SOFTWARE-KLAU

22.02.1985

Software-Diebe werden mehr und mehr zum Alptraum der DV-Branche. Nicht selten investieren die Unternehmen Millionenbeträge in Programmentwicklungen und sehen sich im nachhinein um die Früchte ihrer Arbeit betrogen. Der Ruf nach Justitias Autorität endet häufig in Enttäuschung: Die Gesetze decken noch längst nicht alle Fälle ab, und die Richter sind mit den Spitzfindigkeiten der DV-Welt überfordert.

Gegen die Verluste in Millionenhöhe schien bis vor fünf Jahren noch kein rechtliches Kraut gewachsen. Versuche der Betroffenen scheiterten durchweg an der schwierigen Beweisführung und einer unsicheren Gesetzesauslegung. Ende Dezember 1980 erging erstmals in einem Strafverfahren ein klarer Schiedsspruch im Namen des Volkes: Das Amtsgericht Nürnberg verdonnerte einen DV-Leiter nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu 12 600 Mark wegen "Geheimnisverrats und Vorlagen-Freibeuterei". Der Beklagte hatte im Laufe der Zeit insgesamt 110 Programme in Form von 500 000 duplizierten Lochkarten entwendet und lieferte später seinem ehemaligen Brötchengeber einen existenzbedrohenden Konkurrenzkampf.

Zwar wurde der "Langfinger" vom Gericht zur Unterlassung und zum Schadenersatz verpflichtet; ein Recht auf Löschung oder Vernichtung der unbefugt erlangten Daten ist jedoch im UWG nicht vorgesehen. Eine derartige Forderung hätte sich nur auf das Urheberrechtsgesetz (UrhRG) stützen können.

In einem ähnlichen Fall schmetterte das Landgericht ein halbes Jahr später eine entsprechende Klage allerdings ab: "Computerprogramme der hier in Streit stehenden Art," so urteilten die Juristen wörtlich, "sind einem urheberrechtlichen Schutz grundsätzlich schon von ihrem Gegenstand her nicht zugänglich. Voraussetzung eines urheberrechtlichen Schutzes ist nach ° 2 Abs. 2 UrhRG, daß es sich um eine persönliche, geistige Schöpfung handelt. "Nach Auffassung der Kammer fehlte es "an der erforderlichen, der sinnlichen Wahrnehmung zugänglichen Konkretisierung eines geistig-ästhetischen Gehalts".

Ist es normalerweise der Durchschnittsbürger, der nicht seiten an der Amtssprache in deutschen Gerichtssälen schier verzweifelt, kam diesmal für die Juristen mit dem in Streit stehenden Machwerk offensichtlich eine Retourkutsche: "Dem Betrachter tritt lediglich eine endlose Aneinanderreihung von Zeilen gegenüber, die mit aus sich heraus nicht verständlichen Buchstaben- und Zahlenkombinationen gefüllt sind, bemängelten die Rechtsstrategen. "Irgendein ästhetischer Eindruck wird hierdurch nicht erweckt.

Die Frage nach der Urheberrechtsfähigkeit des Computerprogramms wurde demzufolge von der Kammer des Mannheimer Landgerichts ausdrücklich verneint. Ein Rechtswissenschaftler - anerkannter Experte auf diesem Gebiet und von der geschädigten Firma mit dem Verfahren betraut - wetterte damals angesichts der Urteilsbegründung: "Man muß sich fragen, ob das Gericht bei der Beurteilung der Urheberrechtsfähigkeit einer Mundartdichtung oder eines fremdsprachlichen Textes wohl auch auf den Gedanken gekommen wäre, diese mit der Begründung abzulehnen, es verstehe die betreffende Sprache nicht."

In der DV-Branche wurde und wird indes weiterhin kräftig manipuliert, betrogen und stibitzt. Bevorzugte Tatobjekte: Programme und Betriebssysteme aller Art. Eine Vorliebe entwickeln die Akteure zudem im kaufmännischen Bereich für abgespeicherte Kalkulationsunterlagen Bilanzen und Kundenadressen, im technischen und militärischen Bereich sind insbesondere Forschungs- und Rüstungsdaten zunehmend gefragt.

