SOA braucht Anschubfinanzierung

27.03.2006
Einige Unternehmen experimentieren bereits mit Service-orientierten Architekturen, doch die Projekte stehen erst am Anfang. Deshalb sind wichtige Probleme bislang ungelöst.

Deutsche Post World Net ist und bleibt das deutsche Vorzeigeunternehmen in Sachen Service-orientierte Architektur (SOA) - nicht nur, weil der Logistikriese in diesem Jahr schon zum zweiten Mal zur "SOA Days Business Conference" in seinen Bonner "Tower" einlud. Neben dem Schweizer Finanzdienstleister Credit Suisse gilt die Post zu Recht als Pionierkonzern hinsichtlich Modularisierung und Flexiblisierung großer Anwendungslandschaften. Eine Reihe anderer Unternehmen hat sich zumindest auf den Weg gemacht. Das verdeutlichte die zweitägige Konferenz, die das Euroforum ausgerichtet hat.

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Die vier heißesten Diskussionspunkte

Wo fangen die Unternehmen am besten an - mit der Analyse vorhandener Systeme (bottom up) oder der Definition einer neuen Architektur (top down)?

Wie lässt sich der Nutzen einer SOA gegenüber der Unternehmensleitung beziffern?

Wie kann der Mehraufwand durch die SOA-konforme Entwicklung gerecht verteilt werden?

Wie großzügig beziehungsweise kleinteilig sollten die Services geschnitten sein?

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Schon 1999 hat der ehemalige Staatsmonopolist begonnen, seine Anwendungslandschaft in Domänen zu unterteilen, zu kapseln und lose zu koppeln. Laut Johannes Helbig, CIO des Post-Bereichs Brief und Gastgeber der Konferenz, schuf sich die Post auf diese Weise die Möglichkeit für eine "Managed Evolution". Sie kann also ihre Anwendungen eine nach der anderen modernisieren, ohne Nebeneffekte in Nachbarsystemen zu risikieren.

Eine Service-orientierte Architektur ist nicht zu kaufen

Mit Hilfe von Oracle-Middleware und zahlreichen Open-Source-Komponenten hat sich die Post eine "Service-orientierte Plattform", kurz SOP, geschaffen. Unter dem Titel "SOPware" möchte sie diese nun auch an Dritte weitergeben - mitsamt der dafür notwendigen Beratungsleistung. Zu diesem Zweck hat sie eine eigene Unternehmensabteilung, die SOP Solutions, gegründet.

Den Verdacht, die "SOA Days" seien nur eine Marketing-Veranstaltung für die SOPware, zerstreute Helbig jedoch, indem er ausdrücklich betonte: "SOA kann man nicht kaufen." Oder wie Karsten Schweichhart, Vice-Präsident Integration Architecture bei der T-Com, ergänzte: "Bekomme ich für mehr Geld auch mehr SOA? Die Anbieter sagen ja, aber wenn ich nachfrage, ist das, was man kaufen kann, nicht das, was ich will."

Neuer Diskurs-Level zwischen IT- und Fachabteilung

Für Helbig - wie auch für die meisten Analysten - ist eine SOA weniger eine technische als eine organisatorische Angelegenheit, ein "Management-Thema", wie der Post-CIO es formuliert. Der Vorteil einer Service-orientierten Architektur liegt aus seiner Sicht vor allem darin, dass sie einen neuen "Diskurs-Level" zwischen IT und Fachabteilung bereitstellt. Helbig geht so weit, den Fachabteilungen, die er als Auftraggeber gegenüber internen und externen IT-Dienstleistern vertritt, die Verantwortung für ihre eigenen Services zu übergeben. Die Frage der technischen Umsetzung hält der CIO jedenfalls für nachrangig.

