Skandal im HP-Board zieht weite Kreise

12.09.2006
Der Verwaltungsrat von Hewlett-Packard hat sich in eine Spitzelaffäre verstrickt. Die Vorsitzende des Gremiums, Patricia Dunn, muss die Verantwortung übernehmen.

Am 18. Januar 2007 übergibt Dunn den Vorsitz des Verwaltungsrates von HP an CEO Mark Hurd. Sie bleibt Director des Konzerns. Vorausgegangen war eine Affäre, die bereits im Jahr 2005 ihren Anfang genommen hatte. Dunn war vorgeworfen worfen, einen Maulwurf im Board mit unlauteren Mitteln gesucht zu haben. Der Informant hatte die US-Presse lange Zeit mit brisanten Informationen versorgt. In zwei Krisensitzungen am vergangenen Sonntag und Montag konnte sich die Konzernleitung vorerst zu keiner personellen Entscheidung durchringen - Dienstagmittag folgte dann die Entscheidung.

Was ist Pretexting?

Pretexting nennt sich das Sammeln von Informationen mittels falscher Angaben zur Person. Es ist in den USA möglich, bei einer Telefongesellschaft - wie in diesem Fall AT&T - anzurufen und sich mit einer Telefonnummer sowie den letzten vier Ziffern der Sozialversicherungsnummer als Kunde auszugeben, um einen Einzelverbindungsnachweis anzufordern beziehungsweise einen Online-Account zu eröffnen. Laut "Wall Street Journal" kostet die Beschaffung der letzten 100 Handy-Anrufe einer Person in den USA rund 65 bis 100 Dollar. Einschlägige Dienstleister werben mit ihren Angeboten und Tarifen im Internet.

Kompliziert wird die Angelegenheit im Fall HP dadurch, dass es keine umfassenden Gesetze gegen Pretexting in den USA oder einzelnen Bundesstaaten gibt. Dies trifft indes nur für die Beschaffung von Telefondaten zu, während persönliche Finanzinformationen im Idealfall besser gegen Pretexting geschützt sind. Neben den Telefonverbindungen einiger Board-Mitglieder - die Zahl der Betroffenen ist nicht bekannt - hat der Dienstleister im HP-Auftrag auch Informationen über insgesamt neun amerikanische Journalisten mittels Pretexting gesammelt. Zudem wurde der Anschluss des Vaters eines der Journalisten ausspioniert.

Mit einem Leck hatte alles angefangen: Immer wieder waren Informationen über die Strategie des IT-Konzerns an verschiedene Presseorgane wie das "Wall Street Journal" und den Branchendienst "News.com" übermittelt worden, um dort detailliert vor den Lesern ausgebreitet zu werden. Die Fakten waren nur einem kleinen Kreis von Topmanagern bekannt, so dass im vergangenen Jahr Dunn in ihrer Rolle als Vorsitzende des HP-Boards einen externen Dienstleister mit einer heiklen Mission beauftragte - die Plaudertasche im Aufsichtsgremium aufzuspüren.

Der Maulwurf sitzt seit 20 Jahren im HP-Board

Im Mai 2006 wurden dem Führungsgremium die Ergebnisse der Untersuchung vorgelegt: Demnach konnte über Verbindungsnachweise von Telefongesprächen ermittelt werden, dass Board-Mitglied George Keyworth mit informierten Medien in Kontakt gestanden hatte. Er stritt die Anschuldigungen nicht ab und wurde aufgefordert, seinen Posten aufzugeben, was er jedoch ablehnte. Der Atomphysiker Keyworth sitzt seit 1986 im Verwaltungsrat von HP und war unter anderem Wissenschaftsberater des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan.

Mittlerweile hatte der interne Board-Skandal jedoch eine eigene Dynamik entwickelt und sich von der Person Keyworth entfernt. Es ging nur noch um die Fragen, wie der externe Dienstleister (und der wiederum von ihm beauftragte "Zulieferer") in den Besitz der Verbindungsnachweise des privaten Telefonanschlusses von Keyworth gelangt ist, ob die Vorgehensweise strafbar ist und welche Konsequenzen sich daraus für HP-Chairwoman Dunn ergeben. In einem Schreiben an die US-Börsenaufsicht SEC hat HP eingeräumt, dass die Informationen in einigen Fällen unter Vorspiegelung falscher Angaben zur Person gesammelt wurden. Das Verfahren nennt sich in den USA "Pretexting" (siehe Kasten "Was ist Pretexting?").

