So funktioniert Fuzzy Logic

02.10.1992

Wie steuert man die Gaszufuhr bei einem Ofen? Nach bestimmten Regeln, von denen eine wie folgt lauten könnte:

Wenn die Temperatur in der Brennkammer sehr hoch ist und der Druck über dem Normalwert liegt, sollte die Gaszufuhr gedrosselt werden.

Das mag für einen menschlichen Benutzer ausreichen; für eine herkömmliche maschinelle Steuerung aber ist die Regel viel zu vage. Da muß sie etwa so lauten:

Wenn die Temperatur größer ist als 870 Grad und der Druck größer als 40 bar, dann stelle die Gaszufuhr auf 0,3.

Die Präzision der Regel mag zwar beeindrucken, aber gerade sie hat ihre Tücken. Sind 869 Grad eine "sehr hohe" Temperatur? Nein, sagt die maschinelle Steuerung, denn die Grenze liegt bei 870 Grad. Und 871 Grad, ist das eine "sehr hohe" Temperatur? Ganz sicher ja, interpretiert das System.

Jedem halbwegs vernünftigen Menschen muß dies absurd vorkommen wenn 871 "sehr hoch" ist, muß doch 869 ebenfalls "sehr hoch" oder zumindest "hoch" sein! Nun, Steuerungen denken eben nicht.

In der Kombination wird die Sache sogar gefährlich: Bei 871 Grad und 41 bar wird die automatische Steuerung gemäß obiger Regel die Gaszufuhr auf 0,3 drosseln, nicht aber bei 869 Grad und 63 bar einer viel kritischeren Situation, in der jeder Operateur sofort handeln würde.

Und wie funktioniert die entsprechende Fuzzy-Steuerung? Mit separaten sprachlichen Interpretationen der technischen Größen "Temperatur", "Druck" und "Gaszufuhr" sowie zwei Operationsregeln.

Zunächst zu den sprachlichen Definitionen: Die Ofentemperatur kann "sehr hoch" "hoch" "mittel" oder "niedrig" sein. Und zwar in einem Maß, das durch eine Zahl zwischen 0 und I ausgedrückt wird. Das ergibt für jede Temperatur Zugehörigkeiten zu vier unscharfen Mengen (vgl Abbildung 1).

Eine Temperatur von 910 Grad zum Beispiel gehört zu 0,8 zur Menge der "sehr hohen", zu 0,3 zur Menge der "hohen", zu 0,0 zur Menge "mittleren" und zu 0,0 zur Menge der "niedrigen" Temperaturen.

Beim Druck unterscheidet man die unscharfen Mengen "über normal", "normal" und "unter normal". 40,5 bar würden zu den Gruppen der "über normalen" und der "normalen" Drücke gehören.

Die beiden Handlungsregeln lauten nun wie folgt:

1. Wenn die Temperatur sehr hoch ist oder der Druck über normal, dann stelle das Gasventil auf "gedrosselt".

2. Wenn die Temperatur hoch ist und der Druck normal, dann stelle das Gasventil auf "halb offen" (vgl. Abbildung 2).

Größeren oder kleineren Wahrheitsgrad

In der Fuzzy Logic funktionieren die Operatoren "und", "oder" sowie "nicht" anders als in der klassischen Logik. Der Wahrheitsgrad zweier Aussagen, die mit "oder" verknüpft sind, entspricht dem größeren Wahrheitsgrad der beiden Einzelaussagen. Bei Verknüpfungen mit "und" nimmt man den kleineren Wahrheitsgrad, bei der Negation "nicht" die Differenz zum Wert 1.

Läßt man nur die Wahrheitsgrade 0 (für "falsch") und 1 (für "wahr") zu, so entsprechen die Fuzzy-Operatoren exakt den Operatoren der klassischen Logik. Mit anderen Worten: Die herkömmliche Logik ist ein Spezialfall der Fuzzy Logic

Die Schlüsse bestehen auch hier aus einer Vorbedingung (Wenn-Teil) und einer Folgerung (Dann-Teil). Aber sie werden anders ausgewertet als die Regeln der klassischen Logik. Die Schlußfolgerungen gelten nicht absolut, sondern nur im gleichen Maß wie die jeweiligen Vorbedingungen.

Um zu einer Handlungsanweisung zu kommen, muß die Steuerung die gewonnen Erkenntnisse noch auswerten.

Ein Zahlenbeispiel zeigt, wie es geht: Wir gehen wieder aus von einer Ofentemperatur von 910 Grad und einem Druck von 40,5 bar. 910 Grad sind eine eher (0,8) "sehr hohe", kaum (0,3) eine "hohe" Temperatur, 40,5 bar ist ein Druck genau zwischen "normal" (0,5) und "über normal" (0,5).

Das "oder" der Regel 1 nimmt den größeren Wert von 0,8 und 0,5, das "und" der Regel 2 den kleineren Wert von 0,3 und 0,5. Die Vorbedingung von Regel 1 ist also zu 0,8 erfüllt, jene von Regel 2 zu 0,3. Damit stehen auch die Schlußfolgerungen fest: Sie gelten nach Fuzzy Logic im gleichen Maß wie die Vorbedingungen. Regel 1 sagt, daß die Gaszufuhr zu einem Grad von 0,8 auf "gedrosselt" gestellt werden soll, während Regel 2 eine Gaszufuhr auf "halb offen" im Maß von 0,3 fordert.

Nun muß man diese beiden unscharfen Mengen ("gedrosselt" und "halb offen") grafisch auswerten. Dafür gibt es zwei verschiedene Methoden, die sich aber nur geringfügig unterscheiden.

Bei Methode 1, der Maxprod-Inferenz, multipliziert man die unscharfen Mengen mit dem Maß, in dem die jeweilige Vorbedingung erfüllt war, im vorliegenden Fall "gedrosselt" -mit 0,8 und "halb offen" mit 0,3 (vgl. Abbildungen 3 und 4).

Bei der Methode 2 (Maxmin-Inferenz) schneidet man von den Mengen alles ab, was über das Maß der jeweiligen Vorbedingung hinausgeht (vgl. Abbildung 5).

Wenn man die beiden so erhaltenen unscharfen Mengen zu einer einzigen zusammenfaßt, erhält man das Resultat des Fuzzy-Prozesses: eine weitere unscharfe Menge von möglichen Ventilstellungen, aus der die tatsächliche Einstellung kommen muß (vgl. Abbildung 6).

Einem wirklichen Ventil nützt diese Information allerdings wenig - es braucht eine Zahl. Also muß man das Resultat übersetzen - "defuzzifizieren", wie die Fachleute sagen. Auch dafür gibt es unterschiedliche Methoden. Die gebräuchlichste: Man berechnet den Flächenschwerpunkt der unscharfen Menge. Sein Ort legt den Stellwert für das Ventil fest. Bei Methode 2 würde dieser 2,7 m'/ h betragen (vgl. Abbildung 7).

(Quelle: c't 1991, Heft 3, Verlag Heinz Heise, Hannover)