Metamodell erlaubt Methodenvergleich

Software-Entwicklungsverfahren lassen sich einheitlich beschreiben

25.12.1992

Euromethod ist ein Projekt für die EG-weit vereinheitlichte und verständliche Beschreibung von Methoden zur Software-Entwicklung. Klaus Plögert* informiert über Planung und Stand der Arbeiten uns stellt dar, was der neue Standard für Auftraggeber aus Verwaltung und Industrie bedeuten wird.

Derzeit werden in den EG-Staaten viele verschiedene Software-Entwicklungsmethoden verwendet, die sich ,jeweils noch in mehrere Dialekte gliedern. In England kommt vor allem SSADM, in Frankreich Merise, in Holland SDM, in Spanien Mein und in Italien Dafne zum Einsatz. In Deutschland gibt es kein marktbeherrschendes Verfahren.

Diese Situation ist im kommenden Binnenmarkt nicht tragbar. Wie sollen sich Auftraggeber eines europaweit ausgeschriebenen IT-Projekts entscheiden, wenn aus mehreren europäischen Mitgliedsstaaten Angebote eingehen? Kann ein multinationales Auftragnehmer-Konsortium Teile eines IT-Vorhabens mit je unterschiedlichen Methoden realisieren und gewährleisten, daß am Ende alles zusammenpaßt? Vor dem Hintergrund solcher Fragen trat 1988 eine Reihe von EG-Mitgliedsländern mit dem Wunsch einer Harmonisierung oder zumindest Vergleichbarkeit der Entwicklungsmethoden an die EG-Kommission heran.

Militärischer Standard für die allgemeine Verwaltung

In Deutschland wurde im wehrtechnischen Bereich ein verbindlicher Entwicklungsstandard, das sogenannte V-Modell (Vorgehensmodell), für alle Softwarevorhaben eingeführt. Angesichts der guten Akzeptanz beschloß das Bundesministerium des Innern (BMI) und darin die Koordinierungs- und Beratungsstelle für die Datenverarbeitung (KBSt), den militärischen Standard auch für die Belange der allgemeinen Verwaltung zu adaptieren.

Diese Anpassung wurde von der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG) durchgeführt. Die Arbeiten sind mittlerweile abgeschlossen, so daß jetzt ein gemeinsamer Software-Entwicklungsstandard zur Verfügung steht, der von der gesamten Bundesverwaltung und dem wehrtechnischen Bereich genutzt werden kann. Die Länder überprüfen derzeit die Möglichkeit, das V-Modell in ihren Verwaltungen zu übernehmen.

Die Vorteile dieser ungewöhnlichen Kooperation sind unschätzbar. In allen anderen

EG-Ländern differieren die Software-Entwicklungsmethoden von Militär, ziviler Verwaltung und Industrie erheblich. In Frankreich zum Beispiel wird im militärischen Umfeld nach dem Softwarestandard GAM Tl7 entwickelt und in der Industrie beziehungsweise beim öffentlichen Auftraggeber nach Merise. Für Firmen, die sowohl für den militärischen als auch den zivilen öffentlichen Auftraggeber tätig sind, ist der Zwang, nach zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen zu arbeiten eine große Bürde.

Das vereinheitlichte V-Modell ist vom BMI, dem deutschen Interessenvertreter im Euromethod-Projekt, als deutscher Standardisierungsbeitrag eingebracht worden.

Hilfsmittel zum Methodenvergleich

Zielsetzung von Euromethod ist es, den öffentlichen Auftraggebern bei Ausschreibungen ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, um die für das Projekt geeigneten Aktivitäten und EntwickIungsdokumente unabhängig von der Software-EntwickIungsmethode auszuwählen, die der IT-Lieferant verwendet. Es soll eine Art Metamodell entstehen, auf das alle in den EG-Staaten verwendeten IT-Methodiken abbildbar sein müssen. Dabei will und kann Euromethod keine weitere neue Methode sein, sondern lediglich ein Hilfsmittel, um verschiedene nationale Methoden miteinander vergleichen und die für ein Projekt erforderlichen Aktivitäten und Produkte herausfinden zu können.

Sicherlich könnte man eine solche Metamethode auch zu einem eigenständigen Arbeitsmittel ausbauen und damit zu einem Entwicklungsstandard kommen, in den alle Vorzüge der verschiedenen europäischen Methoden integriert sind. Das ist jedoch derzeit nicht vorgesehen. Es wäre auch sicher mittelfristig nicht durchsetzbar, wenn man die weitgehende Marktdurchdringung von Merise und SSADM betrachtet.

