Schwere Zeiten für Programmierbüros - keine Aufträge, zuviel Personal, erste Pleiten:

Software Zunft schlittert in eine Strukturkrise

27.11.1981

MÜNCHEN - Deutschlands Software-Gurus sind ratlos: Nach langem Höhenflug befindet sich die Branche auf einer rasanten Talfahrt. Investitionsstau beim Anwender. Preisverfall bei Standard-Programmen und verschärfter Wettbewerb untereinander sowie mit den Hardware-Anbietern zwingen insbesondere kapitalschwache kleinere Software-Häuser in die Knie. Der Auftragsrückgang betrage bei vielen bereits mehr als 50 Prozent. wollen Insider wissen. Sie prophezeien eine "massive Bereinigung" des Marktes, wenn nicht bis spätestens zum Frühjahr ein konjunktureller Aufwind einsetze.

"Die großen Software-Häuser schieben derzeit einen Angebotsstau von mehreren Millionen Mark vor sich her", konstatiert Softlab-Geschäftsführer Dr. Klaus Neugebauer. Noch nie habe es so viele "offene" Projekte auf dem Markt gegeben. Den Grund hierfür sieht der Münchner Software-Manager vor allem in der Zurückhaltung der Unternehmensleitungen, Geld für die Datenverarbeitung auszugeben.

Daß in den meisten Unternehmen derzeit eine generelle Investitionssperre bei DV-Projekten herrsche, bestätigt auch Arno Erdtmann von der Münchener AC-Service GmbH. Die Hardware-Käufe der letzten Zeit hätten den Etat der Anwender für die nächsten Jahre stark beansprucht. Nach den vielen Fehlinvestitionen der Vergangenheit pochten die Vorstände jetzt massiv auf die Einhaltung des DV-Budgets. Da momentan der Gürtel in allen Abteilungen enger geschnallt werden müsse, werde erstmals deutlich, so Erdtmann, daß den DV-Leuten der Geldbeutel lange Zeit zu locker gesessen' habe: "Da wurde allerlei Schnickschnack angeschafft. "

Die Unternehmen seien nunmehr ausschließlich bemüht, bestehende Anlagen wirtschaftlicher zu betreiben und sie länger funktionsfähig zu halten, meint Dr. Heinz Streicher von der SCS in Hamburg. Man versuche, mit den installierten Systemen noch einige Jahre weiterzuarbeiten um sich nicht durch neue Ausgaben zu binden. "Die Grundtendenz bei unseren Kunden", so Streicher, "ist eine gewisse Passivität, vor allem was Erweiterungen betrifft, und ein enormes Bemühen bei der Intensivierung bestehender Mittel. "Hochkonjunktur hätten deshalb insbesondere Anbieter von Entwicklungstools und Tuning-Werkzeugen.

Zwar könne die derzeitige "Softkrise" nicht losgelöst von der allgemeinen schlechten Wirtschaftslage gesehen werden, Marktbeobachter sprechen jedoch darüber hinaus von einer Umwälzung der gesamten Software-Branche. Hierzu Andreas Braun von der UDF Dr. Fischer GmbH in Stuttgart: "Die Anbieter von Mikrocomputer-Programmen machen heute die Preise für Standard-Software kaputt." Hinzu kämen die vielen kleinen Programm Schmieden, die mit ihren Produkten in der Regel bis zu 30 Prozent günstiger lägen als die größeren Software-Werkstätten. UDF hätte gar mit englischen Anbietern zu kämpfen, die ihre Billig-Pakete in ,den deutschen Markt schleuderten. Es lohne sich für ein größeres Software-Haus kaum noch, Standard-Programme selbst zu entwickeln und zu vertreiben, klagt Braun: "Wir sind einfach zu teuer. " Der Stuttgarter Software-Profi bemängelt dabei nicht nur, daß die Entwicklungskosten "davonrennen", sondern auch die leichte Kopierbarkeit der Programme. Da die Schutzmechanismen für Standard-Software nicht mehr funktionierten, sei es für die große Masse der Kleinst-Anbieter ein leichtes, "die Äpfel aus Nachbars Garten zu pflücken .

