IT made in Germany/ERP-Anbieter zwischen SAP und Microsoft

Soft M: "Wir würden nie auf Microsoft setzen"

24.09.2004
Brain, Infor, Varial, Soft Research, s+p haben ihre Selbstständigkeit verloren und bedrängen ihre früheren Mitbewerber jetzt unter dem Dach von großen Konzernen. Gleichzeitig hat Software-Riese Microsoft seinen Großangriff auf dieses Marktsegement begonnen und Branchenprimus SAP lässt auch nicht nach. Von allen Seiten bedrängt, gibt sich Ralf Gärtner, Vorstand Marketing und Vertrieb der Münchner SoftM AG, gelassen. Von Hermann Gefaller*

CW: Glauben Sie, die Konsolidierung im ERP-Markt ist jetzt langsam abgeschlossen?

GÄRTNER: Nein, der Prozess ist im Gang und wird sich fortsetzen.

CW: Wird Ihr Unternehmen auch gekauft?

GÄRTNER: Nein, wir gehören eher zu denen, die kaufen. Wir haben genug Kapital und sind gegen feindliche Übernahmen gesichert, weil nur 40 Prozent der Aktien im freien Handel sind.

CW: Schaden die Übernahmen dem Software-standort Deutschland?

GÄRTNER: Konsolidierung ist ein Zeichen für Reife. Seit spätestens 2001 ist das ERP-Geschäft kein Verkäufer-, sondern ein Käufermarkt.

CW: Was meinen Sie damit?

GÄRTNER: Früher war das Problem der Anbieter, genug Leute für die Kundenprojekte zu finden, heute müssen wir nach Kunden suchen. Sprich: Es gibt für den Markt zu viele Produkte, und deshalb müssen einige verschwinden. Übrig bleiben die leistungsfähigen Produkte und die, deren Markt groß genug ist.

CW: Viele der Aufkäufer sind ausländische, insbesondere US-Unternehmen wie Microsoft, SSA und Agilisys. Schwächt die Konsolidierung den deutschen Markt?

GÄRTNER:Es gibt weltweit sonst kein Land mit ähnlich vielen leistungsfähigen ERP-Systemen. Sie werden gekauft, weil es den US-Anbietern bislang nicht richtig gelungen ist, mit eigenen Produkten zu reüssieren. Das gilt für Peoplesoft und J.D. Edwards, oder auch SSA vor der Baan-Übernahme. Das spricht für den Technologiestandort Deutschland.

CW: Liegt darin eine Exportchance?

GÄRTNER: Klar. SAP hat sie genutzt, aber auch andere. Allerdings gibt es die vielen länderspezifischen Regeln und Gesetze, die es zu beachten gilt. Die damit verbundenen Investitionen sind für viele mittelständische Anbieter zu hoch.

CW: Führt der Konsolidierungsprozess nicht dazu, dass die hier zu Lande oft gerühmte Kundennähe verloren geht?

GÄRTNER:Als Varial und Infor von Agilisys gekauft wurden, waren das längst nicht mehr die Anbieter um die Ecke. Richtig ist aber auch, dass die Produktpolitik dieser und anderer Firmen von den Anforderungen der hiesigen Kunden geprägt war. Die jetzigen Besitzer haben hier wahrscheinlich andere Ziele. Auch wenn Deutschland nach den USA der größte ERP-Absatzmarkt ist, geht es um globalere Märkte und auch um Shareholder Value. Die Entwicklung wird nicht mehr nur von deutschen Wünschen getrieben. Es ist daher durchaus zu erwarten, dass die Qualität - gemessen an der Kundenzufriedenheit - abnimmt.

CW: Während große und mittlere Unternehmen heute fast alle betriebswirtschaftliche Software einsetzen, besteht bei kleineren Unternehmen noch Nachholbedarf.

GÄRTNER: Bei den kleinen Firmen stimmt das sicher. Wenn Sie als Anbieter von ERP-Produkten tatsächlich Massengeschäft machen wollen, dann müssen Sie das über Händler und Partner tun.

CW: Ist Microsofts derzeitiges Vorzeigeprodukt Navision für diese Klientel nicht etwas zu mächtig?

GÄRTNER: Navision lässt sich auch für kleine Unternehmen konfigurieren, reicht aber relativ weit in den oberen Mittelstand hinein. Wenn ich bei Microsoft etwas zu sagen hätte, würde ich den Markt aufteilen: die kleineren Kunden über den Handel betreuen, die größeren mit eigenen Ressourcen. Beide Märkte lassen sich kaum mit derselben Strategie adressieren.

CW: Wie gefährlich ist Microsoft?

