Konsequenzen der Industrialisierung

Software entwickeln ist keine Fließbandarbeit

25.11.2010
Ein Informatiker fragt im Karriereforum, ob sich ein Informatikstudium angesichts der Industrialisierung der Software noch lohnt.

"In der Praxis musste ich erleben, dass Fachinformatiker keine anderen Aufgaben bekommen als Wirtschaftsinformatiker oder Informatiker mit Universitätsabschluss. Gerne wird seitens der Unternehmen die höhere Qualifikation mitgenommen, aber im praktischen Einsatz nivelliert sich das Ganze bezüglich Anforderungen, Ansprüchen und der Bezahlung. Sollte ein Akademiker den Beruf eines Softwareentwicklers noch anstreben oder ist dieser sprichwörtlich verwässert worden in den letzten zehn bis 13 Jahren durch die Möglichkeit, Fachinformatiker einzusetzen? In der Produktion sehe ich - etwas überspitzt formuliert - auch keinen Ingenieur am Fließband sitzen."

Klaus Eberhardt, Geschäftsführer des Münchner Software und Beratungshauses Iteratec, erläutert die Unterschiede bezüglich der Aufgaben für Fachinformatiker (ohne Studium) und Informatiker (mit Studium): "Mit der Industrialisierung der Softwareentwicklung sind wir bisher noch nicht weit gekommen. Das liegt meines Erachtens aber nicht an der mangelnden Fähigkeit dazu, sondern an der permanenten Veränderung der eingesetzten Technologien und den dadurch ausgelösten ständig wachsenden Anforderungen an IT-Systeme. Manche glauben, es sei umgekehrt. Dazu gehöre ich nicht.

Klaus Eberhardt, Iteratec: "Ich glaube an Potenziale, nicht an Zeugnisse."
Klaus Eberhardt, Iteratec: "Ich glaube an Potenziale, nicht an Zeugnisse."
Foto: Iteratec

Wir alle benutzen heute mit großer Selbstverständlichkeit Systeme, von denen wir vor fünf Jahren nur eine vage Idee hatten und vor zehn Jahren nicht zu glauben wagten, dass so etwas einmal realisierbar sein würde. Die Innovationsgeschwindigkeit ist so hoch wie in kaum einer anderen Branche. Quelle dafür sind Hochschulen, Forschungslabore und Industrie gleichermaßen. Fast immer sind akademisch ausgebildete Informatiker maßgeblich daran beteiligt. Sie können oft - nicht immer - mit der steigenden Komplexität der Technologien und der damit entwickelten Systeme am besten umgehen. Hinzu kommt, dass neue Technologien alte nicht unmittelbar ablösen, sondern eine jahre-, manchmal sogar jahrzehntelange Koexistenz stattfindet - ein wichtiger Grund dafür, dass die IT-Landschaft in vielen Unternehmen nicht mehr überschaubar ist.

Zur Beherrschung dieser Komplexität benötigt man viele Eigenschaften wie Abstraktionsvermögen, die Fähigkeit zu strukturieren oder einfach nur, nach gewissen Regeln zu arbeiten. Das sind Eigenschaften, die Mitarbeiter mitbringen, teilweise aber kann man sie sich auch durch Ausbildung oder Praxiserfahrung aneignen. Komplexe Aufgaben ziehen Menschen an, die mit Komplexität umgehen können. Weniger komplexe werden von Menschen erledigt, die das nicht können oder auch nicht wollen.

Früher glaubten viele Firmen, dass für bestimmte Aufgaben nur Mitarbeiter in Frage kommen, die einen Abschluss an einer Universität abgelegt haben, manchmal war sogar eine Promotion Voraussetzung. Fachhochschulabsolventen hatten da überhaupt keine Chance. Diese Erscheinung sehe ich heute in der Informatik gar nicht mehr. Mir ist der Abschluss völlig egal, weil ich sowieso nicht an Zeugnisse glaube, sondern nur an Potenziale. Und die messe ich lieber selber nach (siehe www.iteratec.de/Jobs/Bewerbungsverfahren).

Auch Fachinformatiker mit hohen Potenzialen werden die Chance bekommen, schwierige Aufgaben zu übernehmen. Es dauert eventuell etwas länger, mit Studium wäre es einfacher. Umgekehrt habe ich schon Akademiker kennen gelernt, deren Potenziale eher überschaubar waren. Deshalb würde ich es also nicht am formalen Grad des Ausbildungsabschlusses festmachen, wozu ein Mensch in der Lage ist.

Die methodisch saubere Entwicklung von komplexer Software ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die sehr viel Kommunikation zwischen den Beteiligten und sehr gut ausgebildete Fachkräfte benötigt. Wer das nicht berücksichtigt, riskiert schlechte Qualität der Software und daraus folgend ein schlechtes Image der Informatik in seinem Betrieb. Die Informatiker bei Iteratec - so mein Eindruck -, haben nicht das Gefühl, am Fließband zu sitzen. (hk)