Software-Anwender: Den Herstellern mit vereinten Kräften Paroli bieten

16.03.1984

Jürgen Schlagert, Betriebswirtschaftliches Institut der Deutschen Kreditgenossenschaften BIK GmbH

Die Software auf "Knopfdruck" - der Traum eines jeden DV-Managers. Die gesamte EDV-Welt

ruft zur Zeit unüberhörbar nach der totalen maschinellen Unterstützung bei der Entwicklung von

Informationssystemen. Wenn möglich, soll dabei der gesamte Entwicklungsprozeß von der

Informationsbedarfsanalyse bis zum einsatzfertigen Programm unterstützt, überwacht, sozusagen

projektbegleitend automatisiert werden. Kann es in naher Zukunft so etwas geben?

"Natürlich", werden viele Softwarehersteller ausrufen - in unserem Produkt ist all das

verwirklicht. Ist es tatsächlich so, oder sind da etwa Lücken, die tunlichst verschwiegen werden? Ich

möchte hier einige Fragen aufwerfen, deren Beantwortung für das EDV-Management äußerst wichtig ist.

1. Wie passen solche "Monster" in die bestehende Software-Landschaft des Unternehmens?

In den meisten Fällen ist die DV-Abteilung mit den Jahren gewachsen und hat sich eigene, nicht

unbedingt schlechte Standards geschaffen. Ein Austausch und ein Umdenken im großen Stil stößt auf kaum

lösbare Akzeptanzprobleme.

2. Welche ablauforganisatorischen oder strukturellen Maßnahmen müssen ergriffen werden?

In den meisten Fällen führt der Kauf großer Systeme dieser Art zwangsläufig zu

Umstrukturierungen im Unternehmen. Dies wird sehr oft von den Herstellern bestritten, da es sonst

eventuell nicht zum Abschluß käme.

3. Welche Folgekosten entstehen durch die Einführung eines solchen Produktes?

Sehr oft liegen die Folgekosten für Schulung, Einführung, Umstrukturierung und organisatorische

Maßnahmen um ein mehrfaches höher als der Kaufpreis für das Produkt. Ist die beim Kauf versprochene

Effektivität dann noch gewährleistet?

4. Erkauft sich das Unternehmen vielleicht die Unabhängigkeit vom Programmierer dafür aber die

Abhängigkeit vom Hersteller?

Oft bringt die Einführung der Produkte immense interne Schwierigkeiten mit sich. Natürlich ist der

Hersteller bereit, diese und andere Probleme zu lösen - gegen gutes Honorar.

Anwenderwünsche werden auf Kongressen und Tagungen natürlich auch erfragt und finden in

einer kostenpflichtigen Erweiterung ihren Niederschlag.

5. Ist die Methode, die durch das System unterstützt wird auch manuell und schrittweise nachvollziehbar?

Zufriedenheit des Kunden als oberstes Gebot

Sogenannte "Black-box"-Systeme haben den Nachteil, daß sie schlecht zu begreifen sind. Das

Wort "begreifen" muß hier im wahrsten Sinne des Wortes gesehen werden. Denn läßt sich eine Methode

nicht manuell nachvollziehen und erklären, so wird sie in den meisten Fällen auch maschinell nicht

akzeptiert.

Mit Sicherheit gibt es noch mehr Fragen, die für einen sinnvollen und erfolgreichen Einsatz

notwendig sind. Einige wenige Überlegungen aber sind durchaus abzuleiten und können mit Sicherheit in

manchen Fällen vor einer Fehlinvestition schützen. Oft läuft die Installation umfangreicher Produkte nach

den fünf Phasen Anhören, Kaufen, Schulen, Bezahlen, nicht nutzen ab und führt auf beiden Seiten zu

Unzufriedenheit. Die Fehler liegen sich nicht nur auf einer Seite, doch darf allein der Verkaufserfolg nicht

das ausschlaggebende Moment sein. Hier muß die Zufriedenheit des Kunden im Vordergrund stehen, sonst

wird Unglaubwürdigkeit provoziert.

