Restriktive Einwanderungspolitik

Silicon Valley verliert die Geduld

11.05.2022
Von Redaktion Computerwoche
Wie überall fehlen auch im Silicon Valley IT-Fachkräfte. Die Tech-Konzerne in den USA fordern großzügigere Einwanderungsbedingungen und setzen auf Remote Work in Offshore-Regionen.
Würden Sie diesen Mitarbeiter einstellen? Die Republikaner in den USA möchten jedenfalls ihre eigenen Landsleute in der IT sehen. Und mit einem guten Diversity-Programm ist ja auch vieles möglich...
Würden Sie diesen Mitarbeiter einstellen? Die Republikaner in den USA möchten jedenfalls ihre eigenen Landsleute in der IT sehen. Und mit einem guten Diversity-Programm ist ja auch vieles möglich...
Foto: Johnny Silvercloud - shutterstock.com

Noch in dieser Woche wollen wichtige Repräsentanten der Tech-Industrie einem Bericht des Wall Street Journal (WSJ) zufolge bei der US-Regierung vorsprechen, um vor einem Brain Drain in der amerikanischen IT-Industrie zu warnen. Der Trend zu Remote Work führe dazu, dass immer mehr Softwareentwickler aus Drittländern angeheuert würden. Teilweise blieben diese in Ländern wie Indien oder China, teilweise siedelten sie sich auch in Kanada an. Die restriktive Vergabe von Visa in den USA verhindere, dass hochqualifizierte Einwanderer ins eigene Land kämen.

Zwischen Januar 2020 und April 2022 soll die Zahl der Remote-Arbeitsplätze in der amerikanischen Technologiebranche um mehr als 420 Prozent gestiegen sein, schreibt das WSJ mit Bezug auf Arbeitsmarktdaten von Tecna (Technology Councils of North America). Im Februar diesen Jahres entfielen demnach schon 22 Prozent aller Jobs im Tech-Bereich auf Remote Work, verglichen mit nur 4,4 Prozent im Januar 2020.

Verfehlte Einwanderungspolitik in den USA rächt sich

Das Journal zitiert Jennifer Grundy Young, Geschäftsführerin von Tecna, die in der Einwanderungspolitik der Vereinigten Staaten das Kernproblem sieht. Talente könnten heute in Indien oder anderen Offshoring-Regionen bleiben und von dort aus für US-Firmen arbeiten. Oder sie zögen nach Kanada, wo die Einwanderungspolitik viel flexibler sei als in den USA, die Lebensqualität aber dem Vergleich mit den Staaten standhalte.

Die US-Amerikaner gewähren im Rahmen ihres H1-B-Programms jährlich 65.000 Visa für Fachkräfte und weitere 20.000 Visa für Personen mit Hochschulabschlüssen an US-Universitäten. Diese Zahl hat sich seit 2005 trotz des enormen Fachkräftebedarfs im Technologiesektor nicht verändert. Kanada dagegen wirbt seit Jahren um IT- und Tech-Spezialisten aus aller Welt. Das Land lässt solche Arbeitskräfte und Unternehmer unbegrenzt ins Land, was indische, chinesische und osteuropäische Entwickler und Software-Ingenieure, die in den USA kein Visum erhalten, zu nutzen wissen. Toronto hat seit 2016 laut einem CBRE-Bericht mehr als 81.000 neue Tech-Arbeitsplätze geschaffen, mehr als jede andere Stadt in Nordamerika.

Die amerikanischen IT-Unternehmen, die es derzeit kaum noch schaffen, ihre offenen Stellen zu besetzen, kritisieren die Politik und mahnen, dass die Führungsposition des Landes bei Technologie und Innovationen gefährdet sei. Gegenüber dem WSJ mahnte die kalifornische Kongress-Abgeordnete Zoe Lofgren: "Unter den Technologieunternehmen gibt es eine enorme Frustration, die ich teile. Seit Jahren bitten sie uns, das System zu verbessern und nichts hat sich bewegt." Das könne der US-Wirtschaft schaden, da auch das erfolgsverwöhnte Silicon Valley unter Wettbewerbsdruck stehe.

Republikaner möchten Amerikaner in IT-Jobs sehen

Lofgren setzt sich dafür ein, die Zahl der Visa zu erhöhen und das H1-B-Programm entsprechend zu ändern. Doch die Stimmung in den USA hatte sich in den vergangenen Jahren durch die verschärfte Abschottungspolitik an der Grenze zu Mexiko und die teils offen zutage getretene Ausländerfeindlichkeit immer mehr aufgeheizt. Eine offene Debatte um die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte wurde in diesem von der Trump-Administration fremdenfeindlich geprägten Klima immer schwieriger. In Kongressanhörungen machten Republikaner die Einwanderungsproblematik zum ständigen Thema und argumentierten, US-Unternehmen sollten sich auf die Ausbildung von US-Arbeitskräften konzentrieren, anstatt sich auf Einwanderer zu verlassen.

Durch den nachweislichen Erfolg der Remote-Work-Szenarien haben die Tech-Konzerne nun immerhin ein Druckmittel in der Hand: Wenn Arbeitskräfte nicht ins Land dürfen, wandert die Arbeit eben ins Ausland. "Die Firmen werden Talente einstellen und dort unterbringen, wo sie produktiv arbeiten können, wenn es nicht anders geht", sagt Stuart Anderson von der überparteilichen Forschungsorganisation National Foundation for American Policy gegenüber dem WSJ. Die Pandemie habe gezeigt, dass Arbeiten von einem anderen Land aus ein probates Mittel sein könne.

Hinzu kommt, dass der nördliche Nachbar Kanada mit seiner großzügigen Visa-Regelung Talente aus aller Welt unterbringen kann, wenn mehr räumliche Nähe gewünscht ist. Unternehmen wie MobSquad bauen dafür bereits eine professionelle Infrastruktur auf: Sie machen nichts anderes, als ausländische IT-Talente für US-Konzerne zu finden und in Kanada anzusiedeln. (hv)