Auch Wolfgang Hebgen hat sich zunächst für das Prinzip der SOA entschieden, bevor er nun die Implementierung mit Hilfe der SOPware evaluiert. Hebgen ist Abteilungsleiter Informatik und Organisation im Investment-Banking-Bereich der DZ Bank. Wie er berichtet, gelang es dort, den "Run"-Anteil der IT-Kosten auf 30 Prozent zu drücken, also 70 Prozent des IT-Budgets für Projekte aufzuwenden. Dummerweise entstehen auf diese Weise laufend neue Anwendungen, die wieder gepflegt werden müssen - ohne dass die verfügbaren Ressourcen mitwachsen würden. Hebgen spricht von einer "Kostenfalle", auf die er reagieren müsse: "Wenn wir da nichts verändern, sind wir in wenigen Jahren handlungsunfähig."

Die SOA sei kein Allheilmittel, betont der Informatik- und Organisations-Chef. Deshalb habe er gleichzeitig das Anwendungs-Management und die Sourcing-Strategie verbessert. Die Service-orientierte Architektur als Design-Prinzip soll nun dafür Sorge tragen, dass die wachsende Anwendungslandschaft auch in Zukunft transparent und pflegeleicht bleibt.

Quick Wins oder nachhaltiger Erfolg?

Wie eine aktuelle Studie der computerwoche ausweist, sind drei Viertel der Anwender an dem SOA-Thema zumindest interessiert. Diese Zahlen bestätigte Martha Bennett, für den Bereich Financial Services verantwortliche Vice-Präsidentin bei Forrester Research. Einer Untersuchung vom vergangenen Herbst zufolge seien zwei von fünf Befragten bereits mit einer SOA beschäftigt, etwa genauso viele hätten wenigstens schon konkrete Pläne in dieser Richtung.

Bleibt die Frage, wo und wie ein Unternehmen das Thema angehen will. Sie zog sich wie ein roter Faden durch die Konferenz. Wer zunächst die vorhandenen Anwendungen und Prozesse analysiert, kapselt und durch stabile Interfaces verbindet, wird am schnellsten Erfolge verbuchen können. Doch diese "Quick Wins" werden unter Umständen teuer erkauft: Sie ziehen spätere Integrationsaufwände nach sich.

Der Top-down-Ansatz hingegen lässt sich gegenüber dem Management nur schwer begründen, weil es keine sichtbaren Kostenvorteile gibt. Deshalb plädieren die Berater und die meisten Unternehmen, die schon SOA-Erfahrungen gesammelt haben, für einen Mittelweg: Sie arbeiten an der bereits vorhandenen Landschaft und erstellen parallel dazu eine neue Architektur.

Auch Legacy-Funktionen als Web-Services

Im Briefbereich der Deutschen Post legt Helbig eindeutig mehr Wert auf die Gesamtarchitektur. Er forciert vor allem die SOA-Konformität der neuen Anwendungen. Allerdings lässt er parallel dazu die Legacy-Anwendungen auf Funktionen untersuchen, die besonders häufig genutzt werden, um sie anschließend aus der Applikation herauszulösen und als Services bereitzustellen. Damit diese Funktionen bei Bedarf wieder auffindbar sind, müssen sie allerdings beschrieben und in einer Registry abgelegt werden. Die Deutsche Post gehört damit allem Anschein nach zu den wenigen Unternehmen, die das bereits tun.

Dem neuen Design-Prinzip entspricht auch das jüngste Vorzeigeprojekt der Post: ein Auftrags-Management-System für große Briefkunden. Es integriert die kundenorientierten Prozesse in Marketing, Vertrieb, Service und Filialbetrieb, ist also im Kern auch ein IT-Integrationsprojekt. Wie der zuständige Abteilungsleiter Erwin Lenz erläutert, nutzt das System, das derzeit im ersten Release produktiv läuft, diverse Services aus anderen Domänen.

Durch IT allein nicht zu rechtfertigen

Immer wieder gestellt - und keineswegs zufrieden stellend beantwortet - wurde die Frage nach dem "Business Case" für eine SOA. Letztendlich sei dies für ein Unternehmen von der Größe der Deutschen Post eine "Make-or-brake"-Entscheidung, sagte Helbig. Mit anderen Worten: Ohne eine SOA wäre die wachsende Komplexität der Systeme wohl kaum in den Griff zu bekommen. Auch aus diesem Grund ist die oft beschworene Rückendeckung durch das Topmanagement so wichtig. Nur wenn die Unternehmensspitze eindeutig hinter dem Vorhaben steht, kann es ohne hinderliche Erbsenzählerei durchgezogen werden.

