Dem Vormarsch von TCP/IP zum Trotz

SNA im Netzwerk gehört noch nicht zum alten Eisen

22.10.1999
CW-Bericht, Martin Seiler Entgegen allen Unkenrufen hat das altbewährte IBM-Verfahren Systems Network Architecture (SNA) noch nicht ausgedient. Auch wenn die Protokollsuite TCP/IP immer mehr an Boden gewinnt, sieht es so aus, als könne SNA seine Position zumindest im direkten Host-Umfeld noch eine Zeitlang behaupten.

In wachsender Zahl erliegen Netzadministratoren dem Charme von TCP/IP. Flexibilität, die relativ einfache Verwaltung und die breite Unterstützung im Markt sind einige der Gründe für die Attraktivität der Protokollsuite. Laut Sage Research werden heute bereits 50 Prozent der Daten in Netzwerken auf Basis dieses Protokolls übertragen, 2003 sollen es gar 70 Prozent sein.

Der Shooting-Star TCP/ IP wird als Allheilmittel gepriesen, um dem Protokollwildwuchs in Unternehmen Einhalt zu gebieten. Nicht nur Novells IPX/SPS oder Microsofts Netbios, auch IBMs SNA soll es damit an den Kragen gehen. Tatsächlich sind nach Angaben von Audrey Apfel, Analystin bei der Gartner Group, mittlerweile bereits die Hälfte der noch 1990 in Betrieb befindlichen SNA-Strukturen durch IP-Netze ersetzt worden.

Dennoch dominiert das IBM-Verfahren vor allem den Host-Bereich noch immer. Schätzungen von Sage Research zufolge beläuft sich der Anteil von SNA am gesamten Datenverkehr in Unternehmen derzeit noch auf 27 Prozent, bis 2003 soll dieser Wert jedoch auf zwölf Prozent sinken. Das liegt zum einen an der steigenden Popularität von TCP/IP. Der Rückgang ist aber auch dadurch zu erklären, daß über IP-basierte Netze wie das Internet stetig steigende Datenvolumina transportiert werden, wohingegen der SNA-Anteil in Relation dazu gleichbleiben wird.

Wirft man einen genaueren Blick auf SNA, wird klar, warum das Verfahren so viele Anhänger hat. SNA ist sehr stabil und verfügt über integrierte Sicherheitsfunk-tionen. Ursprünglich wurden für die Client-Host-Kommunikation "dumme" Terminals benutzt, die den Vorzug hatten, einfach verwaltbar zu sein. Dafür verfügten sie nur über einen begrenzten Funktionsumfang. Mit der wachsenden Popularität von Client-Server-Architekturen mußten die einfachen Terminals ihren Platz zugunsten von PC-basierten Terminalemulationen räumen. Diese brachten für die Mitarbeiter vor allem einen erweiterten Funktionsumfang, der jedoch über einen gesteigerten Verwaltungsaufwand erkauft werden mußte. Da unter SNA für die Kommunikation zwischen Endgeräten jeweils feste Kanäle benutzt werden, ist die Antwortzeit beim Austausch von Informationen zwischen Endgeräten vorhersagbar. Viele für Großrechner geschriebene Anwendungen machen von dieser Funktion auch regen Gebrauch. Oftmals sind in den Programmen sogar bestimmte Timer-Werte gesetzt, die eingehalten werden müssen, soll es nicht zu einem Abbruch der Datenübertragung kommen.

Trotz dieser Qualitäten berichten die Analysten übereinstimmend einen Trend zur Ablösung von SNA zugunsten von TCP/IP. So erbrachte eine Befragung von Sage Research, daß 66 Prozent der Unternehmen außerhalb der USA künftig verstärkt auf IP setzen wollen.

Untersuchungen der Gartner Group geben Aufschluß über mögliche Gründe. Demzufolge werden Firmen, die noch im Jahr 2004 SNA-Netze als primären Zugang zu Großrechnerdaten nutzen, 20 Prozent mehr für Schulung, Produkte und Administration ausgeben. Außerdem sollen diese Unternehmen 50 Prozent weniger Produktivität und Return on Investment aus jedem Upgrade erhalten als Firmen mit einem konsolidierten IP-Netzwerk.

Im Bereich der Server- und Netz-Betriebssysteme ist der Siegeszug von TCP/IP schon seit einiger Zeit zu beobachten. Ob und wie schnell diese Entwicklung auch im Host-Bereich vor sich geht, hängt nach dem Dafürhalten von Andreas Meder, Berater für Netzkonzeption bei Comconsult, aber vor allem davon ab, in welchem Maß TCP/IP an den Grad von Vorhersagbarkeit angenähert werden kann, wie ihn SNA noch immer bietet.

