SOA treibt das intelligente Unternehmen

11.04.2006
Das Potenzial Service-orientierter Architekturen als Basis für eine konsequente Prozessorientierung ist erkannt, nun geht es um die Umsetzung. Diese Botschaft stand im Mittelpunkt des Business Integration Forum 2006.

Von CW-Redakteur Wolfgang Herrmann

Business Integration Award 2006

Mit einem breit angelegten EAI-Projekt gewann die österreichische Generali VIS Informatik den von IIR Deutschland ausgeschriebenen Award. Der IT-Dienstleister der Generali Vienna Group integrierte mehrere Anwendungen auf unterschiedlichen IT-Plattformen zu durchgängigen Geschäftsprozessen.

Nach Angaben von Projektleiter Christoph Stark ergaben sich dadurch erheblich niedrigere Prozess- und IT-Kosten. Neben kürzeren Durchlaufzeiten bei der Übermittlung von Versicherungsaufträgen habe sich auch die Datenqualität verbessert. Generali nutzte unter anderem das Integrations-Tool "BusinessWare" des US-Herstellers Vitria.

Der Business Integration Award ging aus dem ehemaligen EAI-Award hervor, den IIR bereits zweimal im Rahmen des EAI-Forums verlieh. Zur Jury gehörten der unabhängige Analyst Wolfgang Martin, Richard Nußdorfer, Geschäftsführer der CSA-Consulting GmbH, und der Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen, Robert Winter. Den Award für das beste EAI-Projekt 2005 gewann Lufthansa Cargo.

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Geschäftsprozess-Management und SOA sind in den Unternehmen angekommen", bilanzierte der unabhängige Analyst Wolfgang Martin auf der Fachkonferenz in Frankfurt am Main. Nicht mehr das Ob, sondern das Wie beschäftige IT- und Fachverantwortliche; Grundsatzdiskussionen um den Return on Investment (RoI) oder die Rückendeckung des Topmanagements gehörten der Vergangenheit an. Martin: "Man tut es einfach." Diese Entwicklung zeichne sich nicht nur in Großunternehmen ab, auch Mittelständler wie der Einzelhandelsverbund Nordbike hätten das Potenzial erkannt und erste Erfolge erzielt.

Bereits seit 1998 richtet IIR Deutschland das jährliche EAI-Forum aus. Ursprünglich als Fachkonferenz für Enterprise Application Integration (EAI) konzipiert, deckt die Veranstaltung mittlerweile eine breite Themenpalette ab. Sie reicht von Integrationstechniken, Business Process Management (BPM) und Business Activity Monitoring (BAM) bis hin zu Service-orientierten Architekturen. Weil Integrationsprojekte sich nicht mehr auf Applikationen beschränken, sondern über Unternehmensgrenzen hinweg geplant werden, änderten die Veranstalter den Namen in Business Integration Forum. Rund 60 Experten und 40 Aussteller aus der IT-Industrie hielten Vorträge und präsentierten Produkte.

Prozesse bestimmen den RoI

Als Vorsitzender des Forums stellte Martin "das intelligente Unternehmen" in den Mittelpunkt seiner Beiträge. Nicht mehr ganz neu ist die Erkenntnis, dass dessen wichtigste Eigenschaft eine konsequente Prozessorientierung ist. Als technische Basis propagieren die Experten nun seit rund zwei Jahren Service-orientierte Architekturen. "Eine SOA trennt die in Applikationen abgebildete Geschäftslogik von der Prozesslogik", führte Martin aus. Dabei bilde die SOA lediglich eine Infrastruktur, deren Rentabilität sich kaum beziffern lasse: "Der Return on Investment (RoI) kommt nicht von einer SOA, sondern von den implementierten Prozessen."

Eingebettete Analytik

Mittels SOA gelinge es Unternehmen, Prozesse flexibel und unabhängig von einzelnen Applikationen zu gestalten. Hinzu komme die Möglichkeit, Analytik in die Prozesse einzubetten. Martin spricht in diesem Zusammenhang von Corporate-Performance-Management (CPM) als einer Weiterentwicklung klassischer Business-Intelligence-(BI-) Konzepte: "CPM blickt vorwärts, BI gibt nur die Sicht in die Vergangenheit."

Die vor allem von IT-Herstellern versprochene Wiederverwendbarkeit von Software-Services spiele in der SOA-Praxis häufig nicht die entscheidende Rolle, so der Analyst. Zu diesem Schluss kam auch der US-amerikanische Integrationsexperte und Buchautor David Linthicum. Das wichtigste Motiv für SOA-Projekte liegt nach seiner Erfahrung in der Agilität und Flexibilität, die sich Unternehmen von der IT-Unterstützung ihrer Prozesse versprechen. Dahinter steckt die Hoffnung, schneller auf veränderte Geschäftsanforderungen reagieren zu können.

Armin Büttner, CTO der Audi-Markengruppe im VW-Konzern, lieferte das dazu passende Beispiel: Die SOA-Roadmap des Automobilherstellers reiche bis in das Jahr 2015, berichtete er. Audi erhoffe sich davon in erster Linie mehr Flexibilität und eine bessere IT-Unterstützung der Geschäftsprozesse; Kosten spielten nicht die entscheidende Rolle. Im Rahmen der SOA-Pläne halte er Einsparungen von bestenfalls fünf bis acht Prozent für erzielbar. Entscheidend für ihn sei die Herausforderung, "das Wachstum zu managen": Bis zum Jahr 2015 will Audi die Produktion von rund 800 000 auf 1,4 Millionen Fahrzeuge erhöhen.

Auf dem Weg zur SOA plant das Ingolstädter Unternehmen, die gegenwärtig noch überwiegend eigenentwickelten Applikationen schrittweise durch Standardsoftware zu ersetzen. Im Jahr 2012 soll deren Anteil erstmals den der Altanwendungen übersteigen. Am Ende der Roadmap sieht Büttner nur noch wenige Eigenentwicklungen in der IT-Landschaft. Für Audi laute die Devise, "IT-Architektur und Geschäftsapplikationen mit Standardprodukten strategischer Partner zu durchdringen".

Dabei helfen soll ein "Architekturbaukasten", der sämtliche vom Management definierten IT-Standards beinhalte. Er diene als Basis für Applikationsplattformen und andere Architekturbausteine. Für Projektverantwortliche würden diese Vorgaben verbindlich, erläuterte der CTO und deutete zugleich an, welche Konsequenzen Abweichlern drohen könnten. Wer sich nicht an die Standards halte, müsse beispielsweise mit Sanktionen in Form von Budgetkürzungen rechnen.

Integration ist Chefsache

Business Integration im Allgemeinen und SOA im Speziellen sind zur Chefsache geworden, auch das verdeutlichen die Audi-Pläne. Verantwortlich für die SOA-Roadmap zeichnet einerseits ein Architektur-Council auf Topmanagement-Ebene, zu dessen Mitgliedern etwa der Finanzvorstand gehört. Die Projektsteuerung übernimmt ein Architektur-Board. In beiden Gremien sitzen sowohl IT- als auch Fachverantwortliche.

Trotz solcher Beispiele sind echte SOA-Projekte in Deutschland noch rar. Den Status quo kommentierte Norbert Schädler, Lead Architect für den Finanzsektor in der Software Group von IBM Deutschland, mit einem ironischen Unterton. Er unterteilte die SOA-Vorhaben seiner deutschen Kunden in die Kategorien "Lippenbekenntnis", "leidenschaftliches Lippenbekenntnis" und "auf dem Weg". 85 Prozent der Unternehmen befänden sich in der zweiten Gruppe. Auch Audi steht mit seinem Projekt noch ganz am Anfang, wie Büttner einräumte. Im Rahmen eines Pilotprojekts gelte es zunächst, ein gemeinsames Verständnis von SOA im Unternehmen zu entwickeln.

EAI-Projekte werden reifer

Anders verhält es sich mit klassischen Integrationsvorhaben, jahrelang das Kernthema des EAI-Forums. Der Reifegrad der Projekte habe sich deutlich erhöht, berichtete Richard Nußdorfer, Geschäftsführer der Münchner CSA-Consulting GmbH. In vielen Fällen lasse sich der RoI klar belegen. Dies zeige unter anderem das Beispiel der österreichischen Generali VIS Informatik, die den anlässlich dieser Veranstaltung jährlich vergebenen Preis für das beste Integrationsprojekt gewann (siehe Kasten "Business Integration Award 2006").

Dass sich auch SOA-Projekte rechnen können, belegte IBM-Experte Schädler am Beispiel der Standard Life Group. Der schottische Versicherungskonzern nutze rund 250 Business Services produktiv, mehr als die Hälfte davon werde von mehreren Applikationen verwendet. Bis heute habe das Unternehmen dadurch rund zwei Millionen englische Pfund an Entwicklungskosten gespart. Von erheblichen Einsparungen berichtete auch Jürg Wegmüller, Vice President bei der Credit Suisse AG in Zürich. Bereits seit 1999 arbeite die Schweizer Großbank mit einer IT-Architektur, die nach SOA-Prinzipien aufgebaut sei. Dabei setzten die Verantwortlichen auf eine Implementierung der Common Object Request Broker Architecture (Corba). Zuvor seien einige groß angelegte Integrationsprojekte gescheitert. Heute nutze das Unternehmen rund 800 "Public Services", 44 Prozent davon würden mehrfach verwendet.

Big Bang ist out

Wegmüller deutete aber auch typische Hürden in derart groß angelegten Projekten an. So sei das Management zu keiner Zeit bereit gewesen, Finanzmittel für eine komplette SOA bereitzustellen. Im Rahmen der Modernisierung der Mainframe-Applikationen gehe das Projektteam deshalb den Weg einer Verbesserung in kleinen Schritten, hausintern als "Managed Evolution" bezeichnet. Wegmüller: "An einen Neubeginn auf der grünen Wiese glaubt keiner mehr."

Auf Seiten der Hersteller prophezeite Analyst Martin einen "Clash der Plattformen". Die Big Four, sprich IBM, Oracle, SAP und Microsoft, stellten sich in Sachen SOA sehr ähnlich auf. Von dem härter werdenden Konkurrenzkampf könnten Kunden profitieren, indem sie etwa Rabatte und andere günstige Konditionen aushandelten. Eine Chance böten SOA-Plattformen auch den Best-of-Breed-Anbietern. Deren Spezialanwendungen, beispielsweise SOA-Verwaltungs-Tools, ließen sich je nach Bedarf in die Software-Stacks der Konzerne einbinden. Kunden eröffne sich damit die Möglichkeit, "sich die Rosinen rauszupicken". Nicht zuletzt biete sich mit SOA auch eine neue Sicht auf klassische Make-or-buy-Entscheidungen. So könnten Unternehmen etwa gehostete Services von externen Anbietern mieten und diese je nach Bedarf in ihren Orchestrierungsprozess einbinden. Martin: "On Demand Computing entfaltet seinen vollen Nutzen erst in einer SOA."

Wie die Zukunft des intelligenten Unternehmens aussehen könnte, erläuterte David Luckham von der US-amerikanischen Stanford University in seinem Vortrag zum Thema Complex Event Processing (CEP). Dahinter verbirgt sich eine Art Radarsystem für komplexe Ereignisströme, dessen Leistungsvermögen weit über das heutiger BAM-Tools hinausgehen soll (BAM = Business Activity Monitoring). Das große Ziel dieses Konzepts ist eine vorausschauende IT, die Probleme erkennt, bevor sie auftreten. Das Marktforschungs- und Beratungshaus Gartner verwendet dafür den Begriff "Predictive Enterprise". Auch diese Vision, so die Experten, könnte mit Hilfe von SOA eines Tages Realität werden.