SNI: "Wir waren bisher nicht schnell genug"

04.09.1992

Mit Otto-Hermann Grüneberg, Vorstandsmitglied der Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG (SNI), sprachen die CW-Redakteure Heinrich Seeger und Christoph Witte.

CW: Die Branche spekuliert über die Zukunft von SNI. Beispielsweise ist noch nicht klar, welchen Status künftig die PC-Division haben wird.

Grüneberg: Wir befinden uns noch in der Planung. Klar ist, daß wir zum 1. Oktober 1992 eine PC-Business-Unit einrichten werden, die die komplette Leistungskette von der Entwicklung über die Fertigung bis zum Vertrieb beinhalten wird. Mit diesem Schritt wollen wir eine in sich geschlossene Prozeßkette für den PC-Markt schaffen.

CW: Was macht Siemens künftig als PC-Hersteller noch selbst?

Grüneberg: Der FuE-Aufwand eines PC-Anbieters muß auf die eigene Herstellung wesentlicher Komponenten und auf die Endmontage begrenzt sein. Für uns kommt hinzu, daß unsere Kunden ihre PCs in einer BS2000- oder Sinix-Umgebung betreiben wollen; dadurch werden zusätzliche Kommunikations-Features erforderlich. Diese Zusatzleistungen gehören aber zum BS2000- und zum Sinix-Geschäft. Wir wollen den Standard-PC nicht mit unnötigen Kosten belasten.

CW: Das hat Konsequenzen für den PC-Vertrieb: Der darf für billigere Produkte nicht mehr so viel kosten...

Grüneberg: Die PC-Division ist leider in der Situation, daß sie System- und Produktanbieter ist. Die PC-Business-Unit wird künftig ein reiner Produktanbieter sein. Das heißt, unsere Systemvertriebe treten als Bezieher bei der PC-Unit auf, damit sie ein Komplettangebot machen können. Der Kunde konfrontiert uns dann mit den Preisen von Discountern. Die können wir im Systemvertrieb nicht realisieren, weil dort viel mehr Leistung erbracht wird.

Wir können die Situation im PC-Markt nicht ändern, sondern müssen mitspielen und dürfen dabei grundsätzlich kein Marktsegment ausklammern, also auch nicht Mail-order oder Direktvertrieb. Das müssen wir allerdings sehr sorgfältig planen und die logistischen Voraussetzungen dafür schaffen. Heute sind wir noch auf das Systemgeschäft ausgerichtet, nicht auf einen schnellen Produktumsatz.

CW: Wie unabhängig soll das PC-Geschäft werden?

Grüneberg: Die PC-Unit wird keine Tochtergesellschaft sein, sondern als eigenständige Organisation an den Vorstand berichten. Sie wird unabhängig operieren, denn eine neue Organisationsform allein kann keinen Erfolg bringen: Die Prozesse müssen verbessert werden. Unsere Vermarktungszeit muß sich beispielsweise verkürzen; da waren wir bisher nicht schnell genug. Außerdem müssen wir bei der Preisbildung zukünftig innerhalb von Stunden reagieren können.

CW: Unsicherheiten gibt es auch unter den Unix-Kunden. SNI hat kurz nach der Gründung angekündigt, die Siemens - und die Nixdorf-Linien zusammenzubringen. Jetzt stehen sich die gemeinsam entwickelten Maschinen und Nixdorfs Targon am Markt gegenüber.

Grüneberg: Im Prinzip sind sie gegeneinander positioniert, weil sie das gleiche Leistungsspektrum abdecken. Man muß aber sehen, daß SNI sich jetzt auf zwei weiterführende Linien konzentriert. Das sind die Intel-basierte MX-Linie und die Mips-basierte RM-Linie, beide mit Unix V.4 als Betriebssystem. Auf diese beiden Linien und auf die Targon-Vergangenheit ist jetzt die SNI-Schnittstelle für die Anwendungsentwicklung, das API, ausgerichtet.

Eine zusätzliche Marktveränderung müssen wir berücksichtigen: Vor zwei Jahren war unsicher, ob RISC kommerzielle Bedeutung erlangen würde. Das ist inzwischen klar, und der Markt orientiert sich entsprechend um. Im Oktober werden wir daher neue RISC-Maschinen ankündigen, um zu zeigen, daß wir hier satisfaktionsfähig gegenüber dem Wettbewerb sind. Ursprünglich wollten wir auch eine entsprechende CISC-Ankündigung machen, die findet jetzt aber nicht statt, weil sich am Markt ein Wechsel in das RISC-Lager abspielt

CW: Sind Sie bei der CISC-Entwicklung nicht vielmehr technisch gescheitert, wie man hört?

Grüneberg: Man hört viel. Ich habe damit kein Problem, weil sich der Markt in Richtung RISC verändert hat. Es wäre zwar schön gewesen wenn wir gleichzeitig eine CISC-Maschine gehabt hätten, ich frage mich aber, ob unsere Kunden davon einen signifikanten Vorteil gehabt hätten.

CW: BS2000 macht ein Drittel vom SNI-Umsatz aus. Gibt es hier noch Neugeschäft, oder bröckelt die installierte Basis womöglich gar ab?

