Ein gutes Seminar heißt nicht zirkusreifes Entertainment

Sind Seminare denn vertane Zeit?

23.11.1990

Entgegnung auf den Kommentar von Franz C. Bürger. in CW Nr. 36 vom 7. September 1990

Martin Kamrath Leiter des Schulungsinstituts der Kleinofen GmbH, Düsseldorf

"Viele Seminare machen keinen Spaß und kosten nur Geld". Recht hat er, der Verfasser, denn zweifelsohne gibt es die Veranstalter solcher Seminare. Problematisch ist bei dieser Art des Kommentars nur, daß damit suggeriert wird, daß man sich letztendlich jede Lehrveranstaltung sparen könnte. Das ist nicht nur sehr pauschal geurteilt, sondern auch schleichtweg falsch gedacht. Es gibt nämlich auch diejenigen, die nicht gedankenlose, stereotype und langweilige Massenabfertigung betreiben, sondern ein ausgeteiltes, attraktives Produkt vorstellen, das den Namen auch verdient.

Nur: Wie unterscheide ich zwischen Gut und Schlecht, wo ich doch erst nach abgelaufenem Lehrgang klüger bin? Ich denke, daß man sehr wohl gezielt und schnell die richtige Wahl treffen kann. Zuvor jedoch einige grundsätzliche Anmerkungen.

Es geht hier um die Fortbildung von Erwachsenen, die sehr gut imstande sind, Sinn und Ziel eines Seminars zu durchschauen, und die sich nicht enttäuscht abwenden, wenn kein zirkusreifes Entertainment geboten wird. Richtig ist zwar, daß ein Kurs Spaß machen muß. Nach den Erkenntnissen neuerer pädagogischer Forschung beflügelt dies die Leistungsmotivation entscheidend, was wiederum Rückwirkungen auf den Prozentsatz des Verinnerlichten hat.

Keineswegs ist es allerdings zu akzeptieren, daß Lehrveranstaltungen den Charakter eines Freizeitspaßes gewinnen, bei dem die Leistungs- und Lernmotivation dann am anderen Ende kippen wird. Den Teilnehmer überdies immerzu in der Gefahr zu sehen, sich bei mangelndem Smalltalk in der Einsamkeit des Unterrichts in Pausenflirts zu verlieren, wie es der Autor in seinem Beitrag befremdlicherweise an einer Stelle versucht darzustellen, heißt, ihn auf die Erlebniswelt der Pubertierenden zurückzustutzen.

Eine merkwürdige Konstellation ergibt sich, vergleicht man diese Forderungen des Autors mit seinem Plädoyer für den durchgehenden Dozentenvortrag. Abgesehen davon, daß die achtstündige freie Rede für Dozent und Publikum eine Zumutung sein wird, ist gerade die Dauerberieselung durch einen natürlicherweise immer typischen und damit einseitigen Sprechstil des Vortragenden der Inbegriff der Monotonie. Richtig ist zwar, daß ein Medienspektakel das Eigentliche zum Nebensächlichen zu verdrängen imstande ist, wahr bleibt aber, daß der überlegte Medienwechsel die gleichmäßige und damit erträgliche Reizung der Sinnesorgane zum Ziel hat.

Einen guten Dozenten er, kennt man daran, inwieweit er in der Lage ist, die klar auf der Hand liegenden Vorteile der Anschaulichkeit aus Foliendarstellungen proportioniert einzusetzen. Die Sinnhaftigkeit des gezielten Medienwechsels in Bausch und Bogen in Frage zu stellen ist eine typische Verhaltensweise des trainierten Autodidakten, der im allgemeinen alle Zeit der Welt hat, Bildungsurlaub zu genießen. Genau das kann der normale Anwender jedoch nicht; er braucht eine helfende Hand die ihm den Brechreiz nimmt, der ihn angesichts Hunderter von unverständlich, zu abstrakt geschriebenen Handbuchseiten überfällt.

Das aber ist es, was er wirklich von einer Schulung erwartet: Eine sehr nüchterne und kalkulierende Betrachtungsweise aus der richtig beschriebenen Einsicht geboren, daß ein Weiterbildungskurs eigentlich Zeit nimmt, die man aber auf der anderen Seite hundertfach zurückgewinnt. Und eben weil er an das Studium abstrakt gehaltener Wortdarstellungen nicht gewöhnt ist, kann die Struktur der Folie oder Tafelzeichnung

schnell weiterhelfen.