Allerdings ist bis heute nicht geklärt, ob HP-Chairwoman Dunn von der zumindest moralisch grenzwertigen Vorgehensweise gewusst und sie explizit gebilligt hat. Die Verantwortung hat sie indes übernehmen müssen. Kaliforniens leitender Staatsanwalt Bill Lockyer bezeichnete die Recherchemethode ungeachtet ihrer rechtlichen Konsequenzen als "extrem dumm". Nach Angaben eines HP-Sprechers sei der Dienstleister angewiesen worden, nur legale Methoden zur Informationsgewinnung zu verwenden. Zudem sei HP der Einsatz von Pretexting nicht bekannt gewesen. Die Namen der beiden Dienstleister nannte der Konzern nicht.

Venture-Capitalist Tom Perkins bringt den Stein ins Rollen

Die Untersuchungsmethode hatte aber noch für ein weiteres Board-Mitglied Konsequenzen. Tom Perkins, Gründer der einflussreichen Venture-Capital-Firma Kleiner Perkins Caufield & Byers und Berichten zufolge ein Freund von Keyworth, erklärte im Mai nach Bekanntgabe der internen Untersuchung überraschend seinen Rücktritt aus dem HP-Board. Er störte sich an der Art und Weise, wie HP an die Verbindungsdaten gekommen ist - was wohl vor allem daran lag, dass auch seine Telefondaten ausspioniert worden waren.

Perkins, der die laufende Board-Sitzung im Mai wutentbrannt verlassen hatte, brachte schließlich den Stein ins Rollen: Er informierte später die Börsenaufsicht SEC über die Vorgänge, die wiederum eine Untersuchung einleitete. Es sei ihm darum gegangen, ließ Perkins über seinen Anwalt mitteilen, dass der Markt und die SEC die wahren Gründe für sein Ausscheiden aus dem Amt erfahren. Wer im Verwaltungsrat außer Keyworth und Perkins überwacht wurde, ist derzeit nicht bekannt. Am 31. August hat das HP-Board entschieden, dass Keyworth für die kommende Wahl des Gremiums im Frühjahr 2007 nicht mehr nominiert wird.

Politiker sind besorgt und fordern Erklärungen

Inzwischen hat der Fall weite Kreise gezogen. Neben der amerikanischen Bundesanwaltschaft und ihren kalifornischen Kollegen interessiert sich auch der Wirtschaftsausschuss des US-Kongresses für die Vorgänge. Berichten zufolge hat sich überdies die US-Bundespolizei FBI in die Ermittlungen eingeschaltet. Die Behörden forderten Informationen zu den HP-Untersuchungsmethoden an. Der Kongressausschuss schrieb zudem in einem Brief an Dunn, das Gremium sei angesichts der Vorgänge besorgt, auch weil mit HP ein "unternehmerisches Vorbild Amerikas" ("one of America’s corporate icons") betroffen sei. Angesichts des öffentlichen Drucks war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Board die Ablösung seiner Vorsitzenden beschloss - ungeachtet ihrer rechtlichen oder moralischen Schuld.

Auch die ehemalige HP-Chefin Carleton Fiorina war während ihrer Amtszeit reichlich genervt von der Arbeit des Maulwurfs Keyworth. Die Medien waren stets über Fiorinas Arbeit informiert und berichteten frühzeitig, dass sich ein Graben zwischen der Managerin und dem Verwaltungsrat aufgetan hatte. Anfang 2005 war Fiorina spontan entlassen worden, und Dunn nahm ihren Posten als Vorsitzende des Boards ein. Fiorina wird sich am 9. Oktober selbst in die Diskussion einschalten, wenn ihre Autobiografie "Tough Choices" auf den Markt kommt. Dort erzählt sie dann ihre Sicht der Dinge - mit "brutaler Offenheit", wie die Werbung verheißt. (ajf)