SOA bringt die Touristik auf Trab

12.03.2007
Mit Konzepten der Service-orientierten Architektur modernisieren die Reiseveranstalter TUI, Thomas Cook und Rewe Touristik ihre schwerfälligen Legacy-Systeme.

Mal eben im Internet Lastminute-Angebote checken, Flüge und Hotels kombinieren, sofort online buchen und bezahlen - für viele Kunden ist das längst gängige Praxis. Immer mehr Direktanbieter, aber auch Reiservermittler drängen mit derlei Offerten ins Web. Klassische Reiseveranstalter wie TUI oder Thomas Cook müssen mitziehen, wollen sie gegen die erstarkende Konkurrenz bestehen. Das Problem: Ihre IT ist darauf nicht eingerichtet.

Projekte der Touristikkonzerne

DER Gruppe (Rewe Touristik)

Umsatz Rewe Touristik: 7,23 Milliarden Euro im Jahr 2005,

Mitarbeiter Rewe Touristik: 6691.

Projekt: Unlimited.

Unlimited (40 Mitarbeiter) löst das Veranstaltersystem "Phönix" und zugehörige Randsysteme komplett ab.

Ansatz: Komplette Neuentwicklung nach SOA-Prinzipien.

TUI AG

Umsatz: 19,6 Milliarden im Jahr 2005 (Konzern).

Mitarbeiter: 63 000.

Projekt: NPM.

NPM (neues Produktionsmodell) löst im ersten Schritt das Veranstaltersystem "Iris" der TUI Deutschland ab.

Ansatz: Starker EAI-Ansatz. SOA als Verfahren in Einzelprojekten.

Thomas Cook

Umsatz: 7,8 Milliarden (2005/2006)

Mitarbeiter: 19 775.

Projekt: Globe

Globe ersetzt europaweit elf Veranstaltersysteme (Nurvis in Deutschland) durch modifiziertes Standardprodukt Bluesky.

Ansatz: SOA-basierendes Standardsystem wird angepasst.

Hier lesen Sie ...

• wie sich die Anforderungen an die IT der Touristikkonzerne verändern;

• wie die Unternehmen bei der Modernisierung der Altsysteme vorgehen;

• welche Rolle SOA-Konzepte in den Projekten spielen;

• wo die größten Hürden liegen.

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572394: Wie sich SOA-Projekte rechnen.

www.computerwoche.de/ soa-expertenrat

"Die Reiseveranstalter wickeln ihr Kerngeschäft überwiegend mit schwerfälligen Host- oder Legacy-Systemen ab", beobachtet Astrid Blechschmidt, Bereichsleiterin Travel & Transportation beim IT-Dienstleister Beck et al. Projects. Dabei unterstützten die Altsysteme vor allem Prozesse der "klassischen Produktionslogik". Jedes Jahr erstellen die Konzerne einen Sommer- und einen Winterkatalog mit vorkonfigurierten Produktpaketen. Blechschmidt: "Dafür eingesetzte Programme arbeiten Batch- und nicht Event-getrieben. Eine Echtzeitverarbeitung gibt es nicht." Die veränderte Marktsituation erfordere dagegen eine "Just-in-Time"-Produktionslogik, unterstützt von dynamischeren IT-Systemen. Das neue Zauberwort in der Branche heißt "Dynamic Packaging": Der Kunde stellt sich seine Reise individuell und in Echtzeit zusammen. Schnürt er das Paket auf der Website eines großen Veranstalters, profitiert er obendrein von dessen Einkaufsmacht.

