "Computerprogramme als solche" vom Patentschutz ausgenommen, wobei bis heute weder durch Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) noch von Gerichten in den EPÜ-Unterzeichnerstaaten geklärt wurde, was unter besagter Formulierung überhaupt zu verstehen ist. Vor diesem Hintergrund bemühte sich auch die World Intellectual Property Organization (Wipo) in der Folge darum, einen Sonderschutz für Computerprogramme zu etablieren, was jedoch ebenfalls ohne Erfolg blieb.

Um der Bedeutung des immer wichtigeren Wirtschaftsguts Computersoftware gerecht zu werden respektive deren Schutz wenigstens in einem geringen Ausmaß garantieren zu können, wandte man sich daher zunächst Fragen des Urheberrechts zu.

Dabei waren sich alle Experten von Anfang an im klaren darüber, daß der Urheberrechtsschutz nur das unerlaubte Kopieren und leichte Abändern von Software verhindern soll. Das Wesentliche an einem Computerprogramm, nämlich die zugrundeliegenden Ideen, Konzepte, Algorithmen, Funktionen, der logische Aufbau etc., konnte und sollte damit nicht geschützt werden. Abschluß dieser mehrjährigen, zum Teil recht schwierigen Diskussion um einen EU-weiten urheberrechtlichen Schutz war die 1991 verabschiedete Richtlinie zum Rechtsschutz der Computerprogramme.

In den darauffolgenden Jahren hat sich dann jedoch - zunächst in den USA, später auch in anderen Ländern - sehr schnell die Expertenmeinung bestätigt, daß das Urheberrecht alleine keinen ausreichenden Schutz für Computersoftware bietet. Hinzu kam, daß in der Zwischenzeit auch der Patentschutz für diese Branche wieder mehr Befürworter gefunden hatte. Vor allem in den High-Tech-Märkten der USA, Japans und der EU stieg die Flut der Patentanmeldungen im Bereich Computersoftware kontinuierlich an. So hat allein das Europäische Patentamt (EPA) in München nach einer 1995 veröffentlichten Statistik bis zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 11000 Patente für einschlägige Erfindungen erteilt. Lediglich knapp 100 Anträge wurden aufgrund fehlender "Technizität" zurückgewiesen. Derzeit schätzt man, daß in München jährlich rund 2000 bis 3000 den Bereich Computersoftware betreffende Patentanmeldungen eingereicht werden.

Diese Entwicklung scheint jedoch bis dato an einem großen Teil der Betroffenen, vor allem der Software-Industrie selbst und deren Beratern, vorbeigegangen zu sein - was man nicht anders interpretieren kann, als daß offensichtlich die lange Diskussion um die Softwarerichtlinie in Europa alle Aufmerksamkeit auf den Urheberrechtsschutz gelenkt hat. Viele Softwarehäuser hierzulande haben offenbar noch nicht verstanden, welche Möglichkeiten der Patentschutz bietet. Derzeit geht jedenfalls die überwiegende Zahl der vom EPA erteilten Softwarepatente an US-amerikanische oder japanische Anbieter.

Dies ist besonders prekär, weil bekanntlich zum einen immer größere Teile der Wertschöpfung von neuen Produkten auf Softwareleistungen entfallen, zum anderen der europäischen Industrie in manchen Bereichen des Softwaremarktes im internationalen Wettbewerb mit den USA und Japan durchaus Chancen eingeräumt werden. Eine Reihe von Experten hat daher bereits mehrfach gefordert, innerhalb der EU den Ausschluß der "Computerprogramme als solche" vom Patentschutz im jeweiligen nationalen Patentrecht aufzuheben. Mit Gesetzesänderungen sollte nach Ansicht von Fachleuten ein Zeichen gesetzt sowie eine sachgerechtere Weiterentwicklung des Technikbegriffs im Hinblick auf softwarebezogene Erfindungen ermöglicht werden.

Im übrigen dürfte dies auch der einzige Weg sein, in diesem Bereich innerhalb der EU eine einheitliche Rechtsanwendung zu erreichen. Denn immer noch werden beispielsweise - auf der Grundlage im Prinzip gleicher gesetzlicher Bestimmungen - vom Europäischen und Deutschen Patentamt großzügig Patente erteilt, während etwa das Britische Patentamt weiterhin eine im Vergleich dazu restriktive Haltung einnimmt (siehe Kasten "Erteilte Patente" auf Seite 39).

Insgesamt haben jedoch die Patentämter, Beschwerdekammern und Gerichte innerhalb der EU der phänomenalen Entwicklung im Bereich der Computersoftware längst Rechnung getragen. Das EPA hat bereits in seinem Jahresbericht 1994 festgestellt, daß die IT-Industrie auf einen wirksamen rechtlichen Schutz ihrer Produkte und Verfahren angewiesen ist, um die hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung zu sichern - auch wenn, wie schon erwähnt, dort das Verständnis dafür noch nicht so ausgeprägt ist, wie es sein sollte.