Die Schadenssummen nehmen denn auch mittlerweile beängstigende Dimensionen an: Lagen nach statistischen Erhebungen aus dem Jahre 1977 die Einzelverluste mit 200 000 bis 300 000 Mark noch relativ niedrig, bewegten sich die Schäden der von 1977 bis 1982 aufgedeckten Manipulationen bereits in einer Größenordnung zwischen 500 000 und 1,5 Millionen Mark. Für die USA wies eine Untersuchung des Standford Research Institute International gar eine durchschnittliche Schadenssumme von rund 1,7 Millionen Dollar aus.

Doch Ermittlungsbehörden und gerichtliche Instanzen schienen derzeit von einer zufriedenstellenden Bewältigung der Probleme noch weit entfernt. Experten wußten die vielen Einstellungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft und Gerichte zum Teil nur durch den Wunsch der zuständigen Beamten zu erklären, sich nicht mit den Sachproblemen des Falles beschäftigen zu müssen.

OLG versetzt Kollegen einen Dämpfer

Erst im Februar 1983 setzte eine höchst richterliche Instanz einen Meilenstein zum Thema Software-Klau: Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe befand Computerprogramme für grundsätzlich urheberrechtsschutzfähig. Mit der Begründung des Schiedsspruches versetzte der Senat den Mannheimer Kollegen vom Landgericht einen klaren Dämpfer. Da heißt es wörtlich: "Auf die Allgemeinverständlichkeit der gewählten Sprache kommt es nicht an. Entscheidend ist, daß die verwendeten Ausdrucksmittel eine einheitliche, Dritten sinnlich wahrnehmbare Formgestaltung aufweisen. Die Verwendung mathematischer Zeichen und Symbole steht der Verständlichkeit als Sprachmittel nicht entgegen." Die Beurteilung als schöpferische Leistung im Sinne des Urheberrechtsgesetzes dürfe nicht darauf abgestellt werden, mit welchem geistigen Aufwand und Mühe die Problemanalyse durchgeführt oder das Quellenprogramm konzipiert worden sei. Ebenso befanden es die Richter für unerheblich, ob die Aufgabenstellung neu war und einer genialen Eingebung bedurfte.

Demnach wäre ein Computerprogramm nach dem Urheberrecht beispielsweise gegen eine Verwertung in identischer oder abgeänderter Form durchaus abgesichert, nicht geschützt dagegen ist etwa bei spezieller Software die Idee oder der dem Programm zugrunde liegende Algorithmus.

Softwerker über starre Gesetzgebung verärgert

So ist es nicht verwunderlich, daß in der DV-Branche der Ruf nach einem Sonderrecht zunehmend lauter wird. Es mehren sich die ärgerlichen Stimmen aus den Programmierküchen, die energisch verlangen, gegen Software-Diebstähle auf eine einfachere Weise vorgehen zu können, als es bisher der Fall ist.

Inzwischen beschäftigten sich ganze Heerscharen von internationalen Spezialisten mit den leidigen Problemen zum Schutz ihrer hochempfindlichen Wirtschaftsgüter, so unter anderem die UNESCO, das japanische Ministerium für internationalen Handel und Industrie (MITI), die EG und der Rechtsausschuß des deutschen Bundestages.

Auch einem demnächst anstehenden Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes (BGH) sieht die Fachwelt mit Spannung entgegen, von dem sie sich eine zukunftsweisende Entscheidung erhofft.

Nachdem allerdings ein artverwandter Fall - es ging um die Urheberrechtsfähigkeit von Ausschreibungsunterlagen für den Bau einer Pipeline - kürzlich vor dem BGH an der fehlenden "notwendigen persönlichen geistigen Schöpfung" des Schriftwerks scheiterte, haben Kenner der Materie viel von ihrer Zuversicht eingebüßt.

Übertragen auf die Problemstellung in der Datenverarbeitung würde das ergangene BGH-Urteil bedeuten, daß ein Urheberrechtsschutz nur ganz wenigen Computerprogrammen gewährt werden kann: Sie müßten nämlich hinsichtlich ihrer Formgestaltung "eine das durchschnittliche Programmiererschaffen bei der Software-Erstellung deutlich überragende individuelle Eigenart" und eine besonders geistvolle Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes" aufweisen.

Und das wäre nach Meinung von Experten wohl ein "gewaltiger Rücksprung in die Zukunft .