Dem Motto "Ein unzufriedener Kunde ist ein schlechter Kunde (in Wirklichkeit eine schlechte

Referenz)" muß viel mehr Bedeutung beigemessen werden, als es zur Zeit praktiziert wird. Deshalb möchte

ich für die Entscheidungsfindung des Kunden einige Schwerpunkte aufzeigen, die zu beachten sind:

- Sind die organisatorischen Voraussetzungen für die Einführung eines umfangreichen Systems zur

Software-Entwicklung vorhanden?

- Ist eine schriftlich fixierte Einführungsstrategie von der Probeinstallation bis zum täglichen Betrieb des

Produktes vorhanden und kann dieser Stufenplan ohne Druck von außen durchgeführt werden?

- Kann durch eine Kosten/ Nutzen-Analyse nachgewiesen werden, daß das einzusetzende Produkt

überhaupt den Punkt "Return of Investment" erreicht?

- Welche Möglichkeiten bestehen, um die bereits installierten Produkte, die das gleiche

Anwendungsgebiet betreffen, ohne großen Aufwand zu integrieren?

- Wie hoch ist der zusätzliche Aufwand in Form von ablauforganisatorischen Veränderungen, Schulung

des Produktes, Änderung bestehender Richtlinien, Betreuung der Anwender, zusätzlicher Hardware sowie

zusätzlichen Mitarbeitern zu bewerten, und welche Auswirkungen hat dies auf den Zeitpunkt der

Einführung?

- Reicht überhaupt die Zeit aus, um das Produkt in der vom Hersteller vorgegebenen Zeit auf seine

Funktionstüchtigkeit zu überprüfen?

- Können mit einem geeigneten Pilotprojekt sämtliche Funktionen des Systems überprüft und beurteilt

werden?

- Wird die Entscheidung für das Produkt vom gesamten Management getragen und notfalls auch gegen

Widerstände durchgesetzt?

Interessen gemeinsam durchsetzen

Bei genauerer Betrachtung dieser Punkte läßt sich oft eine verblüffende Ähnlichkeit mit den

vorgelagerten Aktivitäten eines Phasenmodells feststellen. In den meisten Fällen sind in der "Vorstudie"

oder "Voruntersuchung" all diese Aktivitäten enthalten. Deshalb sollte man sich nicht davor scheuen, diese

Checklisten oder Vorgehensweisen auch für den Entscheidungsprozeß zum Einsatz von umfangreichen

Software-Systemen zu nutzen. Ich bin überzeugt, daß das Untersuchungsergebnis dadurch sehr viel

sicherer und aussagefähiger ist als jede andere spontane Entscheidung. Den Herstellern solcher komplexen

.Systeme muß deshalb auch abverlangt werden, daß die Probezeit flexibel zu gestalte n ist, die kostenlose

Unterstützung während der Untersuchungsphase geregelt wird sowie der Einführungstermin durch

vertragliche Regelung vom Kunden bestimmt werden kann.

Maschinelle Unterstützung bei der Software-Entwicklung ist eine gute und legitime; Forderung

des DV-Managements. Das Abwägen aller Argumente für oder gegen ein solches System muß planerisch

und exakt durchgeführt werden, damit eine Fehlinvestition vermieden wird.

Einigkeit macht stark. Deshalb ist es sinnvoll, daß einige Kunden mit gleichen Interessen sich

zusammenschließen, um gemeinsam Softwareprodukte zu untersuchen und um Anforderungen an

zukünftige Produkte zu erstellen. Solche Gremien zu installieren und funktionsfähig zu halten ist nicht

Aufgabe der Softwarehersteller, sondern einer neutralen Institution. Ich habe momentan den Eindruck, daß

das Wort "lngenieur" von vielen Softwareherstellern zu w örtlich genommen wird, denn bis ins 18.

Jahrhundert hatte es unter anderem die Bedeutung "Kriegsbaumeister" .