Preisverfall durch Billig-Pakete

Die größten Probleme für die Software-Zunft sieht GFU-Geschäftsführer Heiner Fürst denn auch im Preisverfall von Anwendungs- und Individual-Software. Es sei heute schwieriger denn je, Programme zu einem "wirklich leistungsgerechten" Preis unterzubringen. Die Krux liege vor allem darin, daß sich inzwischen die Software-Häuser bei den Projekten gegenseitig unterbieten würden. Dabei kämen immer häufiger als Standard-Software deklarierte Billig-Programme ins Spiel, die diese Bezeichnung in keiner Weise verdienten. Viele Software-Häuser müßten hier bereits passen, weil die Entwicklungsaufwendungen kaum Preisabstriche zuließen.

Aber nicht nur die Programmier Büros machen sich untereinander Konkurrenz. Durch sinkende Hardware-Preise und die wachsende Bedeutung der Software konzentrieren sich auch die Hardware-Anbieter zunehmend auf das Programm-Geschäft. Fazit: Da der Anwender nach der Devise "Alles aus einer Hand lieber bei seinem Hersteller kauft, hat sich für die Software-Zunft auch hier der Wettbewerb erheblich verschärft. Doch damit nicht genug: DV-Benutzer, die ihre Programme bisher mit hohem Personalaufwand selbst gestrickt haben, bieten diese häufig auf dem Markt feil, um somit eine Kompensation ihrer Entwicklungskosten zu erreichen. Vor allem bei Branchenlösungen hätten diese Unternehmen, so ein Frankfurter Unternehmensberater, mit ihren Selfmade-Produkten Erfolg, weil sie sich in ihrem Wirtschaftssegment besser auskennen als reine Programmierfirmen.

Kein Wunder, daß die Software-Zunft momentan nicht allzu rosig in die Zukunft blickt. Auftragsrückgänge und Umsatzeinbußen von Siemens, Kienzle, NCR oder Triumph-Adler und daraus resultierende Freisetzungen von DV-Spezialisten hätten Branchenkennern zufolge vor allem in Süddeutschland zu einer "Entspannung" auf dem Personalmarkt geführt. Insbesondere in München, wo sich eine Unmenge von "Freien" um Siemens scharte und jahrelang mit Großaufträgen gut bedient wurde, seien die ersten gravierenden Einbrüche unter den Kleinen und Kleinsten zu verzeichnen. In Glanzzeiten habe der Münchener Elektro-Konzern Insidern zufolge mehr als 600 "Berater" beschäftigt. Um Entlassungen in den eigenen Reihen vorerst zu umgehen, habe Siemens für seine einstigen "Know-how-Träger" einfach die Verträge nicht verlängert. Ein Großteil der Externen läge jetzt auf der Straße.

Manpower-Overhead als Sackgasse

Es gebe in München wohl kaum ein Software-Haus, das sich derzeit nicht in Kalamitäten befinde, vermutet Peter Klinkenberg, Geschäftsführer der 2 KB GmbH. Bedingt durch die derzeitige Auftragslage in der Isarmetropole muß Klinkenberg allerdings ebenso wie andere Programmierbetriebe Personal "abspecken" . Die größten Probleme hätten jedoch die vielen kleinen Software-Firmen, die sich in den vergangenen Jahren zu stark an die Siemens-Projekte geklammert hätten und nun nicht über die Kontakte verfügten, um an andere Projekte heranzukommen.

Als einen wesentlichen Grund für die Zwangslage der Münchner Software-Häuser sieht AC-Service-Vertriebsleiter Erdtmann den Manpower-Overhead. Viele hätten sich in "Auftragsglanzzeiten" überschätzt, indem sie, quasi auf Verdacht, Mitarbeiter einstellten. "Als die Siemens-Projekte die Isar runtergingen", sinniert Erdtmann, "saßen die Programmierer tatenlos herum." Enorme Fixkosten - insbesondere durch die hohen Gehälter - hätten dann viele Unternehmen in die roten Zahlen geritten.

