E-Commerce-Trends

So sieht der Online-Handel 2020 aus

20.01.2020
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Social Commerce - das neue E-Commerce?

Social Commerce ist ein Trend, der rasant Fahrt aufnimmt. Facebook, Instagram, Snapchat und andere haben E-Commerce-Features in ihre Plattformen integriert, um ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen und ihre Besucher auch dann auf ihren Seiten zu halten, wenn diese einkaufen möchten. Das populärste Beispiel ist Facebooks Marketplace, wo bereits 800 Millionen Menschen in 70 Ländern gebrauchte und neue Produkte handeln - unter ihnen mehr als ein Drittel der amerikanischen Facebook User.

Die Angebote reichen von Kleidung und Schuhen über Autos bis hin zu Wohnungen und Häusern. KI-Algorithmen helfen, das Nutzerverhalten zu verstehen und die Inhalte personalisiert darzustellen. Facebook unterstützt Verkäufer dabei, potenzielle Interessenten aufmerksam zu machen. KI hilft in mehrfacher Hinsicht - etwa dabei, automatisiert die Qualität eingestellter Fotos zu verbessern oder Angebote in eine andere Sprache zu übersetzen.

Sie hilft auch bei Preisempfehlungen und dabei, Angebote automatisch zu taggen und zu kategorisieren. Wird ein Bild mit zu dürftiger Beschreibung zum Verkauf angeboten und hochgeladen, ist Facebook mittels KI-Algorithmen in der Lage, die Beschreibung zu vervollständigen und kontextsensitive Informationen beizusteuern.

Ein anderes Beispiel liefert "Instagram Checkout", vorerst nur in den USA verfügbar. Nutzer können über den Button "Checkout on Instagram" von Freunden oder Influencern empfohlene Angebote kaufen und dabei zwischen Größen, Farben, Varianten etc. wählen. An einem ersten Feldversuch haben sich Marken wie Adidas, Nike, Prada, Dior, Zara, Burberry und andere beteiligt. Für Instagram-Nutzer hält sich der Aufwand in Grenzen: Sie müssen ihren bereits hinterlegten Registrierungsdaten lediglich Zahlungsinformationen und die Lieferadresse hinzufügen. Wollen sie ihre Bestellung nachverfolgen, können sie auch das auf der Instagram-Seite tun.

Snapchat arbeitet ebenfalls mit In-app Stores, hält sich hierbei aber zunächst an die großen Snap-Influencer. Im Juni 2019 führte das Unternehmen auf Snapchat in den USA testweise den Button "Shop" ein, der einer Handvoll Influencern den direkten Verkauf von ihrem Snapchat-Account ermöglicht. Die Shops, "powered by Shopify", werden von den Influencern Kylie Jenner (Kylie Cosmetics); Kim Kardashian (KKW Beauty); Shay Mitchell (Béis); Spencer Pratt (Pratt Daddy Crystals) und Bhad Bhabie (BHADgoods) betrieben. Sie verkaufen dort - mit von Snap auferlegter Zurückhaltung - Kleidung, Schuhe, Schmuck, Kosmetik oder ähnliches.

Während der Social Commerce in den westlichen Ländern langsam Fahrt aufnimmt, sind die Asiaten schon viel weiter. 92 Prozent der Online-Händler in den fernöstlichen Ländern sagen, der Verkauf über Social-Kanäle sei schon jetzt essenziell für ihr Geschäftswachstum. Konsumenten lassen sich demnach von ihren Kontakten inspirieren, und die hohe Kunst für Händler besteht darin, die Kunden bei ihren Interessen abzuholen und als Käufer zu gewinnen.

Der große Vorteil: Die Anbieter sind nahe an ihren Kunden und können unmittelbar Fragen beantworten. Dass der Social Commerce auch auf Ladengeschäfte Einfluss nehmen kann, zeigt das Beispiel der britischen Luxusmarke Burberry, die in diesem Jahr gemeinsam mit dem chinesischen Web-Riesen Tencent in der Millionenstadt Shenzhen einen "Social Retail Store" gründen will. Burberry setzt darauf, dass rund um die eigene Marke ein Community-Building möglich ist und verfolgt das Ziel, soziale Medien und Einkaufserlebnis im Laden zusammenzuführen. In beiden Welten sollen sich Kunden der Luxusmarke vernetzen, mit Influencern zusammentreffen - und natürlich kaufen.