GÄRTNER: Die Konkurrenz ist ernst zu nehmen. Microsoft wird sicher seine Navision-Präsenz noch ausbauen können. Ich erwarte, dass es mittelfristig im Bereich von Sage- KHK und darüber hinaus dominieren wird. Für Anbieter in der PC-Kategorie ist die Situation sicher ernst. Unternehmen mit unserer Ausrichtung werden eher mit SAP im Wettbewerb liegen.

CW: Helfen aktuelle Techniken wie das preisgünstige Linux, die flexible Java-Architektur oder der nahezu kostenlose Browser als Frontend im Wettbewerb mit Microsoft und SAP?

GÄRTNER: Erfolgreich werden Unternehmen sein, die in ihrem Bereich ein Höchstmaß an Funktionalität bieten. Das ist es, was die Anwender zuallererst wollen. Erst danach kommt der Wunsch nach einer offenen und flexiblen Architektur.

CW: Bleiben wir bei der Technik: Liegt die Zukunft bei Java oder bei Microsofts .Net?

GÄRTNER: Es gibt Kunden, die verlangen den .Net-Kurs, weil sie wissen, dass es Microsoft auch noch in zehn Jahren gibt. Andere bestehen auf Offenheit. Das sind Glaubenskriege. Auf Anbieterseite aber muss man sich die Frage stellen: Wenn Microsoft seine ERP-Pakete zu einem eigenen .Net-Produkt - wie geplant - zusammenfasst, welche Existenzberechtigung hat dann ein zusätzliches .Net-Paket anderer Anbieter? Rücksichtnahme von Seiten Microsoft ist nicht unbedingt zu erwarten. Das bedeutet, auch der Kunde muss sich überlegen: Wird es in fünf Jahren noch .Net-Pakete geben, die nicht von Microsoft sind? Nach Investitionssicherheit klingt das nicht.

CW: Wie verhält sich Soft M?

GÄRTNER: Da Microsoft in unserem Markt aktiv ist, würden wir nie auf .Net setzen.

CW: Verstehe ich richtig, dass Microsofts ERP-Engagement die gesamte Branche in Richtung Java drängt?

GÄRTNER: So ist die Logik. Und auch die Anfragen nach offenen Plattformen von Anwenderseite haben mit dem Microsoft-Engagement zu tun.

CW: Wir haben über Microsoft geredet. Wie aber wehrt man sich gegen die SAP-Dominanz?

GÄRTNER: Mit Qualität, insbesondere bei der Produkteinführung. Überall, wo SAP mit Partnern arbeiten muss, können wir als Hersteller mit eigener Beratung besser sein, sprich im Mittelstand. Die hohen funktionalen Erwartungen der Kunden habe ich ebenfalls schon erwähnt. Hier muss man sich spezialisieren, die Sprache der Anwender sprechen und ihre Prozesse genau kennen. In unserem Fall sind das Handel und Prozessindustrie. Hier kann SAP mit seinen Add-ons nicht die gleiche Funktionalität erreichen. Und schließlich haben wir nicht den Ballast eines Rundumpakets.

CW: Als Hauptproblem der mittelständischen Softwareindustrie werden immer wieder die politischen Rahmenbedingungen und die schwierige Finanzbeschaffung genannt. Wie sehen Sie das?

GÄRTNER: Natürlich haben es Software-häuser bei den Banken schwerer als andere Unternehmen. Das ist mit Basel II nicht einfacher geworden. Eine andere Möglichkeit ist die Finanzierung über Venture Capital. Das muss man sich allerdings gut überlegen. Die Investoren geben ihr Geld ja, um möglichst viel damit zu verdienen. Das hat Einfluss auf die Unternehmensstrategie. Es kann vorkommen, dass man eine gute Chance verpasst, etwa um mit einem gewissen finanziellen Aufwand einen neuen Markt zu erobern, weil man stattdessen auf den Shareholder Value achten muss. Wagniskapital kann somit eine sehr zweischneidige Hilfe sein. Da wir auf jeden Fall autark bleiben wollten, haben wir uns schon 1998 für den Börsengang entschieden. Aber um es klar zu sagen: Geld ist nicht das Hauptproblem der Branche, es sind auch nicht die politischen Rahmenbedingungen, wie manche behaupten.

CW: Was dann?

GÄRTNER: Beschleunigt wurde der Konsolidierungsprozess zum einen durch die schleppende Binnenkonjunktur der vergangenen Jahre. Zum anderen hat der eine oder andere Wettbewerber wohl auch strategische Fehlentscheidungen getroffen oder der Kostenseite nicht genügend Beachtung geschenkt.

CW: Es ist immer wieder davon die Rede, mit Hilfe von Web-Services und Softwarekomponenten lose Unternehmens- und Funktionsgruppen aufzubauen.

