Jürgen Schlagert, Betriebswirtschaftliches Institut der Deutschen Kreditgenossenschaften BIK GmbH
Die Software auf "Knopfdruck" - der Traum eines jeden DV-Managers. Die gesamte EDV-Welt
ruft zur Zeit unüberhörbar nach der totalen maschinellen Unterstützung bei der Entwicklung von
Informationssystemen. Wenn möglich, soll dabei der gesamte Entwicklungsprozeß von der
Informationsbedarfsanalyse bis zum einsatzfertigen Programm unterstützt, überwacht, sozusagen
projektbegleitend automatisiert werden. Kann es in naher Zukunft so etwas geben?
"Natürlich", werden viele Softwarehersteller ausrufen - in unserem Produkt ist all das
verwirklicht. Ist es tatsächlich so, oder sind da etwa Lücken, die tunlichst verschwiegen werden? Ich
möchte hier einige Fragen aufwerfen, deren Beantwortung für das EDV-Management äußerst wichtig ist.
1. Wie passen solche "Monster" in die bestehende Software-Landschaft des Unternehmens?
In den meisten Fällen ist die DV-Abteilung mit den Jahren gewachsen und hat sich eigene, nicht
unbedingt schlechte Standards geschaffen. Ein Austausch und ein Umdenken im großen Stil stößt auf kaum
lösbare Akzeptanzprobleme.
2. Welche ablauforganisatorischen oder strukturellen Maßnahmen müssen ergriffen werden?
In den meisten Fällen führt der Kauf großer Systeme dieser Art zwangsläufig zu
Umstrukturierungen im Unternehmen. Dies wird sehr oft von den Herstellern bestritten, da es sonst
eventuell nicht zum Abschluß käme.
3. Welche Folgekosten entstehen durch die Einführung eines solchen Produktes?
Sehr oft liegen die Folgekosten für Schulung, Einführung, Umstrukturierung und organisatorische
Maßnahmen um ein mehrfaches höher als der Kaufpreis für das Produkt. Ist die beim Kauf versprochene
Effektivität dann noch gewährleistet?
4. Erkauft sich das Unternehmen vielleicht die Unabhängigkeit vom Programmierer dafür aber die
Abhängigkeit vom Hersteller?
Oft bringt die Einführung der Produkte immense interne Schwierigkeiten mit sich. Natürlich ist der
Hersteller bereit, diese und andere Probleme zu lösen - gegen gutes Honorar.
Anwenderwünsche werden auf Kongressen und Tagungen natürlich auch erfragt und finden in
einer kostenpflichtigen Erweiterung ihren Niederschlag.
5. Ist die Methode, die durch das System unterstützt wird auch manuell und schrittweise nachvollziehbar?
Zufriedenheit des Kunden als oberstes Gebot
Sogenannte "Black-box"-Systeme haben den Nachteil, daß sie schlecht zu begreifen sind. Das
Wort "begreifen" muß hier im wahrsten Sinne des Wortes gesehen werden. Denn läßt sich eine Methode
nicht manuell nachvollziehen und erklären, so wird sie in den meisten Fällen auch maschinell nicht
akzeptiert.
Mit Sicherheit gibt es noch mehr Fragen, die für einen sinnvollen und erfolgreichen Einsatz
notwendig sind. Einige wenige Überlegungen aber sind durchaus abzuleiten und können mit Sicherheit in
manchen Fällen vor einer Fehlinvestition schützen. Oft läuft die Installation umfangreicher Produkte nach
den fünf Phasen Anhören, Kaufen, Schulen, Bezahlen, nicht nutzen ab und führt auf beiden Seiten zu
Unzufriedenheit. Die Fehler liegen sich nicht nur auf einer Seite, doch darf allein der Verkaufserfolg nicht
das ausschlaggebende Moment sein. Hier muß die Zufriedenheit des Kunden im Vordergrund stehen, sonst
wird Unglaubwürdigkeit provoziert.