Tröstliches versprach immerhin Forrester-Analystin Bennett: Wer nach Einsparmöglichkeiten suche, werde auch fündig: "Aber auf der reinen IT-Seite betragen die Ersparnisse nur zwei bis zehn Prozent, der Rest ist auf der -Business-Seite zu holen." Notwendig sei es dazu, ein neues Verhältnis zwischen IT und Fachabteilungen zu etablieren: "Wenn die IT nur als Backoffice-Fabrik gesehen wird, ist es schwierig."

Damit die Pioniere nicht draufzahlen

Ebenfalls nicht einfach ist das Problem der Kostenverteilung: Auf Wiederverwendung angelegte Entwicklung kostet nach Ansicht der Experten ein Zehntel bis ein Drittel mehr als konventionelle Softwareerstellung. Den Fachabteilungen, die den Aufwand finanzieren müssen, ist nur schwer vermittelbar, warum sie für Funktionen zahlen sollen, von denen andere Abteilungen später profitieren werden.

Für Hans Rösch, CIO des Energieversorgers Vattenfall Europe, ist die Kostenverteilung Aufgabe der IT-Governance. "Hier geht es um das Konzernoptimum", resümierte er. Folglich sei eine "zentrale Anschubfinanzierung" notwendig. Vattenfall untersucht derzeit mit dem Beratungs- und Serviceunternehmen Unilog Avinci, wie sich das SOA-Konzept im Unternehmen umsetzen lässt. Dem Governance-Thema misst Rösch hohe Bedeutung bei.

Christian Heuer, Unit Manager bei Unilog Avinci, hatte denn auch einige Ideen zum Thema Kostenverteilung beizusteuern. Seinen Berechnungen nach betragen die zusätzlichen Kosten einer SOA-konformen Entwicklung zehn bis 15 Prozent: "Es sollte ein Budget geben, das den Mehraufwand leicht überkompensiert, um einen Anreiz zu schaffen". Die Basiskosten ließen sich selbstverständlich auch umlegen.

T-Com-Manager Schweichhart warnt allerdings davor, das Thema Kostenumlage allzu zu früh aufs Tapet zu bringen: "Sie fassen heilige Kühe an." Für drei oder vier Services lohne sich das noch nicht.

Wieso es auf die Größe ankommt

Auch die Frage nach der "richtigen" Granularität tauchte immer wieder auf: Sollen die einzelnen Services ein komplettes Funktionsspektrum bieten und damit attraktiv für eine begrenzte Anzahl von Nutzern sein? Oder ist es umgekehrt sinnvoller, sie in kleine Stücke zu zerlegen, die sich jedes für sich möglichst häufig wiederverwenden lassen? Erwartungsgemäß gab keiner der Referenten hierauf eine pauschale Antwort. Tatsächlich kommt es immer auf die Art der Services an - und darauf, ob es bereits Mechanismen gibt, um Services abzulegen und aufzufinden.

Die vielen offenen Fragen bestätigen, dass die Unternehmen mit dem Thema SOA erst ganz am Anfang stehen. Das Beratungsunternehmen Accenture und der Anbieter Oracle haben gemeinsam ein fünfstufiges Modell zur Einordnung der "SOA-Reife" entwickelt. Es reicht von einer "opportunistischen" Annäherung auf Stufe 1 über die "taktische" (2) und "strategische" (3) Anwendung bis zum "unternehmensweiten" Einsatz (4) und der "Industrieführerschaft" (5).

Wie Rolf Schwirz, Geschäftsführer der Oracle Deutschland GmbH, berichtete, ordnen die meisten Anwenderunternehmen mit SOA-Erfahrung sich selbst auf den Stufen 4 oder 5 ein, während sie in Wirklichkeit oft noch nicht einmal auf der Stufe 3 angekommen seien. Am bescheidensten seien diejenigen, die tatsächlich schon etwas vorzuweisen hätten.