Das zu erstellende Metamodell wird im Euromethod-Projekt als Structural Model bezeichnet und steht für Basisaktivitäten, Arbeitsergebnisse (Produkte), verschiedene Prozeßmodelle (Wasserfall, Spiralmodell etc.), Anpassungsfaktoren (Risiken, Problemen, Beschränkungen etc.) und letztlich aus Anweisungen, wie die verschiedenen Grundbestandteile auf ein prozeßspezifisches Modell abgebildet werden können (vgl. Abbildung).

Sehr nützlich, wäre es außerdem, die Begriffsvielfalt in der IT-Welt zu vereinheitlichen und ein europaweites Begriffsglossar zu schaffen, das dem öffentlichen Auftraggeber ein einheitliches Verständnis und eine standardgemäße Beschreibung seines Bedarfs ermöglicht.

Euromethod kommt 1995

Das Projekt gliedert sich in insgesamt vier Phasen. Hiervon sind zwei bereits abgeschlossen.

- Phase 1 (1988 -1989): Die Mitgliedsländer formulieren gemeinsam die Anforderungen an das Projekt.

- Phase 2 (1989-1991): Eine Studie zur Durchführbarkeit und Realisierung wird erarbeitet.

- Phase 3a (1992 - Anfang 1994): Eine erste Erprobungsversion wird entwickelt.

- Phase 3b (1994-1995): Hier erfolgt der Vollausbau von Euromethod.

Weitere Phasen schließen sich gegebenenfalls an.

Die Leistungen der Phase 3a hat die EG-Kommission im Herbst 1991 öffentlich

ausgeschrieben. Der Text war so gehalten, daß sich nur multinationale Konsortien bewerben konnten, die über gute Kenntnisse des in den europäischen Ländern verwendeten Methodenspektrums verfügten.

Bei der Bewertung der Angebote wurde die Kommission der EG (KEG) von einem multinationalen Gremium der öffentlichen Auftraggeber beraten. Den Zuschlag erhielt in, Frühjahr 1992 das Eurogroup-Konsortium unter Führung der Sema Group in Paris. Das Projektteam hat sich im Sommer dieses Jahres in Paris etabliert und bearbeitet seit diesem Zeitpunkt die vorgegebene Aufgabenstellung. Die für diesen Projektabschnitt veranschlagten Mittel belaufen sich auf knapp drei Millionen ECU.

Unter der Leitung von Sema Group beteiligen sich Dänemark, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Holland, England und Deutschland an dem Vorhaben. Das Team bedient sich der Kenntnisse von Spezialisten aus einem sogenannten Expertenpool. Fachwissen für das deutsche Vorgehensmodell bringt die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG) aus Ottobrunn in das Projekt ein.

Die Ergebnisse des Projektteams prüft eine externe Review-Gruppe, bevor sie an das Vertretungsgremium der EG-Mitgliedsstaaten übergeben werden.

Auf Auftraggeberseite betreut das Vorhaben die Public Procurement Group (PPG), die einen Lenkungsausschuß eingesetzt hat, in dem der deutschen Vertretung die Qualitätssicherung zufällt.

Die Abläufe im einzelnen

Zunächst wird als Arbeitsbasis eine gemeinsame Begriffswelt hergestellt. Diese wird über die gesamte Projektlaufzeit hinweg fortgeschrieben und soll später den Anwendern der Projektergebnisse in der Industrie und beim öffentlichen Auftraggeber ein gleiches Verständnis der Sachverhalte ermöglichen.

In einem weiteren Schritt wird versucht, die Anfangsarchitektur von Euromethod (das Structural Model in der Abbildung) zu erstellen. Dies ist ein äußerst komplizierter Prozeß. Ein Experiment ergab, daß der Methodenvergleich auf der Produktebene am ehesten zum Erfolg führt. Im Verlauf des Projekts wird nun versucht, Gemeinsamkeiten in den Aktivitäten und Produkten der verschiedenen Entwicklungsmethoden zu finden. Die derzeit in die Untersuchungen einbezogenen Methoden sind Dafne, IE (Großbritannien), Merise, Mein, SDM, SSADM und das V-Modell. Die festgestellten Übereinstimmungen sind nun die Kandidaten für sogenannte Supertypes, also die Aktivitäten und Produkte des Referenzmodells. Für all diese "Euroaktivitäten", und "-produkte" lassen sich nun die Bezüge zu den jeweiligen nationalen Entwicklungsmethoden herstellen.

Das ermittelte Modell muß dann mit dein Softwarelebenszyklus abgeglichen werden, da der öffentliche Beschaffer mit seiner Software vom Erwerb bis zur Nutzung und später der Aussonderung zu tun hat. Des weiteren ist das Modell mit anderen internationalen Standardisierungsaktivitäten abzugleichen, um keine Widersprüche entstehen zu lassen.

Ergänzend zu dem Metamodell werden dem öffentlichen Beschaffer und dem industriellen Nutzer Anleitungen an die Hand gegeben, wie das Modell anzuwenden ist.