Dem Virus auf der Spur

So hilft IT bei der Corona-Eindämmung

21.04.2020
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Mit verschiedenen Apps und Tools wollen IT-Hersteller Regierungen, Gesundheitsbehörden und Unternehmen dabei unterstützen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und die Auswirkungen der Pandemie in Grenzen zu halten.

Schnell geschaltet bei der Unterstützung im Kampf gegen das Coronavirus hat SAP. Der deutsche Softwarehersteller hat schon im März eine App für die von der deutschen Regierung gestartete Rückholaktion für deutsche Urlauber entwickelt. Nachdem der internationale Luftverkehr nahezu zum Erliegen gekommen war, saßen Zehntausende deutscher Touristen in ihren Urlaubsländern fest. Um die Rückholaktion planen und koordinieren zu können, sollten sich die gestrandeten Urlauber über die Website des Auswärtigen Amtes in eine entsprechende Liste eintragen.

Um die Verbeitung des Virus einzudämmen, geht es darum, Spuren zu verfolgen. Wer war wann an welchem Ort und hatte möglicherweise Kontakt zu anderen Menschen.
Um die Verbeitung des Virus einzudämmen, geht es darum, Spuren zu verfolgen. Wer war wann an welchem Ort und hatte möglicherweise Kontakt zu anderen Menschen.
Foto: Aleksandr Ozerov - shutterstock.com

Doch die sogenannte Elefand-Liste (Elektronische Erfassung von Deutschen im Ausland) brach unter dem Ansturm der Menschen, die sich registrieren lassen wollten, zusammen. Das System war den Massen nicht gewachsen, wie Regierungsvertreter einräumen mussten. Um die Aktion nicht scheitern zu lassen, wandte sich das Auswärtige Amt an SAP. Es ging um den Ad-hoc-Ersatz der bestehenden Web-Applikation, die Neuentwicklung und das Deployment der App sowie den Betrieb durch SAP. Mit Hilfe eines global organisierten Teams von zeitweise über 40 Kollegen in drei Zeitzonen sei es gelungen, in einer Nachtschicht eine entsprechende UI5-App auf der SAP Cloud Platform (SCP) zu entwickeln, berichteten die SAP-Verantwortlichen. Diese App konnte binnen 24 Stunden via Weblink bereitgestellt werden.

Zahl der Intensivbetten genau im Blick

Das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI e. V.) haben gemeinsam mit dem Analytics-Spezialisten SAS eine Informations- und Prognoseplattform aufgebaut, die einen Überblick über den Bestand und Bedarf an freien Intensivbetten mit Beatmungsgeräten geben soll. Das Informa­tionssystem ist laut Hersteller in der Lage, in Echtzeit Transparenz bezüglich der Belegung der vorhandenen Intensivbetten zu schaffen, und erlaubt darüber hinaus Vorhersagen zu den benötigten Kapazitäten. Behörden und Kliniken könnten ihre Ressourcenverteilung so im Vorfeld dem zu erwartenden Bedarf anpassen. Laut SAS besteht derzeit eine große Herausforderung darin, intensivmedizinisches Personal und Ressourcen so zu koordinieren, dass sie genau dort zur Verfügung stehen, wo und vor allem wann sie gebraucht werden.

Schnellere Abläufe mit RPA

Automation Anywhere, ein Anbieter für Robotic Process Automation (RPA), hat Lösungen angekündigt, mit deren Hilfe Regierungen, Gesundheitsorganisationen und Unternehmen in die Lage versetzt werden sollen, Programme für Remote Working zu entwickeln sowie die Geschäftskontinuität zu gewährleisten. Beispielsweise soll sich die manuelle Verarbeitung von klinischen Fallbögen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) automatisieren lassen: So nutzt der National Health Service (NHS) in Großbritannien den KI-gestützten IQ Bot von Automation Anywhere, um wichtige Patienteninformationen aus Dokumenten zu extrahieren und Covid-19-Fälle schnell und genau für die WHO zu verarbeiten.

Kurzarbeiter-App

Darüber hinaus gibt es jede Menge Apps, die Behörden und Unternehmen in der Corona­krise unterstützen sollen. Analytics-Spezialist Alteryx etwa hat gemeinsam mit dem Unternehmen M2 Technologie- und Projektberatung die "KurzarbeitApp" entwickelt. Diese hilft kleinen und mittelständischen Unternehmen, das Kurzarbeitergeld für ihre Angestellten schneller zu berechnen. Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern könnten damit sofort die Ergebnisse für jeden einzelnen Mitarbeiter ermitteln und die Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen analysieren, heißt es. Zudem ließen sich verschiedene Szenarien vergleichen, um die bestmögliche Lösung für Unternehmen und Mitarbeiter zu bestimmen.