Grüneberg: Von Abbröckeln kann keine Rede sein. Gemeint ist der Übergang in andere Welten oder zu anderen Systemen. Wir haben aber keine Negativ-Erfahrungen mit dem Downsizing gemacht.

Das System allein kauft natürlich kein Mensch. Sie müssen Lösungen verkaufen, dann interessiert die Plattform nicht mehr. Wir sind dabei, BS2000 als offenes System zu plazieren.

CW: Die Anwendervereinigung Save beklagt sich, es gebe keine vertrauenerweckenden Schritte in Richtung auf die Öffnung von BS2000.

Grüneberg: Das Betriebssystem selbst ist natürlich proprietär. Es geht um offene Schnittstellen. Solange wir die nicht vorführen können, ist die Skepsis der Beobachter gerechtfertigt. Als erstes wird DCE kommen; Posix wird noch anderthalb bis zwei Jahre brauchen. Wir überprüfen aber gerade, ob wir das nicht vorziehen können.

CW: SNI betont in letzter Zeit verstärkt die Systemintegration. Der Siemens-Vorstand Hermann Franz hat festgestellt, als Systemintegrator könne man nur arbeiten, wenn man gute Produkte habe. Andererseits sagt der SNI-Vorstandsvorsitzender Hans-Dieter Wiedig, es müsse nicht nur beim Personal gespart werden, sondern auch in der Entwicklung und Produktion. Wie paßt das zusammen?

Grüneberg: Wir müssen einerseits Geld ausgeben, um den Vermarktungszeitraum zu verkürzen, weil die Kosten dafür geringer sind als die Verluste durch Verspätung. Andererseits müssen wir unsere Fertigungstiefe kritisch überprüfen, bei PCs wie bei Unix-Systemen, wo ja auch Module zugekauft werden. Auch bei Mainframes müssen wir uns auf unsere Stärken konzentrieren.

Produktion und Vermarktung müssen schneller werden. Die Workstation-Innovation spielt sich heute beispielsweise in einem Zyklus von neun Monaten ab; bei einer Verspätung von drei Monaten gibt es keine Chance mehr, Geld zu verdienen.

CW: Welche Kernfelder bleiben in Forschung und Entwicklung?

Grüneberg: Mit Sicherheit vor allem BS2000, aber ohne Peripherie; außerdem die Unix-Seite. Hinzu kommt die Kommunikationsebene zwischen Mainframes, Unix und PCs, also die Client-Server-Strukturen.

CW: Zurück zur Systemintegration zur Aussage von Herrn Franz...

Grüneberg: Der stimme ich zu. Siemens kann komplexe Anforderungen erfüllen unter Einbeziehung aller Leistungen des Hauses. SNI jedoch könnte nicht über das Systemgeschäft mangelnde Produktfähigkeiten kaschieren. Die Hardware muß sich eigenständig behaupten können.

CW: Auf welche Weise wird sich der Stellenwert der Systemintegration, des Projektgeschäftes also, ändern?

Grüneberg: Wir werden eine vom Systemvertrieb separierte Leistung als Systemintegrator anbieten. Wenn ein Problem nur mit MVS oder einer AS/400 realisierbar ist, dann wird der SNI-Systemintegrator sich von IBM ein Angebot machen lassen und dieses dem Kunden präsentieren. Parallel dazu wird er ein Angebot vom SNI-Vertrieb einholen. Wann immer es geht, werden wir natürlich unsere eigenen Produkte in die Projekte einbringen. Schließlich sind wir eine Company, egal, wie weit entfernt vom Hause SNI wir die Systemintegration aufhängen.

CW: Wie wird diese, Geschäft organisiert sein?

Grüneberg: Die Systemintegration erfordert eine eigenständige Organisationseinheit; ob das die SNI-Abteilung Anwendersoftware und Projekte sein wird oder etwa die Sietec, steht noch nicht fest. Wichtig ist die Distanz zum Vertrieb, damit die Beratung als eigene Leistung an. erkannt wird,

CW: Vermutungen in der Branche besagen, daß die Siemens AG sich die Filetstücke der DV-Tochter einverleiben werde, den Rest wolle man auslagern?

Grüneberg: Siemens hat durch die 100prozentige Aktienübernahme eine uneingeschränkte Lenkungsmacht über SNI. Trotz anderer Rechtsform sind wir also in der gleichen Lage wie ein Geschäftsbereich der AG.

Die Daten- und Informationssysteme wurden bei Siemens 1989 vor der Fusion mit Nixdorf als Kern-Geschäftsfeld definiert. Daran hat sich nichts geändert. Siemens hat durch SNI den Vorteil gegenüber der Konkurrenz, DV-Fragen im eigenen Hause klären zu können. Die Konzernbereiche arbeiten ganz gezielt mit SNI zusammen.

CW: Glauben Sie an eine Aushöhlung der SNI?

Grüneberg: Nein. Das heißt logischerweise aber nicht, daß wir uns in Zukunft nicht von Verlust-Geschäftsfeldern trennen müssen.