In diesem Zusammenhang muß man auch einem Mißverständnis vorbeugen. Immer wieder heißt es, daß Computerprogramme derart kurzlebig seien, daß sich ein adäquater Rechtsschutz nicht lohne. Die wirtschaftlich relevante Nutzungsdauer liegt bei einem beachtlichen Teil der Computerprogramme jedoch deutlich höher als ursprünglich angenommen. Zumindest wesentliche Teile eines Programms brauchen daher Schutz vor Nachahmern.

Sowohl für Hardware- als auch für Softwareprodukte steht heute ein breites Spektrum an Schutzmöglichkeiten zur Verfügung. So schützt das Urheberrecht alle Ausdrucksformen eines Computerprogramms, also insbesondere das Programm-Listing, den Source und Object Code, nicht aber die zugrundeliegenden Ideen, Grundsätze und das funktionale Konzept. Der technische Inhalt, selbige "Lehre" beziehungsweise die technische Realisierung der Ideen, Algorithmen und die Funktion des Computerprogramms werden vom Patentrecht berücksichtigt.

Nach der patentierten technischen Lehre, die im Patentanspruch festgehalten ist, ist es in der Regel möglich, daß viele voneinander abweichende Programme geschrieben werden, die alle unter den Schutz eines bewilligten Patents fallen und zugleich voneinander unabhängige Urheberrechte zur Folge haben. Patentschutz und Urheberrechtsschutz können also nebeneinander bestehen, da sie verschiedene Aspekte berühren. Demzufolge müssen auch Erfinder und Urheber nicht identisch sein.

Es kommt auf den Technikbegriff an

Was ist nun zusammenfassend festzuhalten? Im Patentschutz von Computerprogrammen kommt es in Europa entscheidend auf den Technikbegriff an. Wenn er zu eng gewählt wird, hat dies zur Folge, daß in Zukunft volkswirtschaftlich wichtige Branchen wie die DV-Industrie vom Patentschutz weiterhin ausgenommen sind. Dies um so mehr, als dort in Zukunft neue Lösungen und Erfindungen vor allem im Bereich der Software zu erwarten sind.

Gut 30 Jahre nach dem negativen Votum der eingangs erwähnten US-amerikanischen Kommisssion läßt sich feststellen, daß es mit den heutigen Mitteln der Recherche und mit Spezialisten aus einer Generation, die mit spielerischem DV-Gebrauch aufwächst, sicher möglich ist, die gesamte DV dem Patentschutz zugänglich zu machen. Schließlich hat man dann immer noch die Möglichkeit, abstrakte Ideen oder reine mathematische Algorithmen ohne konkreten Verwendungszweck vom Patentschutz auszuschließen. Die umfassendere Anwendung des Patentrechts ist aber, auch bei großzügiger Auslegung bestehender gesetzlicher Regelungen, nur mit einer Änderung des EPÜ und damit der nationalen Gesetze möglich.

Umfassendes Patentrecht - aber wie?

Auszüge aus der am 22. April 1997 in Wien verabschiedeten AIPPI-Resolution

- Patente sollen im Prinzip ohne Einschränkung auf allen Gebieten der Technik, einschließlich dem Bereich der Computersoftware, erteilt werden.

- Computersoftware sollte immer dann als patentierbar erachtet werden, wenn sie den üblichen Anforderungen einer solchen Prüfung gerecht wird - also Neuheit, erfinderische Leistung (Nicht-Naheliegen) und Nützlichkeit/gewerbliche Anwendbarkeit nachweisen kann.

- Trotz der zunehmend liberalen Auslegungen durch nationale Patentämter und Gerichte werden Änderungen in den entsprechenden Gesetzen empfohlen, um einen adäquaten Patentschutz für Computersoftware zu schaffen beziehungsweise sicherzustellen.

- Jede Computersoftware, die den Anforderungen der Patentierbarkeit entspricht, sollte auf dieselbe Art und Weise als patentierbar erachtet und behandelt werden, ohne daß ein Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Software gemacht wird.

- Patentschutz und Urheberrechtsschutz für Computersoftware sind von unterschiedlicher Natur und betreffen unterschiedliche Aspekte der Software. Sie können nebeneinander bestehen, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Schutzdauer.

- Computersoftware sollte in jedem Medium, in dem sie kommerziell genutzt werden kann, inhärent patentierbar sein. Quelle: Betten

Erteilte Patente

Beispiele für vom Europäischen beziehungsweise Deutschen Patentamt erteilte Softwarepatente:

- Belegung von Hotelzimmern (EP-B-484 362)- Einfügen von Teilen eines Dokuments in ein anderes Dokument (EP-B-185 925)- Komprimieren von Textdaten (EP-B-280 549)- automatisches Daten-Management bezüglich des Handels mit Optionsscheinen (EP-B-762 304)- Kompression von Datenelementen (DE-C-3 118 676).

*Jürgen Betten ist auf Patentrech spezialisierter Anwalt in München.