Fraunhofer IIS klärt auf

So funktioniert die Bluetooth-Schnittstelle der Corona-Warn-App

01.07.2020
Von 
Peter Müller ist der Ansicht, dass ein Apple täglich den Arzt erspart. Sei es iMac, Macbook, iPhone oder iPad, was anderes kommt nicht auf den Tisch oder in die Tasche. Seit 1998 beobachtet er die Szene rund um den Hersteller von hochwertigen IT-Produkten in Cupertino genau. Weil er schon so lange dabei ist, kennt er die Apple-Geschichte genau genug, um auch die Gegenwart des Mac-Herstellers kritisch und fair einordnen zu können. Ausgeschlafene Zeitgenossen kennen und schätzen seine Beiträge im Macwelt-Morgenmagazin, die die Leser werktags pünktlich um acht Uhr morgens in den nächsten Tag mit Apfel und ohne Doktor begleiten. Privat schlägt sein Herz für die Familie, den FC Bayern, sechs Saiten, Blues-Skalen und Triolen im Shuffle-Rhythmus.
Das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen hat bei der Entwicklung der App die Bluetooth-Schnittstelle getestet. Wir hatten da ein paar Fragen – und interessante Antworten bekommen.

Der Quell-Code der Corona-Warn-App steht der Öffentlichkeit zur Verfügung, es bleiben jedoch Fragen, wie genau die Bluetooth-Schnittstelle, die ja direkt von Apple und Google entwickelt wird, im Hintergrund funktioniert. Wir haben deswegen die Verantwortlichen beim Fraunhofer Institut dazu befragt. Denn das Institut hat die Arbeiten an einer Variante der deutschen Corona-App, die mittels Abstandschätzung per Bluetooth funktioniert, bereits Anfang März begonnen.

Die Corona-Warn-App ist wohl die bis dato meist getestete App.
Die Corona-Warn-App ist wohl die bis dato meist getestete App.
Foto: DmitrySteshenko - shutterstock.com

Das skizzierte Konzept setzte zwar auf eine zentrale Datenhaltung statt einer dezentralen wie bei dem aktuellen Vorschlag von Google und Apple; Steffen Meyer, der Leiter der Abteilung Cooperative Systems and Locating Group am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen (IIS), bestätigt uns, dass die Erkenntnisse aus den Arbeiten an der frühen Variante der Corona-App auch an die Partner von Google und Apple geflossen sind. Fraunhofer Institut hat auch die App vor dem Start auf ihre Zuverlässigkeit der Abstandschätzung getestet.

Auf die Frage, warum aktuelle Corona-Apps fast ausschließlich auf Bluetooth als Technologie setzten, wo doch diese dafür erst gar nicht konzipiert wurde, antwortet uns der Experte, dass neben GPS Bluetooth fast allgegenwärtig in aktuellen Smartphones ist. Damit die digitalen Lösungen zur Pandemiebekämpfung überhaupt funktionieren, müssen sie die Nutzer ohne Probleme installieren können, das ist nur dann möglich, wenn die App auf eine verbreitete Technologie wie Bluetooth setzt.

Zudem ist Bluetooth bei der Abstandschätzung deutlich genauer als GPS, so Meyer. Bei GPS kann sich der Fehler bei einer Positionsbestimmung auf zehn Meter belaufen, bei zwei Beteiligten, also Nutzern, bei denen der Abstand gemessen werden soll, erhöht sich der Fehler auf 20 Meter. Bluetooth dagegen war schon immer als eine Nah-Distanz-Technologie konzipiert, ein Bluetooth-Modul sendet seine Feldsignale im Radius von 20 Metern, der Fehler bei der Abstandsschätzung beläuft sich auf wenige Dezimeter, nicht mehrere Meter.

Der technische Hintergrund der Abstandschätzung ist relativ einfach erklärt. Laut Bluetooth-Spezifikationen der Covid-19-Schnittstelle sendet ein Bluetooth-Modul im Smartphone viermal pro Sekunde Datenpakete in Größe von 15 bis 20 Bytes. In einem solchen Datenpaket sind neben den Rolling Proximity Identifiers, also ständig änderbaren Kennungen des Geräts, Daten zur Signalstärke (in dBm) enthalten, mit der das Gerät diese Datenpakete versendet. Einmal alle fünf Minuten scannt das Gerät mit der Corona-Warn-App die Gegend und empfängt die Datenpakete von den Smartphones aus der nächsten Umgebung. Dabei wird gemessen, mit welcher Signalstärke diese Datenpakete am Ziel-Smartphone angekommen sind, der Stärke-Unterschied wird in Abstand zwischen den Geräten umgerechnet, denn die Feldstärke nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab.

Steffen Meyer erklärt, dass bei den Corona-Apps eigentlich nur der Grenzwert wichtig ist, heißt, ob sich ein anderer Nutzer näher oder weiter als die vom RKI festgelegten 1,5 Meter befindet. Deshalb spricht man beim Fraunhofer Institut nicht von der Abstandmessung, sondern von einer Abstandschätzung. Zusammen jedoch mit der Dauer, über die sich die zwei Nutzer unterhalb der Abstandgrenze aufhalten, kann man so das Ansteckungsrisiko bewerten.

Laut Meyer kann die aktuelle App in 80 Prozent der Fälle den Abstand richtig schätzen. Das hätten mehrere Tests im Testzentrum L.I.N.K. der Fraunhofer IIS gezeigt. Die Forscher haben bei der Entwicklung der App einige Vor-Tests veranstaltet, das Team am IIS hat vor dem Start knapp eine Woche lang die Bluetooth-Schnittstelle auf Praxistauglichkeit getestet.

Die Wissenschaftler bewerteten Zuverlässigkeit und Genauigkeit in alltäglichen Situationen wie eine Fahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln, in einer Warteschlange oder auf einer Party. Nach diesen Tests kann Steffen Meyer verraten, welche beliebte Tragestelle bei der Bluetooth-Abstandschätzung nicht so gut funktioniert: in der hinteren Hosentasche. Dabei dient der Körper des Nutzers als Abschirmung für das Bluetooth-Signal, Wasser hat bekanntlich ein mittleres Störpotential für Bluetooth- und WLAN-Signale, da es die Strahlung schlicht streut und teilweise absorbiert. Das Smartphone in der Hand oder am Ohr gehalten, oder in einer Handtasche getragen, hilft laut Meyer dagegen gut weiter.

Die Corona-Warn-App ist wohl die bis dato meist getestete App, denn neben den freiwilligen Entwicklern auf Github hat sich das Fraunhofer Institut mit der Funktionsweise der App bzw. der zugrunde liegenden Schnittstelle beschäftigt. Was dabei entstanden ist, ist sicherlich für die aktuelle Pandemiebekämpfung wichtig, aber auch in der Zukunft können vergleichbare Konzepte den Forschungen in der Soziologie oder Wirtschaft zugrunde liegen, ohne auf Datenschutz und Privatsphäre der Teilnehmer verzichten zu müssen. (Macwelt)