CTO Nick Mitrovic im Gespräch

So migrierte Oxfam in die Azure-Cloud

06.04.2020
Eine zerklüftete IT-Infrastruktur und jede Menge Performance-Schwierigkeiten auf den digitalen Plattformen: Die NGO Oxfam rettete sich mit einem Sprung in die Public Cloud. CTO Nick Mitrovic erzählt.
Die Public Cloud war für Oxfam ein Rettungsanker. CTO Nick Mitrovic gibt im Interview Einblicke in die Cloud Journey der NGO.
Die Public Cloud war für Oxfam ein Rettungsanker. CTO Nick Mitrovic gibt im Interview Einblicke in die Cloud Journey der NGO.
Foto: Protasov AN - shutterstock.com

Oxfam hat seine IT-Systeme auf Cloud Computing umgestellt. Warum?

Mitrovic: Wir verfolgen das Ziel, auch als digitaler gemeinnütziger Verein führend zu werden. Deshalb brauchten wir eine Plattform, mit der wir uns technologisch weiterentwickeln können. Die IT-Systeme in unseren drei Rechenzentren waren veraltet, vor allem eine maßgeschneiderte Lösung, die wir nur schwer verändern oder weiterentwickeln konnten. Damit war es uns kaum noch möglich, auf sich schnell verändernde Situationen zu reagieren. Unternehmen können die Nachfrage besser planen, sie wissen, wann der nächste Ausverkauf stattfinden wird. Wir dagegen können nicht vorhersagen, wann die nächste kritische Situation eintritt und wir darauf reagieren müssen.

Welchen technischen Herausforderungen standen Sie gegenüber?

Mitrovic: Unsere Website wies aufgrund unserer Legacy-Systeme mangelhafte Reaktionszeiten auf, weshalb die Customer Experience nicht gut war. Statt uns um technische Innovationen zu kümmern, mussten wir reaktiv IT-Probleme lösen. So blieb uns keine Gelegenheit, an den Oxfam-spezifischen Herausforderungen zu arbeiten. Hinzu kommt: Wir wirtschaften kostenorientiert, unser Budget sollte vorwiegend in die Programme und nicht in die Betriebsorganisation fließen. Regelmäßige Investitionen in ein neues IT-System sind daher zu vermeiden.

Oxfam setzt vollständig auf einen Public-Cloud-Ansatz. Warum?

Mitrovic: Tatsächlich hatten wir zunächst Bedenken, was Performance, Compliance und Datensicherheit angeht. Neben der DSGVO beschäftigte uns speziell die PCI-DSS, die die Kartenzahlung regelt und für unser Spendenprogramm entscheidend ist. Darüber hinaus legt Oxfam allergrößten Wert auf Datenschutz - wir sehen das als eine ethische Verantwortung gegenüber unseren Unterstützern und Begünstigten.

Nick Mitrovic, CTO bei Oxfam.
Nick Mitrovic, CTO bei Oxfam.
Foto: Oxfam

Die Public Cloud erfüllt unsere Sicherheits- und Compliance-Anforderungen, und die Leistung unserer ressourcenintensiven Systeme hat sich seit dem Umstieg auf die Public Cloud tatsächlich verbessert. Unsere unternehmenskritischen Systeme laufen nun auf SaaS-, PaaS- und IaaS-Plattformen und liefern bessere Ergebnisse als bisher. Zu Beginn wussten wir allerdings noch nicht, ob wir die Private-, Public- oder Hybrid-Cloud-Variante wählen sollten. Wir haben uns dann an Rackspace als Partner gewandt, weil die sowohl Wissen über Public als auch Hybrid Cloud mitbringen.

Wer ist Oxfam International?

Oxfam ist eine gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, weltweit Armut zu bekämpfen. In einem Jahr erreicht das Unternehmen über 20 Millionen Menschen direkt und noch weitere indirekt über Programme. Rund um die Uhr reagieren die Oxfam-Teams auf Notfälle weltweit. Sie unterstützen bei der Wasserversorgung, sanitären Einrichtungen, Lebensmitteln, aber vor allem beim Wiederaufbau von Existenzen und Gesellschaften. Die Organisation will Menschen dabei unterstützen, selbst Wege aus der Armut zu finden. Global gehören 10.000 Mitarbeiter zu Oxfam, die von über 30.000 Freiwilligen unterstützt werden. Darüber hinaus zählt Oxfam mit 670 Filialen zu den größeren britischen Einzelhändlern.

Wie haben Sie die Oxfam-Mitarbeiter auf den Weg in die Public Cloud mitgenommen?

Mitrovic: Die Veränderung war groß, unsere Mitarbeiter stellten Fragen wie: Ist die Cloud sicher? Ist sie zuverlässig? Wie hoch sind die Kosten? Und letztlich auch: Was bedeutet das für unseren Job? Wir haben Workshops mit allen Beteiligten aufgesetzt und herausgefunden, worum es bei den spezifischen Anwendungen geht und was das für die Menschen und ihre Aufgaben bedeutet.

Wir haben außerdem alle IT- und Business-Teams beauftragt, gemeinsam die Chancen, die durch eine solche Migration entstehen, zu erarbeiten. So haben wir uns an die neue Welt gewöhnt und gemeinsam neue Arbeitsweisen identifiziert. Durch die enge Zusammenarbeit während des gesamten Prozesses und die vielen Workshop, haben wir nicht nur gute technische Lösungen entwickelt, sondern unsere Teams haben sich auch neue Fähigkeiten angeeignet. Schon wenige Monate nach der Cloud-Migration waren die Mitarbeiter tief im Thema und wollten immer noch mehr wissen.

Cloud-Migration mit Challenges

Wie sind Sie mit den technischen Herausforderungen fertig geworden?

Mitrovic: Unser System veränderte sich komplett: Wir mussten unser Netzwerk-, Backup- und Verfügbarkeitsdesign neugestalten und die Veränderung einiger klassischer Technologien wie SMTP und FTP umsetzen. Unser Sicherheitskonzept ist auch ein anderes: Statt weniger Firewalls für das Gesamtsystem haben wir nun hunderte, die jeweils einzelne Applikationsbündel absichern.

Welche Rolle hat Rackspace als externer Berater in dieser Migration gespielt?

Mitrovic: Sie haben uns erstmal geholfen unsere individuellen Herausforderungen zu erarbeiten. Anschließend hat uns Rackspace beim Management der Infrastruktur unterstützt, so dass wir in Ruhe darüber nachzudenken konnten, wie das System in der Cloud aussehen sollte, welche Anwendungsfälle vorkommen und was genau wir migrieren müssen.

Welche Anwendungen haben Sie migriert und warum?

Mitrovic: Wir haben alle Anwendungen in die Cloud migriert, nur nicht unser CRM, das ohnehin durch eine SaaS-gesteuerte Omni-Channel-Engagement-Plattform ersetzt werden sollte. Auch unser Telefonsystem haben wir nicht migriert, weil es durch eine Cloud-basierte Lösung ausgetauscht wurde.

Die Migration umfasste unsere Websites, Spenden-(Zahlungs-)Systeme, E-Commerce- und Retail-Lösungen, Data Warehouses, Festival-Management-Plattform, Logistiksystem, Freiwilligensysteme und natürlich unser ERP. Das ERP war wohl das kniffligste, da es ressourcenintensiv und auch relativ empfindlich gegenüber Netzwerklatenzen ist. Unser Dienstleister hat uns mit seinen Migrationsmethoden und Discovery-Workshops zu den Anpassungen technischer Designs geholfen.

Hat die Cloud-Migration wirtschaftliche Erfolge für Oxfam gebracht?

Mitrovic: Sie war definitiv ein großer Erfolg. Im ersten Betriebsjahr ist das Einzelspendenvolumen um 32 Prozent gestiegen, der E-Commerce-Bereich wuchs um 22 Prozent und 50 Prozent aller Customer Journeys haben eine signifikante Leistungssteigerung erfahren. Zum Beispiel haben sich die Reaktionszeiten unserer Festival-Anwendung von 17,82 Sekunden in der alten Lösung auf 0,16 Sekunden in Azure verkürzt. Erst kürzlich haben wir unsere neue Omni-Channel-Engagement-Plattform sowie die Oxfam-Data-Plattform eingeführt, die bereits über mehr als eine Milliarde Datensätze verfügt. Dank unseres Cloud-First-Ansatzes dauerte die Implementierung der Oxfam-Data-Plattform nur wenige Monate.

Welche Tipps würden Sie Unternehmen mit ähnlichen Herausforderungen geben?

Mitrovic: Die Cloud-Technologie entwickelt sich schnell und kontinuierlich weiter. Deshalb müssen Führungskräfte sicherstellen, dass die Kollegen Zeit und Raum haben, sich weiterzubilden. Darüber hinaus haben wir im Vorfeld sichergestellt, dass die Informationen über unsere Systeme und Schnittstellen vor den Workshops mit unserem Dienstleister auf dem neuesten Stand sind. Das hat die Migrationszeit verkürz. Denken Sie auch von Anfang an das Thema Nutzen- und Kosten-Monitoring mit. Das wird in der turbulenten Migrationsphase oft vergessen und ist nur schwer im Nachhinein einzuführen. Außerdem bietet es eine gute Diskussionsgrundlage für ständige Optimierungen. Für uns hat es sich ausgezahlt. Wir konnten im ersten Betriebsjahr 20 Prozent der Azure-Kosten einsparen. (hv)