Rewe Touristik

Die Touristikkonzerne haben erkannt, dass ihre IT-Strukturen in diesem Szenario als Bremsklotz wirken. Um die Altsysteme auf Trab zu bringen, setzen sie millionenschwere Modernisierungsprojekte auf und gehen dabei erste Schritte in Richtung einer Service-orientierten Architektur (SOA). Am weitesten fortgeschritten zeigt sich die DER-Gruppe, Tochter der Rewe Group und Teil der Rewe-Touristik-Sparte. "Wir betrachten SOA als langfristige Strategie, die wir im Rahmen des Projekts ‘Unlimited’ umsetzen", erläutert CIO Gudrun Schön. Dahinter steht nicht weniger als die komplette Ablösung des Cobol-basierenden Reservierungssystems "Phönix". Die Managerin setzt dabei auf eine komplette Neuentwicklung nach Service-orientierten Prinzipien.

Die unterschiedlichen Geschäftsprozesse in der DER-Gruppe, von individuellen Reisebausteinen über Pauschalreisen bis hin zum Business-Travel-Prozess, führten zu einer komplexen Anwendungsarchitektur. Damit verbunden waren lange Projektlaufzeiten für neue Funktionen und Module. Weniger Komplexität und flexiblere Prozesse waren deshalb die wichtigsten Gründe für die SOA-Initiative, so Schön: "Die Service-orientierte Architektur bricht die vertikal ausgerichteten Prozesse unserer Geschäftsfelder auf, schafft mehr Flexibilität und erhöht die Transparenz der vorhandenen IT-Prozesse." Das Projekt begann im August 2006. Seitdem definierte das Kernteam 22 fachliche Domänen und zirka 170 wiederverwendbare Services. In der vollen Ausbaustufe sollen einige tausend Services zur Verfügung stehen.

Der Weg zur SOA führt über die Model Driven Architecture (MDA), einen Entwicklungsansatz, der die Trennung von Funktionen und deren technischer Umsetzung betont. Die IT-Chefin verspricht sich davon eine stets aktuelle Systemdokumentation, strenge Regeln für die Entwicklung sowie eine Modellierung mit Hilfe der Unified Modeling Language (UML). Auf dieser Basis generieren die Entwickler den Programmcode. DER wechselt damit auch von der angestaubten Programmiersprache Cobol zu Java. Die neue Infrastruktur nutzt den J2EE-Application Server von Jboss und Enterprise Javabeans (EJB) in der Version 3.

TUI AG

Kritischer sieht man das Thema Serviceorientierung bei der TUI AG, dem umsatzstärksten Touristikanbieter in Deutschland. "SOA ist im Prinzip nichts Neues", erklärt Manfred Hirt, zuständig für die konzernweite IT-Strategie. "Das Konzept wird in der IT seit vielen Jahren verfolgt, mit eher gemischtem Erfolg." Die Hannoveraner definierten keine umfassende Strategie für SOA; Hirt sieht darin ein Verfahren, das in den einzelnen Projekten angesiedelt ist. Im Jahr 2003 begann das Unternehmen mit der Initiative "Group IT Application Architecture", eine generische Landkarte vorhandener Services aus der Sicht von Business-Domänen zu erstellen.

Im Rahmen des Projekts NPM (Neues Produktionssystem) löst auch TUI Deutschland sein veraltetes Veranstaltersystem ab. Die Wahl fiel auf ein Standardprodukt des britischen Anbieters Anite: "@comRes" soll Funktionen des bestehenden Reservierungssystems Iris ersetzen und dabei insbesondere die Möglichkeit des Dynamic Packaging im Web eröffnen. Dabei folgen die Verantwortlichen eher einem EAI-Ansatz (Enterprise Application Integration) als dem SOA-Gedanken. Mit Hilfe der Integrationstechniken von Tibco und Bea Systems bindet TUI das neue System in die vorhandene IT-Landschaft ein.

