BMFT-Projekte können in der Industrie mehr Probleme aufwerfen als lösen:

Software-Fördergelder für die Katz

27.04.1984

Es wird wieder gefördert: Bis zum Jahre 1988 werden vom Bundesmisterium für Forschung und Technik (BMFT) rund drei Milliarden Mark an Fördergeldern auf Projekte der Informationstechnik verteilt. Albrecht Franck, Geschäftsführer der Franck KG, Hagen, nimmt den angekündigten "Schluck aus der Pulle" zum Anlaß, die wirtschaftlichen Ergebnisse Vorläufer - DV-Programme der Bundesregierung - kritisch unter die Lupe zu nehmen. Der Autor zieht am Beispiel der Programmiersprache "Pearl" eine traurige Bilanz.

Ist die Marktdominanz der IBM durch die DV-Programme der Bundesregierung in irgendeiner Form berührt oder gar erschüttert worden? Die Klagen und Argumente der Mitbewerber, die bisher jedes DV-Programm einleiteten, ähneln im Jahr 1984 denen am Ende der 60er Jahre.

Abgesehen von der Frage der Effizienz können geförderte Projekte industriellen Bereich mehr Problem aufwerfen als lösen. Ein Beispiel die Programmiersprache "Pearl", deren Entwicklung das BMFT mit insgesamt 37 Millionen Mark förderte.

"Pearl" steht für Process and Experiment Automation Realtime Language. Es handelt sich um ein problemorientierte Hochsprache angelehnt an PL/ 1.

Die Entwicklung von "Pearl" begann Anfang der 70er Jahre, die ersten Projekte wurden etwa 1975 realisiert. Parallel zur Sprachentwicklung wurden Compiler, Linker, Utilities und Betriebssysteme entwickelt. Die parallelen Entwicklungen waren aus damaliger Sicht notwendig, weil Betriebssysteme, die die Leistungsfähigkeit von "Pearl" ausschöpften, zunächst nicht existierten.

Eines der führenden Unternehmen, das "Pearl" entwickelte und mithin zum Kern der "Zuwendungsempfänger" des Förderbereiches "Prozeßlenkung mit DV-Anlagen" zählte, war Brown, Boveri & Cie AG (BBC), Mannheim. BBC entschied sich für DEC-Hardware und modelte das DOS-Betriebssystem in eine realzeitfähige Version mit Namen PAS als Basis für die Programmiersprache "Pearl" um.

Die Einbindung von "Pearl" in das DOS-Umfeld war verständlich, erwies sich jedoch als problematisch, als im Jahr 1975 das Betriebssystem "RSX 11M" entwickelt wurde, da sich in den folgenden Jahren zum leistungsfähigen und weit verbreiteten Realzeit-Betriebssystem mauserte.

Versiegende Quelle stoppt Interessenten

1981 lief das DV-Förderungsprogramm aus. Mit den versiegende Fördergeldern sank das Interesse der meisten "Zuwendungsempfänger", obgleich die Sprachentwicklung selbst ein Niveau erreichte, das, zum Beispiel Realzeit-Fortran, zumindest ebenbürtig war.

Auch BBC verabschiedete sich von der Pearl-Front und programmiert heute vergleichbare Projekte unter "RSX 11M" in Fortran. Andere Unternehmen folgten. Nur in seltenen Fällen wird "Pearl" heute noch angeboten, so etwa im Jahre 1983 in einem lagertechnischen Großprojekt.

"Alternative technische Entwicklungen" sind das Hauptargument, das die Einstellung begründet. Die Frage ist jedoch, ob eine Firma wie BBC die nicht gerade bekannt war für die Entwicklung von leistungsfähigen Programmiersprachen - überhaupt mit "Pearl" begonnen beziehungsweise "Pearl" sang- und klanglos eingestellt hätte, wenn die Entwicklung nicht durch öffentliche Fördergelder subventioniert worden wäre.

Zudem spielt auch eine Rolle, daß die BBC "Pearl" zwischenzeitlich auch in industriellen Projekten einsetzte. Die sich hieraus ergebende Problematik verdeutlicht das folgende Beispiel: Ein Betreiber eines automatisierten Lager- und Kommissioniersystems mit "Pearl- Programmierung benötigte dringend eine Programmerweiterung, die ihm von der Firma BBC für einen horrenden Betrag angeboten wurde. Daraufhin suchte der Betreiber sich einen Wettbewerber und fand ihn schließlich in der Firma Franck KG, dem Planverfasser des Automatisierungssystems. Die Franck KG sah sich einigen Schwierigkeiten gegenüber: So waren Programmierhilfen wie Editor, Dump oder Dateien-Prüf-Programme auf DOS-Basis aufgebaut, das heißt, sie waren seit sieben Jahren veraltet.

Die Dokumentation des Compilier-Verfahrens entstammte einer Vorversion, die Beschaffung der aktuellen Programmdokumentation war kostenpflichtig. Zudem war der von BBC gelieferte Compiler defekt. Für eine Kopie eines funktionsfähigen Compilers wurden 5000 Mark in Rechnung gestellt, ein Betrag, der normalerweise für eine Update-Version eines aktuellen Betriebssystems bezahlt wird.

Zur Feststellung der ohnehin bekannten Störungen wurde Systemunterstützung von BBC angeboten - zu einem Stundensatz von 185 Mark.

Flotte Sprüche entscheiden

Die genannten Beträge nehmen sich bescheiden aus gegenüber den gesamten Mehrungen. Lassen wir jedoch die Problematik aus der Sicht des Betreibers Revue passieren: Der Kunde entscheidet sich für "Pearl" aufgrund flotter Sprüche wie: "Das Ziel der flexiblen und preisgünstigen Software erreichte BBC durch die Verwendung einer höheren problemorientierten Programmiersprache und durch Entwicklung mächtiger und anwenderfreundlicher Systemprogramme."

Die Anwendungsprogrammierung wird erheblich teurer als ursprünglich angeboten; der Pearl-Compiler schlägt allein mit 85 000 Mark zu Buche.

Der notwendige Änderungsaufwand ist wegen der fehlenden Aktualisierung des Betriebssystems und wegen des Mangels an kompetenten Pearl- und PAS-Spezialisten enorm.

In absehbarer Zeit, spätestens zum Zeitpunkt des Ersatzes der Hardware, muß der Kunde die gesamte Anwendungssoftware neu schreiben lassen (mit Sicherheit nicht in Pearl); für ihn erschreckend, da der Anlagenbetrieb nicht unterbrochen werden kann.

Spielwiese für die einen - substantielle Probleme für die anderen: eine traurige Bilanz eines Teils der 37 Millionen Mark Fördergelder.