GÄRTNER: Die Techniken erleichtern die Zusammenarbeit, aber im Kern geht es dabei um gemeinsame Entwicklungen. Man muss im Detail klären, wo eine Funktion anfängt und wo die andere aufhört. In lockeren Verbünden geht das nicht, denn hier entstehen gemeinsame Produkte, gemeinsam bis zu den Nutzungsrechten und Vermarktungskonzepten.

CW: Der Ruf nach Kooperation verhallt doch seit Jahren vergebens ...

GÄRTNER: Deswegen wird es auch noch weitere Firmenaufkäufe geben.

*Hermann Gfaller arbeitet als freier Journalist in München.

Hier lesen Sie ...

- wie sich der ERP-Markt aus Sicht eines mittelständischen Anbieters darstellt,

- warum es zur Konsolidierung im ERP-Markt kommen musste,

- wie sich die hiesigen Anbieter mit den großen Aufkäufern aus den USA auseinandersetzen,

- welche Chancen den mittelständischen Softwareanbietern bleiben.

Gegenposition

Für die mittelständischen ERP-Anbieter klingt es bedrohlich, wenn SAP-CEO Henning Kagermann urteilt: "Ich glaube nicht, dass es Raum für mittelgroße Unternehmen geben wird." Die ERP-Anbieter müssten entweder zu weltweit agierenden Konzernen werden oder sich mit kleinen, wenig lukrativen Nischen zufrieden geben. Mit dieser Einschätzung steht der SAP-Manager keineswegs allein.

Auch die meisten der betroffenen Firmen würden einräumen, dass es für sie zu teuer ist, Software von Grund auf neu zu entwickeln. Und selbst wenn sie es tun, wie etwa die österreichische KTW-Gruppe mit "Semiramis", bleiben sie gegenüber großen Playern wie SAP oder Microsoft massiv im Nachteil, die ihre Entwicklungskosten bei Tausenden von Kunden weltweit amortisieren können, während der Markt eines lokalen Anbieters viel weniger Absatz verspricht.

Weitaus kostengünstiger erscheint es da, auf der Basis von Applikationsplattformen von SAP oder Microsoft Spezialanwendungen zu bauen. Diesen Weg werden laut Christian Glas, Marktbeobachter von Pierre Audoin Consultants (PAC), die meisten der heutigen Anbieter gehen müssen, wenn sie überleben wollen. Ihre Chance liegt in ihrem Branchen-Know-how sowie in den Services für ihre Kunden.

Strategien gegen den Konsolidierungsprozess

Heinz Paul Bonn, Vorstandsvorsitzender GUS Group AG 38;#38; Co.

Wir haben eine plattformunabhängige in Java geschriebene Software, die technologisch überall mithalten kann. Doch insbesondere der Mittelstand trifft heute seine Entscheidungen nach ROI-Betrachtungen und weniger nach Technologie-Überlegungen. Dabei spielt die Beratungskompetenz eines Anbieters von Anfang an eine entscheidende Rolle, denn ERP-Anwender verbinden mit der Neueinführung eines Systems immer auch die Optimierung der Geschäftsprozesse. Die GUS Group kon- zentriert sich deshalb auf die Qualitätsbranchen der Life-Science-Industrien, weil wir hier über ein tiefes Verständnis der Anforderungen und Verbesserungspotenziale verfügen.

Reinhold Karner, CEO der KTW-Gruppe

Ein Konzern wie Microsoft muss nach neuen Märkten suchen und kann sich Verluste lange Zeit leisten. Daher nehme ich das ERP-Engagement des Unternehmens ernst, aber fürchten muss ich mich nicht. Unsere Software ist plattformunabhängig in Java geschrieben. Das bedeutet unter anderem: Der Kunde kann die Software kaufen oder mieten, sie als ASP-Dienst beziehen oder die Nutzerzahlen nach Bedarf ändern. Es gibt auch noch Preismodelle nach Datenvolumen. Das alles schafft hohe Flexibilität bei den Kosten. Dieses Konzept ist besonders für mittelständische Unternehmen optimal.

Peter Dewald, Geschäftsführer von Sage Deutschland:

Wir sind die Einzigen, die den Kunden vom Einstieg bis weit in den Mittelstand begleiten können. Wir haben 250 000 Kunden. Wir werden diese Position natürlich ausbauen, sehen aber keinen Grund, viel anders zu machen als bisher. Ich sehe es durchaus mit Sympathie, dass Mitbewerber wie Microsoft in den Markt kommen, weil damit das Nachdenken bei den Anwendern darüber gefördert wird, ob die bisher eingesetzte ERP-Software noch den aktuellen Anforderungen entspricht."

Abb: Anwendungsoftware in Europa

Deutschland ist der wichtigste Absatzmarkt für Software in Europa. Quelle: PAC GmbH