Thomas Cook

Eines der prominentesten IT-Modernisierungsvorhaben verfolgt die Thomas Cook AG, Nummer zwei der Reisebranche in Europa und drittgrößter Touristikkonzern weltweit. Ausgestattet mit einem Investitionsvolumen von 100 Millionen Euro und einem hundertköpfigen Expertenteam soll das Projekt "Globe" eine konzernweit einheitliche Systemlandschaft schaffen. Thomas Cook ersetzt dabei unterschiedliche Veranstaltersysteme durch eine neue Version des Programms "itour" vom britischen Softwarehaus Bluesky Travel Systems. Nach Angaben des Herstellers handelt es sich um ein SOA-basierendes System, das auf einer Plattform von Oracle aufsetzt. Dazu zählen neben dem Application Server und der Datenbank auch Entwicklungswerkzeuge des US-Anbieters.

Bluesky, wie das neue System kurz genannt wird, ist keine Standardsoftware im klassischen Sinn. Gemeinsam mit dem Hersteller arbeitet Thomas Cook an einer Weiterentwicklung, die die spezifischen Anforderungen des Konzerns abdecken soll. Als Generalunternehmer agiert IBM. "Im Rahmen von Globe sehen wir Konzepte wie SOA als Enabler", berichtet Corporate CIO Reinhard Eschbach, der das Mammutprojekt verantwortet. Eine explizite SOA-Strategie plane Thomas Cook nicht.

Top-down oder Bottom-up?

In allen drei Fällen misst das Topmanagement den Modernisierungsvorhaben hohe Bedeutung bei, so etwa bei DER: Drei Geschäftsführer bilden das Steuerungsgremium, um die fachliche Abstimmung kümmern sich Bereichsleiter. Die Einführung der SOA-Infrastruktur folgt einem Top-down-Ansatz, wie IT-Managerin Schön erläutert. Von der eigenentwickelten Plattform erhofft sich der Konzern ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb. Anders die TUI: "Das strategische Projekt Group IT Application Architecture hat gezeigt, dass ein radikaler Top-down-Ansatz im TUI-Konzern zur Zeit nur sehr schwierig umsetzbar ist", urteilt Hirt. In den einzelnen Projekten verfolgten die Teams den Gedanken der Serviceorientierung durchaus auch Bottom-up.

Die größten Hürden

Was für die Legacy-Anwendungen in den IT-Zentren gilt, lässt sich teilweise auch auf die Mitarbeiter übertragen: Sie sind auf die neuen Anforderungen schlecht vorbereitet. "Die benötigten Mitarbeiterprofile sind insbesondere in Beratungshäusern faktisch nicht vorhanden", berichtet Schön. Sowohl Cobol als auch Java, UML, SOA und MDA sollten die Kollegen beherrschen - eine eher seltene Kombination. Die größten Defizite sieht die Rewe-Managerin auf dem Gebiet der Model Driven Architecture. Ähnliche Erfahrungen machte die TUI. Hier fehlen vor allem Architekten. "Die Skills in der IT müssen sich stärker für Business-Anforderungen öffnen", fordert Hirt. Der konzerneigene IT-Dienstleister TUI Infotec bewege sich in diese Richtung.

Trotz solcher Hürden erwarten die Führungsgremien der Touristikriesen einen messbaren Nutzen der Projekte. Keine leichte Aufgabe angesichts der langen Laufzeiten und hohen Anfangsinvestitionen, wie sie gerade SOA-Initiativen erfordern. Entsprechend vorsichtig äußern sich die Verantwortlichen. TUI-Manager Hirt spricht von "Key Performance Indicators" (KPIs), die das Projekt-Controlling überwache. Eine RoI-Betrachtung (Return on Investment) aller Softwareservices liege noch in weiter Ferne.

Return on Investment

"Die Projektziele sind im Business Case definiert", formuliert Eschbach von Thomas Cook. Darin sei eine Kostenreduktion vorgegeben. Die DER-Gruppe hat immerhin schon eine RoI-Rechnung aus IT-Sicht aufgemacht. Schön: "Konkrete Einsparungen werden erst bei zukünftigen Projekten sichtbar, vor allem hinsichtlich der Entwicklungszeit und der Wartungsaufwendungen." Einen RoI erwartet sie im Jahr 2010.