Weniger Sorgen über die nahe Zukunft machen sich indessen die Manager der großen Software-Häuser. Sie wähnen sich vorerst unter einer noch wärmenden Kapitaldecke. Aber den naturgemäß unterkapitalisierten kleinen Programmierstuben steht bereits jetzt das Wasser bis zum Hals, behaupten die Kenner der Münchener Software-Szene. Dr. Frank D. Peschanel, Geschäftsführer der nur noch "auf "Sparflamme kochenden" (Branchen-Häme) GFS Gesellschaft für Systementwicklung GmbH, will wissen, daß die meisten Software-Häuser hierzulande nur noch bis zu 50 Prozent ausgelastet sind. (Diese Spekulation wird auch von anderen Branchenkennern unterstützt.) In Großprojekten werde Siemens, so vermutet Peschanel, aus Imagegründen weiterhin mit seinen bisherigen Partnern zusammenarbeiten. Aber alle anderen "Softwerker" seien extrem gefährdet.

Totgesagt wird von Branchen-Auguren das sogenannte Body-Leasing-Geschäft, bei dem Software-Spezialisten projektbezogen an andere Unternehmen "vermietet" wurden. Froh darüber zeigt sich Softlab-Chef Neugebauer: Im Münchner Markt hätte es in der Vergangenheit "geradezu hanebüchene Praktiken" gegeben. Eine Vielzahl von Kleinbetrieben hätte sich darauf spezialisiert Software-Leute aus einem Projekt abzuwerben und erheblich billiger in das gleiche Projekt wieder zu verkaufen. Die meisten "Freelancer" seien dabei lediglich darauf aus gewesen, "das schnelle Geld" zu machen. Da sie sich aber stets auf den allgemeinen Spezialisten-Mangel im DV-Markt verlassen konnten, hätten sie versäumt, neue Kunden zu akquirieren.

Daß nunmehr viele Freelancer nach Arbeit suchen, bestätigen auch die Personal-Berater. Der gesamte Markt für Programmierer habe sich dadurch erheblich geöffnet. "Wenn wir heute eine Personalanzeige auf geben", freut sich der Grafenauer Berater Peter Neubert, "melden sich eine Menge brauchbarer Leute, die inzwischen auch angemessene Gehaltsvorstellungen haben." Vor einem halben Jahr wäre dies noch undenkbar gewesen. Neubert stellt eigenen Angaben zufolge eine deutliche Tendenz fest, daß selbständige Software-Experten verstärkt unter ein "festes Dach" drängen. Diesen Trend bestätigt auch Heinz Paul Bonn, Geschäftsführender Gesellschafter für Unternehmensberatung und Software-Entwicklung mbH (GUS) in Köln. Wenn er heute ein Stellenangebot aufgebe, würden sich unter den Bewerbern 30 bis 40 Prozent Freelancer befinden, die mit ihm ins Geschäft kommen wollten. Bonn ist der Auffassung, daß die derzeitige Konjunkturlage diesen Trend noch verstärken werde. Begründung: Viele Software-Leute hätten versäumt, in den "fetten Jahren" Rücklagen zu bilden. Deshalb könnten die meisten eine längere Durststrecke nicht durchhalten.

Viele Programmierer, keine Projekte

Mit "gemischten Gefühlen" blickt auch Marga Lange in die Zukunft. Die Geschäftsführerin der S.A.- Software-Agentur befaßt sich in München mit der Vermittlung von DV-Profis. "Die Anfragen von freien Software-Experten sind zwar umfangreicher geworden, aber es gibt momentan keine Projekte." In den letzten Monaten seien Kapazitäten freigesetzt worden, die der Markt aber noch nicht wieder aufgenommen habe. Dadurch sei ein Überhang an Spezialisten entstanden. Doch es sei schwierig, die Leute unterzubringen.

Verständlich, daß sich in der Software-Zunft zur Zeit Pessimismus breitmacht. Marktbeobachter Bernfried Lewandowski, Professor an der Fachhochschule München am Lehrstuhl für Informatik und vereidigter Sachverständiger für EDV und Datenschutz, prognostiziert ein noch größeres Dilemma für die Software-Zunft, wenn es nicht innerhalb der nächsten sechs Monate wieder "s(...)bergauf" gehen sollte. Da Neugeschäfte im Weichware-Business derzeit kaum noch stattfanden, würde er Entlassungen größeren Stils nicht ausschließen.