Auch Tencent, Betreiber der Super-App WeChat, ermöglicht Mode-Labels, Produkte im Social Web und im Laden anzubieten. Ein Partner aus der Modebranche, der sich 2017 besonders weit vorwagte, war das dänische Modeunternehmen Bestseller ("Jack & Jones"): Unterstützt von Tencent betreibt es ein Bekleidungsgeschäft in Shenzhen, in dessen Umkleideräume Gesichtsscans vorgenommen werden können, damit Konsumenten sich passend zu ihrem Typ Kleidung empfehlen lassen können. "Social Media ist ein wichtiger Teil der Customer Journey beim Kauf von Luxusgütern - vor allem in der Phase der Inspiration", sagt CEO Marco Gobbetti von Burberry. Der Handel müsse darauf reagieren, und China sei dafür der richtige Markt. Die Chinesen seien ausgesprochen Social-Media-affin und zudem konsumorientiert.

Content Marketing im Aufwind

Der E-Commerce ist immer weniger auf platte Produktwerbung angewiesen, dafür immer mehr auf relevanten Content. Das ist der Grund, warum Social Commerce funktioniert, warum Influencer erfolgreich sind und warum das Content Marketing weiter neue Blüten treibt. Neuerdings verschmelzen Content und E-Commerce immer stärker. Wie das funktioniert, zeigt das Affiliate Marketing vieler Verlage, die über Produkte schreiben und gegen Provisionen auf Shops verlinken, wo diese dann gekauft werden können.

Ein anderes Beispiel ist ein gemeinsames Projekt von Walmart und Buzzfeed. Das Medienunternehmen veröffentlicht seit einiger Zeit erfolgreich Kochvideos in der Reihe "Tasty Cooking". Ein Deal mit Walmart ermöglicht den Zuschauern, bereits während des Videokonsums die Zutaten für das jeweilige Gericht zu bestellen:

Die TastyApp ist mit Walmarts mobiler Website integriert, die über geospezifische Features verfügt. Kunden können so herausfinden, ob alle Produkte vollständig beim Walmart um die Ecke zu erwerben sind. Die beiden Unternehmen haben sich vom Entwicklungsunternehmen Northfolk unterstützen lassen, um Walmarts mobile Website mit dem Rezepte-Content von Tasty zusammenzuführen.

Gekauft wird in solchen Geschäftsmodellen dann, wenn das Interesse und die Aufmerksamkeit des Kunden gerade am größten und eine Konversion am wahrscheinlichsten sind. Dieses Prinzip dürfte dazu führen, dass auch im Internet of Things (IoT) viele neue Möglichkeiten für den E-Commerce entstehen. Insbesondere im Smart Home erhalten immer mehr Geräte und Gegenstände digitale Schnittstellen und mutieren damit zu potenziellen Points of Sales (PoS). SmartTVs stehen bereits in nahezu jedem Haushalt, smarte Lautsprecher wie Amazon Echo oder Google Assistant erfreuen sich einer ungebrochen starken Nachfrage.

Kühlschränke und Waschmaschinen bekommen digitale Schnittstellen und lassen sich als PoS nutzen. Zudem wird die Sprachsteuerung in den Vordergrund treten: das Thermostat, das auf natürliche Sprache reagiert oder der Staubsauger, die Alarmanlage, die Jalousie oder das Licht. Warum sollten nicht auch hier ergänzende Einkäufe, etwa von Services, möglich sein?

Nachdem Amazon 2014 mit Alexa und zwei Jahre später Google mit dem Assistant an den Start ging, hat eine atemberaubende Technologieentwicklung eingesetzt. Man muss kein Wahrsager sein um zu prophezeien, welche Rolle diese Technologien in den Haushalten spielen werden. Noch unklar ist, welche Chancen sich dadurch für den E-Commerce ergeben werden.