Das Husten verrät den Virus

Forscher der Universität Cambridge arbeiten derweil an einer App, die anhand von Atem- und Hustengeräuschen sowie dem Klang der Stimme erkennen kann, ob ein Nutzer an Covid-19 erkrankt ist. Dafür benötigen die Wissenschaftler möglichst viele Tonaufnahmen, die über das Mikrofon im Smartphone gesammelt werden sollen, sowie außerdem demografische und medizinische Informationen. Damit werden Machine-Learning-Algorithmen der "Covid-19 Sounds App" trainiert, die in der Folge in der Lage ist, charakteristische Geräusche einer Covid-19-Infektion zu erkennen. Die Entwickler versprechen, die Daten nur zu Forschungszwecken zu verwenden, und hoffen auf eine umfangreiche Crowdsourcing-Datensammlung.

Mobilitätsberichte für über 130 Länder

Auch die Großen im weltweiten App-Geschäft wollen helfen. Google hat Anfang April Mobilitätsberichte für mehr als 130 Länder veröffentlicht, die laufend aktualisiert werden sollen. Das Ziel: Anhand von Bewegungsdaten von Smartphone-Nutzern soll nachvollzogen werden können, ob sich die Menschen an die Ausgangsbeschränkungen halten und Distanzen einhalten. Tatsächlich zeigen die Auswertungen, dass die Deutschen vor allem nach dem Shutdown Mitte März zu Hause geblieben sind. Dafür wertet Google – anonymisiert, wie die Verantwortlichen betonen – via Smart­phone eingesammelte GPS- und WLAN-Daten aus, sofern die Nutzer die Ortungsfunktion freigegeben haben. Diese Informationen sind viel genauer als Funkzellenortungen.

Plattform für Kontaktnachweise

Gemeinsam mit Apple hat Google angekündigt, Regierungen und Gesundheitsbehörden weltweit bei der Entwicklung von technischen Werkzeugen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie zu unterstützen. Vor allem geht es dabei um Apps, mit deren Hilfe Behörden die Kontakte freiwilliger Nutzer via Bluetooth zurückverfolgen und Auswertungen fahren können. Zuerst soll es ab Mai APIs geben, die eine bessere Interoperabilität von iOS- und Android-Geräten ermöglichen. Das soll nationalen Gesundheitsbehörden die Ent­wicklung von Apps zu erleichtern. Später wollen die Partner eine Bluetooth-basierte Plattform für das Nachvollziehen von Kontakten anbieten. Sie werde stabiler sein als ein API-Ansatz und mehr Personen erlauben, teilzunehmen – auf freiwilliger Basis, wie immer wieder betont wird. Auch könnten Nutzer der Plattformen dann mit einem größeren Öko­system an einschlägigen Apps in Verbindung treten. Privatsphäre, Transparenz und Zu­stimmung der Nutzer seien besonders wichtig, hieß es. Dafür wollen die beiden Internet- Giganten eine offene Zusammenarbeit pflegen und Behörden sowie weitere Stakeholder ­einbeziehen.

Täglich neu - Corona-Nachrichten für die ITK-Welt

Eine Tracing-App soll helfen, die Spuren von Corona­virus-Infizierten nachzuverfolgen und Kontakte zu anderen Personen zu ermitteln. Nach Einschätzung von Regierung und Behörden könnte dies die weitere Ausbreitung eindämmen. Dabei wird über das Smartphone per offener Bluetooth-Verbindung registriert und aufgezeichnet, welche anderen Handys – ebenfalls mit entsprechender App und eingeschaltetem Bluetooth – in unmittelbarer Nähe sind. Stellen Nutzer bei sich selbst eine Covid-19-Infektion fest, lässt sich anhand der Daten nachverfolgen, mit welchen Personen zuvor Kontakt bestand. Deutsche Politiker versichern, die Nutzung eines solchen Systems werde nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Andererseits steht und fällt der Erfolg einer Corona-App mit einem breitflächigen Einsatz. In anderen europäischen Ländern wird hinter vorgehaltener Hand schon über einen verpflichtenden Einsatz einer entsprechenden App diskutiert.