Software- statt Hardwareloesung IBM und Motorola entwickeln Power-PC-CPU mit x86-Emulation

07.07.1995

MUENCHEN (CW) - IBM und Motorola entwerfen derzeit mit dem "604e" einen Power-PC-Prozessor, der DOS- und Windows-Applikationen besser auf solchen RISC-PCs ablaufen lassen soll. Big Blue hat damit nach dem urspruenglich fuer Ende 1995, nun fuer Anfang 1996 geplanten Power-PC "615" einen zweiten Chip fuer diese Aufgabe im Labor.

Beide Entwicklungen verfolgen einen unterschiedlichen Ansatz: Der 615 wird, in Hardware gegossen, Teile des Intel-Befehlssatzes enthalten - was Motorola von der Designarbeit ausschliesst, da nur IBM ueber Rechte an der Intel-Architektur verfuegt. Der 604e hingegen soll fuer das Ablaufen von DOS- und Windows-Applikationen per Software optimiert werden. Das hat den Vorteil, dass er sich einfacher an Veraenderungen der Intel-Plattform anpassen liesse. Der 615-Chip muesste jedesmal neue Instruction-sets bekommen.

Die CW-Schwesterpublikation "Infoworld" zitiert einen nicht naeher bestimmten Informanten mit der Aussage, dass es auf lange Sicht ziemlich teuer kaeme, beide Moeglichkeiten zu unterstuetzen. Von Motorola in Muenchen war zu erfahren, dass der Hauptzweck der Entwicklung des 604e darin bestehe, Schnittstellen fuer die Compiler oder Emulationssoftware etwa von Insignia zu schaffen. Ausserdem wuerde der neue Chip schneller sein und damit auch besser die emulierten CISC-Befehle auf der RISC-Plattform abarbeiten.

Manager aus den IBM-Divisions PC Company, Power Personal und dem Headquarter beratschlagen laut "Infoworld" derzeit, welchen Weg man gehen will. Das Branchenblatt zitiert einen Firmen-Insider, der nicht viel von den derzeit verfuegbaren Emulationsloesungen fuer den

Power-PC haelt: "Was wir brauchen, ist ein neuer Ansatz fuer die Emulierung, und das Konzept des 604e koennte das sein."

Eine wichtige Rolle duerfte bei den IBM-Ueberlegungen das weitere Vorgehen von Microsoft spielen. Viele Industriebeobachter erwarten, dass die Gates-Company demnaechst ihr Augenmerk weniger auf Windows 95, das sehr eng mit der x86-Architektur verknuepft ist, und mehr auf das objektorientiert ausgelegte Betriebssystem "Cairo" - den geplanten Nachfolger des plattformunabhaengigen Windows NT - legen wird.

Cairo soll natuerlich auch auf Intels zukuenftigen Prozessoren "P6" und "P7" ablaufen, die viel mehr RISC-Eigenschaften als beispielsweise Pentium-Chips enthalten. Der Chipmogul geht also den umgekehrten Weg als die Power-PC-Entwickler und bringt RISC- Elemente in die CISC-Architektur. IBM koennte mit dem 604e der Microsoft-Intel-Strategie zuvorkommen.