Es geht also in erheblichem Maße nicht um die Konfiguration des Lernenden, sondern um die des Trainers. Er muß sein Handwerk verstehen, wobei man allmählich dem besagten Dienstleistungsprodukt mit Niveau näherkommt, das sich erwerben läßt, wenn man den Anbieter nach ganz bestimmten Kriterien durchleuchtet. Ein Dienstleister, der sein Geld wert ist, läßt sich schnell daran erkennen, welche Ressourcen er in dieser Hinsicht unterhält.

AIs Kunde sollte man sich niemals auf Weiterbildungsmaßnahmen einlassen, die von Trainern durchgeführt werden, die diesen Titel auf Zuruf, aufgrund von Verdiensten im Unternehmen oder aus Gründen erworben haben, die auf mehr oder weniger respektablem Wissen beruhen. Examinierte Lehrkräfte sind ein absolutes Muß. Nur sie sind in der Lage, abstrakte Zusammenhänge zu reduzieren und zu veranschaulichen. Und nur dann kann man einigermaßen sichergehen, daß die Lernausgangslage der Teilnehmer in ausreichender Weise erfaßt wird. Ein weiterer Vorteil ist, daß didaktisch ausgebildete Lehrkräfte darin geübt sind, die heterogene Lerngruppe mit differenzierenden Maßnahmen zu unterstützen, die es erlauben, Teilnehmer aus verschiedenen Betrieben trotz des einheitlichen Seminarbetriebes auf ihre spezifischen Bedürfnisse hin anzusprechen, denn genau das ist integraler Bestandteil der Lehrerausbildung!

AIs weiteres Gütekriterium kann gelten, inwieweit der Schulungsträger in der Lage ist, individuelle mit variablen Teilnehmerzahlen zu erfüllen, ja vielleicht sogar in der Lage ist, ins Haus zu kommen - und das sogar noch mit dem entsprechenden Equipment. Ist er in beider Hinsicht beweglich, hat sich das Problem der individuellen Betreuung ohnehin so gut wie erledigt. Genau das ist aber bei vielen Anbietern nicht möglich, weil man den Bereich Schulung als billigen Faktor er innerbetrieblichen Kostendeckung auserkoren hat, welcher in kurzer Zeit einen festen Kostenrahmen abdecken soll. In diese Vorstellungswelt passen keine aufwendigen Spezialbetreuungen. Vor allem aber nicht das, was das betreffende Unternehmen als Partner im wahrsten Sinne des Wortes charakterisieren könnte, nämlich das Produkt in Kombination mit einer entsprechenden Bildungsberatung einzusetzen, um mit dem Kunden erst einmal herauszufinden, in welcher Weise überhaupt geschult werden soll, welche Abteilungen betroffen sind, welche Reihenfolge die Lernstufen haben sollten und welche Konsequenzen eine Kundennachsorge haben muß.

Die Krone aufgesetzt wird der Sache dann, wenn ein Bildungspartner sogar in der Lage ist, Bildungsplanung zusammen mit dem Unternehmen zu betreiben, also Ausbildungskonzepte zu erarbeiten, die garantieren, daß der Betrieb im Rahmen der örtlichen Notwendigkeiten und Zielsetzungen über ein flächendeckendes und niveaugleiches Anwenderwissen verfügt, um einen effizienten Informationsaustausch im Unternehmen zu gewährleisten.

Kein Kunde sollte sich scheuen, die Bildungsstätten persönlich in Augenschein zu nehmen. Hier kann man sehr schnell einsehen, inwieweit das eingesetzte Lehrinstrumentarium mit dem gängigen Standard mithält. Angebracht ist es in dem Zusammenhang sicherlich auch zu fragen, durch welche besonderen Lernmittel sich das dortige Institut vom Mitwettbewerb unterscheidet. Schließlich sollte es sich keiner nehmen lassen, sich mit dem Trainer in einem persönlichen Gespräch vorab darüber zu unterhalten, was denn nun kommen soll. Alle diese Aspekte einer Bildungspartnerschaft lassen den Schluß sicher nicht zu, daß Seminare vertane Zeit sein müssen, - zusammen mit der Erkenntnis, daß es zu Fortbildungsmaßnahmen letztlich keine Alternative gibt.