Ohne Not dürfte kaum ein Unternehmen den Wechsel zu einer reinen IP-Umgebung machen, denn es ist nicht damit getan, nur einen TCP/IP-Stack auf dem Host zu installieren. Wer tatsächlich die IBM-Technologie komplett aus seinem Netz verbannen will, muß mit hohen Investitionen für Router und andere neue Netzkomponenten rechnen.

Unter Umständen müssen in einem solchen Fall auch das Host-Betriebssystem, mindestens aber die Applikationen auf den Großrechnern, die knapp gesetzte Timer haben, umgeschrieben beziehungsweise neu entwickelt werden. Das ist umständlich und kostet eine Stange Geld. Nachdem viele Unternehmen aber gerade erst enorme Summen in die Beseitigung von Jahr-2000-Fehlern auf ihren Mainframes gesteckt haben, werden nur wenige bereit sein, gleich wieder alle auf den Rechenboliden laufenden Anwendungen zu modifizieren.

Dabei bietet ein reines TCP/IP- Netz auch klare Vorzüge. Durch die Reduzierung der im Unternehmen verwendeten Protokolle verringern sich die Komplexität und die Belastung der aktiven Netzkomponenten. Außerdem vereinfacht sich der Betrieb der gesamten Infrastruktur erheblich, wenn nur noch ein Protokoll verwaltet werden muß.

Als Zwischenlösung auf dem Weg zu einem reinen IP-Netz bietet sich der Einsatz von Gateways an, die SNA-Datenströme zwischen Host und Client für den Transport durch das IP-Netz tunneln. Dabei werden die SNA-Daten zunächst in IP-Pakete eingebettet und später wieder entpackt.

Langfristig sollte jedes Unternehmen jedoch über einen Umstieg nachdenken. Es ist auf jeden Fall erstrebenswert, sich auf möglichst wenige Protokolle zu beschränken. Hier bietet sich einzig TCP/IP als gemeinsamer Nenner aller Protokolle an. Auf dem Weg zu einem Netz allein auf Basis dieser Technologie sieht Berater Meder derzeit vor allem das noch unsichere Antwortzeitverhalten des Protokollsatzes als Hürde, die es zu nehmen gilt. Noch immer existieren nämlich vor allem in Unternehmen aus dem Finanz- und Versicherungssektor eine ganze Reihe von Applikationen auf Großrechnern, die in dieser Hinsicht nur bestimmte Werte tolerieren. Werden diese überschritten, drohen Protokollfehler und schlimmstenfalls Link-Abbrüche.

Mit IP ist es wesentlich aufwendiger, solche stabilen Reaktionswerte zu erreichen. Aus diesem Grund ist es fraglich, inwiefern es SNA wirklich in allen Bereichen ablöst. "Kurzfristig wird dies sicher nicht geschehen, weil mit den heute standardisierten Technologien die Antwortzeiten unter IP nicht vorhersagbar sind", urteilt Meder.

Hersteller wie Cisco, WRQ oder Packeteer bieten zwar Lösungen, die dieses Manko beheben sollen, doch sollten Anwender solche Versprechungen mit Vorsicht genießen. Auch wenn diese Unternehmen behaupten, sie hätten Mechanismen, um feste Antwortzeiten zu garantieren, erkauft man sich dieses Feature mit anderen Einschränkungen. Der Verlust der Wahlfreiheit beim Einkauf der Netzkomponenten ist dabei eine der zu erwartenden Folgen, denn nicht alle Verfahren funktionieren über Geräte mehrerer Anbieter hinweg.

Nicht zuletzt aus diesem Grund rät Meder zur Vorsicht, was einen kompletten Umstieg angeht. Solange ein SNA-Netz stabil laufe und ein Unternehmen damit gute Erfahrungen gemacht habe, sehe er keinen Grund, nicht auch in den Ausbau dieses Netz zu investieren, falls dies erforderlich sei. Jeder Anwender müsse sich zudem vor Augen halten, daß ein Umstieg großflächig zu erfolgen habe, was zunächst einmal hohe Investitionen mit sich bringt. Für den Moment empfiehlt der Berater daher, "vor allem den Markt zu beobachten und zu schauen, was sich im SNA-TCP/IP-Umfeld tut".