Dem Motto "Ein unzufriedener Kunde ist ein schlechter Kunde (in Wirklichkeit eine schlechte
Referenz)" muß viel mehr Bedeutung beigemessen werden, als es zur Zeit praktiziert wird. Deshalb möchte
ich für die Entscheidungsfindung des Kunden einige Schwerpunkte aufzeigen, die zu beachten sind:
- Sind die organisatorischen Voraussetzungen für die Einführung eines umfangreichen Systems zur
Software-Entwicklung vorhanden?
- Ist eine schriftlich fixierte Einführungsstrategie von der Probeinstallation bis zum täglichen Betrieb des
Produktes vorhanden und kann dieser Stufenplan ohne Druck von außen durchgeführt werden?
- Kann durch eine Kosten/ Nutzen-Analyse nachgewiesen werden, daß das einzusetzende Produkt
überhaupt den Punkt "Return of Investment" erreicht?
- Welche Möglichkeiten bestehen, um die bereits installierten Produkte, die das gleiche
Anwendungsgebiet betreffen, ohne großen Aufwand zu integrieren?
- Wie hoch ist der zusätzliche Aufwand in Form von ablauforganisatorischen Veränderungen, Schulung
des Produktes, Änderung bestehender Richtlinien, Betreuung der Anwender, zusätzlicher Hardware sowie
zusätzlichen Mitarbeitern zu bewerten, und welche Auswirkungen hat dies auf den Zeitpunkt der
Einführung?
- Reicht überhaupt die Zeit aus, um das Produkt in der vom Hersteller vorgegebenen Zeit auf seine
Funktionstüchtigkeit zu überprüfen?
- Können mit einem geeigneten Pilotprojekt sämtliche Funktionen des Systems überprüft und beurteilt
werden?
- Wird die Entscheidung für das Produkt vom gesamten Management getragen und notfalls auch gegen
Widerstände durchgesetzt?
Interessen gemeinsam durchsetzen
Bei genauerer Betrachtung dieser Punkte läßt sich oft eine verblüffende Ähnlichkeit mit den
vorgelagerten Aktivitäten eines Phasenmodells feststellen. In den meisten Fällen sind in der "Vorstudie"
oder "Voruntersuchung" all diese Aktivitäten enthalten. Deshalb sollte man sich nicht davor scheuen, diese
Checklisten oder Vorgehensweisen auch für den Entscheidungsprozeß zum Einsatz von umfangreichen
Software-Systemen zu nutzen. Ich bin überzeugt, daß das Untersuchungsergebnis dadurch sehr viel
sicherer und aussagefähiger ist als jede andere spontane Entscheidung. Den Herstellern solcher komplexen
.Systeme muß deshalb auch abverlangt werden, daß die Probezeit flexibel zu gestalte n ist, die kostenlose
Unterstützung während der Untersuchungsphase geregelt wird sowie der Einführungstermin durch
vertragliche Regelung vom Kunden bestimmt werden kann.
Maschinelle Unterstützung bei der Software-Entwicklung ist eine gute und legitime; Forderung
des DV-Managements. Das Abwägen aller Argumente für oder gegen ein solches System muß planerisch
und exakt durchgeführt werden, damit eine Fehlinvestition vermieden wird.
Einigkeit macht stark. Deshalb ist es sinnvoll, daß einige Kunden mit gleichen Interessen sich
zusammenschließen, um gemeinsam Softwareprodukte zu untersuchen und um Anforderungen an
zukünftige Produkte zu erstellen. Solche Gremien zu installieren und funktionsfähig zu halten ist nicht
Aufgabe der Softwarehersteller, sondern einer neutralen Institution. Ich habe momentan den Eindruck, daß
das Wort "lngenieur" von vielen Softwareherstellern zu w örtlich genommen wird, denn bis ins 18.
Jahrhundert hatte es unter anderem die Bedeutung "Kriegsbaumeister" .