IT in der Automobilindustrie/Collaboration im Trend

So lassen sich Entwicklungszeiten verkürzen

13.09.2002
Planung und Konzeption eines "Gesamtfahrzeuges" sind sehr komplex geworden und erfordern eine reibungslose Zusammenarbeit aller an diesem Prozess Beteiligten. Tragende Rollen übernehmen dabei auch IT-Tools aller Art. Von Manfred Prigl*

Die Konkurrenz ist groß, die Ansprüche der Kunden steigen, und das Angebot wird immer ähnlicher. Die Hersteller kontern mit einer steigenden Modellvielfalt von immer komplexeren Fahrzeugen, für die wesentlich kürzere Entwicklungszyklen zur Verfügung stehen als noch vor wenigen Jahren.

Obwohl der Anteil an Elektronik im Automobil ebenso angestiegen ist wie jener der Sicherheitsstandards, hat sich die Entwicklungszeit für ein Fahrzeug von durchschnittlich sieben Jahren auf rund drei Jahre verkürzt. Die Automobilbranche muss einen extremen Zuwachs an Entwicklungs-, Produktions- und Vermarktungsleistung bewältigen.

Um mit dieser rasanten Entwicklung Schritt halten zu können, beschränken sich die Hersteller auf das Wesentliche und sind heute eher High-Tech-Häuser denn Produzenten. Sie delegieren immer größere Teile der Herstellung bis hin zu ganzen Konstruktionsausführungen an Unterauftragnehmer, koordinieren diese Abläufe und konzentrieren sich auf Forschung und Produktions-Know-how. An der Entwicklung eines Fahrzeugs sind deshalb neben dem Automobilhersteller viele verschiedene Zulieferer an unterschiedlichen Orten beteiligt. Für mehr als 70 Prozent der tatsächlichen Herstellungsaufwendungen werden mittlerweile Systemlieferanten beauftragt, also Fremdfirmen die eigenverantwortlich "Komplettmodule" entwickeln und anschließend direkt an die Produktionsstraßen liefern und zum Teil sogar dort montieren. Planung und Konzeption des Herstellungsprozesses eines "Gesamtfahrzeugs" sind daher sehr komplex und erfordern eine reibungslose Zusammenarbeit. Die zwingende Voraussetzung dafür ist eine verzahnte IT-Landschaft. Leistungsfähige Softwareprodukte erleichtern die Arbeit der Entwickler. So hat sich die Planungs- und Entwicklungsphase eines Fahrzeugs enorm verkürzt. Früher wurden technische Zeichnungen auf Reiß- beziehungsweise Zeichenbrettern erstellt. Sie dienten dazu, beispielsweise dem Facharbeiter an der Fräsmaschine - die jetzt von CNC-Programmen (Computer Numerical Control) gesteuert wird - zu vermitteln, wie das zu bearbeitende Teil auszusehen hat.

Mittlerweile werden diese Bauteile auf Computern entwickelt. Sie bestehen zwar visuell immer noch aus geometrischen Formen, jedoch nicht mehr nur aus Geraden und Kurven, sondern auch aus komplexen Flächen oder soliden Volumenmodellen, die animiert auch Bewegungsabläufe darstellen können. Diese CAD-Systeme (Computer Aided Design) werden heute in der Automobilbranche eingesetzt; die Reißbretter sind ins Museum gewandert.

Digitale Produktmodelle

Statische und dynamische Berechnungen werden rechnerunterstützt mit Hilfe von CAE-Systemen (Computer Aided Engineering) durchgeführt. MDA (Mechanical Design Automation) dient der Automatisierung der mechanischen Konstruktion. CAM (Computer Aided Manufacturing) schlägt schließlich die Brücke zwischen Entwicklungs- und Fertigungsprozess unter Einbeziehung der digitalen Produktmodelle. Ziel ist es, die gesamte Prozesskette von der Produktidee bis zur Überleitung in die Produktion digital abzubilden und einen reibungslosen Informationsfluss zwischen allen beteiligten CAx-Systemen zu gewährleisten.

Eine immer größere Rolle spielt das Digital Mockup (DMU). Diese digitale Integrationsplattform ermöglicht den Zusammenbau der einzelnen Teile zu einem virtuellen Automobil. Auf diese Weise können die Hersteller und Zulieferer die an unterschiedlichen Orten konstruierten Teile nachbilden, zusammensetzen und überprüfen, ob sie passen.

Virtual Reality immer häufiger

Entwickler erhalten so bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase die Möglichkeit, die Eigenschaften einzelner Teile, größerer Baugruppen oder ganzer Modelle zu begutachten und sogar direkt zu beeinflussen. Dies ist umso wichtiger, als bereits rund 70 Prozent der späteren Produktkosten im Produktentstehungsprozess definiert werden, wie aus verschiedenen unabhängigen Studien, unter anderem von der Aberdeen Group, hervorgeht. Zur Darstellung von DMU verwendet die Branche immer häufiger Virtual Reality. Hier taucht der Nutzer in die künstlich geschaffene Umgebung ein und kann auf die zuvor berechneten Daten zugreifen und im Team an dem Modell arbeiten.

