SOA - Willkommen in der Realität

11.12.2006
Nach der Anfangseuphorie haben etliche Unternehmen Projekte zum Aufbau Service-orientierter Architekturen (SOA) begonnen. Dabei werden auch die Schattenseiten des Konzepts deutlich.

Der Hype ist vorüber. SOA ist Realität." Dieses Resümee zog der unabhängige Analyst Wolfgang Martin, Vorsitzender des jährlich von IIR Technology veranstalteten SOA-Kongresses. Auf der Fachkonferenz in Mainz berichtete eine Reihe bekannter Unternehmen von ersten Erfahrungen mit Service-orientierten Architekturen, darunter die Schweizer Großbank Credit Suisse, Fiducia IT und der schottische Versicherungskonzern Standard Life. Nach dem Motto: "Mit SOA zum adaptiven Unternehmen" unterstrich Martin einmal mehr die Bedeutung einer konsequenten Ausrichtung an Geschäftsprozessen: "Geld und Wettbewerbskraft stecken in den Prozessen." Die technische und organisatorische Infrastruktur für Prozessorientierung bilde eine Service-orientierte Architektur: "Ohne SOA geht es nicht."

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Ian Muir, Core Technology Manager beim Versicherungskonzern Standard Life, kann diese Maxime unterschreiben. Bereits 1999 begannen die Schotten ihre "SOA Journey", wie der Manager den langen Weg zur Service-Orientierung beschrieb. Nach Einschätzung von Forrester Research hat sein Team inzwischen eine der ausgereiftesten SOA-Plattformen in Europa gebaut. Von Anfang an verfolgte der Konzern, der weltweit rund 11000 Mitarbeiter beschäftigt, damit sowohl Geschäfts- als auch IT-Ziele.

"Auf der Business-Seite ging es darum, einen Multikanal-Kundenservice aufzubauen, neue Distributionspartner einzubinden und Produkte schneller auf den Markt zu bringen", so Muir. Vorhandene Kernanwendungen in der IT sollten dabei möglichst weitergenutzt, Funktionen der Altsysteme nur in kleinen Schritten durch neu entwickelte Softwareservices ersetzt werden. Von der SOA-Infrastruktur erhoffte sich das IT-Management unter anderem, Anwendungen und Servicepakete externer Anbieter leichter integrieren zu können.

100000 Zeilen Java-Code

Der Weg dorthin führte über wiederverwendbare Business-Services, die unternehmensweiten Richtlinien für Design, Entwicklung, Test und laufenden Betrieb folgten. Die technische Basis für das Serviceportfolio bildet ein eigenentwickeltes SOA-Framework, das mittlerweile aus rund 100000 Zeilen Java-Code besteht. Das Rahmenwerk wiederum stützt sich auf eine Middleware-Plattform aus IBM-Produkten, darunter der "Websphere Application Server", Websphere MQ" und der "Websphere Message Broker".

Heute nutzt die Standard Life laut Muir 579 Business-Services, davon würden 310 mehrfach verwendet. "Unser Entwicklungsbudget für IT-Projekte hat sich von 2003 bis 2006 halbiert", beschreibt er die messbaren Ergebnisse der SOA-Initiative. Fast ebenso wichtig: 90 Prozent der Projekte würden nun zeit- und budgetgerecht abgewickelt, obwohl das IT-Team insgesamt mehr Vorhaben stemme als zuvor. Aus Sicht der Fachabteilungen ergebe sich ein entscheidender Vorteil für die Wettbewerbsfähigkeit des Versicherers: Die Entwicklungszeit für neue Produkte habe sich von sechs Monaten auf sechs Wochen verkürzt.

Ausschlaggebend für den Erfolg der SOA-Initiative waren laut Muir auch organisatorische Maßnahmen. Für das SOA-Framework richtete er ein zehnköpfiges "Center of Excellence" ein, das sowohl Endanwender als auch Softwareentwickler in der IT und in den Fachabteilungen unterstützt. Lediglich zu Beginn der "SOA-Reise" gab Standard Life größere Summen für die technische Infrastruktur aus: "Heute fließen die meisten Investitionen in die Bereiche Personal und Governance."

Kritischer berichtete Hans-Joachim Popp, IT-Leiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von seinen Erfahrungen. Die mit SOA einhergehende Flexibilität führe in der Regel zu mehr Komplexität. Insbesondere die Vielzahl fein granularer und lose gekoppelter Services könne sich schnell zum Performance-Killer entwickeln. Ein Vorgehen nach SOA-Prinzipien dient nach seiner Einschätzung eher als Best Practice, die helfe, "die ohnehin notwendige Disziplin im Schnittstellenaufbau einzuhalten". Diese Lektion hätten viele bereits mit der objektorientierten Entwicklung lernen müssen. Unterm Strich qualifiziere sich SOA als ein Methodenrahmen für ein geordnetes Vorgehen bei der "Prozess-Renovierung".

WSDL reicht nicht aus

Die "semantische Dimension von SOA" zu beachten, empfahl Frank Leymann von der Universität Stuttgart. So reiche beispielsweise eine Beschreibung von Web-Services mittels der Web Service Description Language (WSDL) nicht aus. Zur semantischen Einordnung der Services bedürfe es einer weitergehenden Beschreibung anhand von Taxonomien bzw. Ontologien. Mit dem Ziel, die Semantik auch auf Web-Services anzuwenden, entsteht beispielsweise der Standard "Semantic Annotations for WSDL" (SAWSDL). Damit sollen sich Schnittstellenbeschreibungen für Web-Services mit semantischen Annotationen versehen lassen.

Grundideen längst bekannt

Eine ganz andere Sicht auf das Thema präsentierte Oliver Höß vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation: "SOA ist vor allem ein technisches IT-Thema", lautete sein Credo. Für die erfolgreiche Einführung müssten jedoch auch organisatorische und strategische Aspekte berücksichtigt werden. Grundideen des SOA-Konzepts wie das Strukturieren von Systemen in unterschiedlichen Schichten aus Diensten seien bereits aus der komponentenbasierenden Softwareentwicklung bekannt. Höß: "Gut konzipierte Systeme sollten schon seit Jahren Service-orientiert sein." Die eigentliche Herausforderung liege darin, die Dienste selbst optimal zu strukturieren. Mit einem Aphorismus des Schriftstellers Georg Christoph Lichtenberg warnte auch er vor übertriebenen Erwartungen: "Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden."