Oracle-Anwender

SOA löst unsere Probleme nicht

01.12.2008
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

SOA steckt in einer Phase der Ernüchterung

CW: Zum Thema Middleware gehören die Service-orientierten Architekturen (SOA). Inwieweit beschäftigen sich die Anwender schon damit?

DOAG: Wir stecken mit SOA in einer Phase der Ernüchterung. Die Anwender haben erkannt: SOA löst unsere Probleme nicht. Die müssen wir immer noch selber lösen. Die Firmen setzen sich momentan um einiges kritischer mit der Architektur auseinander und achten verstärkt auf die Vorteile. Der entscheidende Vorzug von SOA ist, dass man die Schnittstellenproblematik wesentlich besser in den Griff bekommt. Die Vision der kleinen Anwendungs-Applets, die man nur noch zusammenschieben muss, ist dagegen nicht verwirklicht. Es gibt zudem Studien, wonach die durchschnittliche Wiederverwendungsrate eines SOA-Applets bei etwa 1,5 bis 1,8 liegt. Das bedeutet, dass nicht einmal jedes zweite Applet wiederverwendet wird. Es ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten, weil SOA nicht automatisch die Probleme löst.

CW: Das Versprechen der SOA-Anbieter, die Komplexität zu verringern, wurde aus Ihrer Sicht also nicht erfüllt?

DOAG: Schon Ende der 60er Jahre kam die Theorie auf, dass jede Software so viele Module hat, wie Entwickler daran arbeiten. Letztlich ist das heute noch so. Jeder Entwickler baut seine eigenen Blöcke für SOA. Es gibt dazu ja auch einen reichhaltigen Baukasten von Oracle. Viele tun sich aber schwer, das richtige Werkzeug daraus auszuwählen. Dabei geht es wieder um das Thema Information. Oracles Aufgabe ist es, den Anwendern Orientierung und Anleitung zu geben, wie sie unter den vielen Werkzeugen das richtige finden, um ihre Probleme zu lösen. Hier muss sich ein Hersteller auch die Frage stellen, welche Werkzeuge sind wirklich noch nötig und könnte man nicht das eine oder andere entfernen, um die ganze Geschichte etwas übersichtlicher zu machen.

CW: Auch in der Roadmap für die Fusion-Applikationen fehlt der Durchblick. Hier haben sich zuletzt Verzögerungen angedeutet. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

DOAG: Es ist immer etwas schwierig, an dieser Stelle konkrete Informationen von Oracle zu bekommen. Das ist auf der einen Seite verständlich, denn schließlich wird der Hersteller an diesen Aussagen gemessen. Aus Sicht der Kunden ist das jedoch unbefriedigend. Die Firmen denken nicht in Ein- oder Zweijahreszyklen, sondern müssen ihre Strategie auch fünf oder zehn Jahre im Voraus planen. Das muss zwar nicht bis ins letzte Detail geschehen, aber die Anwender erwarten eine gewisse Verlässlichkeit.

CW: Was lässt sich denn aus Ihrer Sicht momentan sagen?

DOAG: Wir haben bereits vor zwei Jahren gesagt, dass Oracles Zeitplan für Fusion Applications sehr sportlich ist. Es stellt sich nun heute heraus, dass man den ganzen Fahrplan etwas nüchterner betrachten muss. Ich interpretiere die Oracle-Aussagen eher dahingehend, dass es nicht 2009 werden wird, als dass es 2010 wird.

CW: Die Anwender bekommen also keine klare Roadmap. Welche Folgen hat das?

DOAG-Vorstand Fried Saacke: "Es muss Oracle bewusst sein, dass die Kunden auch über Konkurrenzprodukte nachdenken."
DOAG-Vorstand Fried Saacke: "Es muss Oracle bewusst sein, dass die Kunden auch über Konkurrenzprodukte nachdenken."
Foto: DOAG e.V.

DOAG: Das ist der springende Punkt. Schon zu Beginn, als es Unruhe rund um den Fahrplan der Fusion Applications gab, hat Oracle mit "Applications unlimited" versprochen, alle Anwendungen unbegrenzt weiterzuentwickeln und mit Support zu versorgen. Vermutlich hat dieses Versprechen deutlich mehr Ressourcen gebunden, als Oracle ursprünglich angenommen hat. Diese Ressourcen könnten in der Fusion-Entwicklung fehlen. Andererseits hat sich Oracle damit einen großen Gefallen getan. Auch der Wechsel von den bestehenden Oracle-Anwendungen auf Fusion bedeutet einen Migrationsaufwand, auch wenn Oracle an dieser Stelle Pfade und Hilfen anbieten wird. Dennoch stehen die Kunden wieder an einem Punkt, an dem sie über ihre Softwarezukunft nachdenken müssen. Das bedeutet ein gewisses Risiko, den Kunden zu verlieren. In diesem Zusammenhang den Firmen zu versprechen, sie müssen theoretisch nie auf Fusion wechseln, weil die bestehenden Produkte unbegrenzt weiter unterstützt werden, war die richtige Entscheidung.

CW: Hält Oracle dieses Versprechen?

DOAG: Die Zusagen werden konkret umgesetzt. Wir sehen neue Softwareversionen, die auch den Namen neues Release verdienen. Oracle liefert damit neue Funktionen, die die Kunden tatsächlich brauchen. Das sind keine Lippenbekenntnisse. Hier werden die Produkte weiterentwickelt. Das ist wichtig. Wenn das funktioniert, dann ist es auch relativ unkritisch, ob Fusion dieses, nächstes oder erst in ein paar Jahren auf den Markt kommt. Die Kunden fragen sich nicht: Wann kann ich migrieren, sondern, wie lange kann ich das, was bei mir stabil läuft, weiter betreiben. Insofern könnten Oracle-Leute ehrlicher sagen, was sie vorhaben.

CW: Für die Anwender bleibt es aber schwer zu planen?

DOAG: Das ist natürlich ein Problem. Für die Kunden ist nicht klar, wann welches Softwaremodul auf den Markt kommen soll. Hier fehlt die Transparenz. Die wenigsten Unternehmen brauchen Fusion jetzt. Aber sie müssen planen. Nichts ist ärgerlicher, als wenn man mitten in einem Upgrade-Projekt steckt und dann plötzlich bekannt wird, dass das nächste Release in Kürze folgt. Dann hätte man gleich auf das kommende Release warten können. Wenn Oracle hier mehr Transparenz schaffen würde, könnten die Kunden ihre Planungen besser danach ausrichten.

CW: Was wäre für die Anwender wichtig?

DOAG: Jeder Kunde überspringt gewisse Versionen. Kein Anwender kann jeden einzelnen Release-Schritt mitgehen. Das ist viel zu aufwändig. Wenn er auf ein neues Release migriert, will er wissen, dass er damit längerfristig arbeiten kann. Irgendwann kündigen die Hersteller den Support ab oder erhöhen die Wartungsgebühren. Das darf man im Rahmen der Release-Planungen alles nicht unterschätzen. Irgendwann müssen die Kunden deshalb auch umsteigen. Das ließe sich jedoch viel besser planen, wenn Oracle ausführlicher über die Roadmap informieren würde.