Die deutsche Automobilindustrie ist bei der Anwendung von Virtual Reality federführend. So wird etwa die Cave, ein auf einer Seite offener Acrylglas-Würfel, eingesetzt. Sie ist im Prinzip wie ein begehbares 3D-Kino aufgebaut. Diesen Raum kann der Entwickler begehen und mit Hilfe eines Datenhandschuhs darin agieren. Über die Brille nimmt der Konstrukteur seine virtuelle Umgebung nahezu realistisch wahr. Kabel an der Brille geben Signale an einen Computer wieder, der die Umgebung entsprechend berechnet und darstellt. Durch diese neuen Möglichkeiten lassen sich die Entwicklungszeiten der Fahrzeuge verkürzen und damit Kosten einsparen sowie der Reifegrad sowohl des Produkts als auch der Prozesse, steigern. Allein im Modell- und Attrappenbau liegt das Einsparpotenzial bei rund 20 Prozent, schätzen Experten.

Alle beim Planungs- und Entwicklungsprozess gewonnenen Daten und Informationen sollten allen Projektbeteiligten je nach Berechtigungs- und Zugangscode definiert zu jeder Zeit in korrekter Art und Form sowie am richtigen Ort zur Verfügung stehen. Dafür ist beispielsweise während der Entwicklung auch die Interoperabilität zwischen verschiedenen CAD-Programmen erforderlich. Doch das allein reicht nicht. Im Trend ist Collaborative Product Development (CPD).

Wenn nämlich alle projektrelevanten Informationen im richtigen Kontext verfügbar sind, ist auch die Koordination aller Vorgänge sowie die Kooperation und Kommunikation aller Partner gewährleistet - Voraussetzung für eine effektive und gezielte Zusammenarbeit, die sich über Ressort- und Bereichs- sowie Standort- und Unternehmensgrenzen hinaus erstreckt. "Wissensinseln" geraten ins Abseits - vernetztes Arbeiten und Wissen ins Zentrum.

Die Informationsströme müssen strukturiert und mit den einzelnen Partnern synchronisiert werden. Wichtig ist hierbei dann auch die verlässliche Reproduzierbarkeit der Prozesse und Vorgänge, da sich viele der Schritte und Ereignisse während eines Projekts stetig wiederholen. Der Standardisierung und Systematisierung kommt deshalb eine zentrale Rolle in der täglichen Zusammenarbeit zu. Eine Web-basierende Softwareplattform oder ein Portal sind die Voraussetzungen für ein erfolgreiches CPD.

Und auch noch nach der Fertigung ist die Nutzung dieser Daten für die Unternehmen von großer strategischer Bedeutung. Ein weiterer Trend in der Automobilindustrie lautet deshalb Product Lifecycle Management (PLM). Die bei der Entwicklung entstandenen Daten werden für Enterprise-Systeme wie ERP (Enterprise Resource Planning), SRM (Supplier Relationship Management), CRM (Customer Relationship Management) und SCM (Supply Chain Management) verfügbar gemacht. Auch PDM (Produktdaten-Management) zur Verwaltung und Betreuung produktbezogener Daten muss von allen an der Wertschöpfungskette beteiligten Unternehmen genutzt werden können, um auf Dauer erfolgreich am Markt bestehen zu können. Sehr viel Potenzial in diesem Bereich wird jedoch durch Inkompatibilität verschwendet. Nur durch offene Schnittstellen zu allen CAD-Systemen wie auch ERP-Applikationen können die Informationen von allen genutzt werden. So lassen sich nicht nur umfangreiche Daten zu jedem Fahrzeug abrufen, sondern zum Beispiel auch die Erfahrungen der Kunden und Händler einbinden, sodass etwaige Fehler schneller erkannt, behoben und künftig verhindert werden können.

Die Interoperabilität bietet nicht nur Vorteile für die Entwickler, Hersteller und Händler. Auch der Kunde profitiert. Er kann sich durch die Integration von PLM und CRM etwa im Internet mit einem Konfigurationsberater das Fahrzeug mit den gewünschten Optionen zusammenstellen. Durch PLM wird sichergestellt, dass die ausgewählten Komponenten auch zusammenpassen. Durch SCM und ERP werden die für den Bau des Fahrzeugs erforderlichen Module angefordert und festgelegt, wann das Fahrzeug montiert werden soll. Innerhalb kurzer Zeit erhält der Kunde ein auf seine Wünsche angepasstes Automobil - maßgeschneidert sozusagen. (bi)

*Manfred Prigl ist Business Development Executive Automotive von Parametric Technology Corporation (PTC) in München.

Angeklickt

- Die deutsche Automobilindustrie ist in Sachen Virtual Reality federführend. Allein im Modell- und Attrappenbau liegt das Einsparpotenzial bei 20 Prozent.

- "Wissensinseln" geraten ins Abseits - vernetztes Arbeiten ins Zentrum.

- Produktionsdaten werden immer häufiger auch für das Lifecycle-Management genutzt.

Abb: Collarborative Product Development

Collaborative Product Development (CPD) leistet einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung strategischer Ziele. Quelle: Collaborating to Compete: A New Way Forward - Accenture Pan-European CPD Survey, 2001