Silicon Graphics erobert Top-500-Hoechstleistungsrechner-Hitliste Jeder dritte Supercomputer Europas steht in Deutschland

28.07.1995

MUENCHEN (jm) - Der Wissenschaftsrat laeutete die Alarmglokken: Die Bundesrepublik, so das Gremium, muesse den forschungspolitischen Offenbarungseid leisten. Grund: Um die in Deutschland installierten Supercomputer stehe es schlecht. In der Hitliste der weltweit schnellsten Rechner komme erst an 61. Stelle ein in Deutschland installiertes System. Prompt forderte die Runde, in Deutschland neue Hoechstleistungs-Rechenzentren zu errichten.

In ihrer Stellungnahme beriefen sich die Wissenschaftler auf die Top-500-Liste der weltweit schnellsten Supercomputer, die in Forschung, Wissenschaft und Industrie weltweit zum Einsatz kommen. Diese stammt aus dem Hause des Mannheimer Universitaetsprofessors Hans-Werner Meuer. Der deutsche Supercomputer-Papst publiziert sie halbjaehrlich seit Juni 1993 gemeinsam mit seinem Assistenten Erich Strohmaier und dem Guru der US-Benchmarkszene Jack Dongarra. Zur Leistungsmessung dient ihnen der Linpack-Benchmarks (siehe Kasten "Der Linpack-Benchmark")

Das Trio weist in seinen Statistiken zudem die Marktanteile der Supercomputer-Anbieter aus. Ausserdem beobachten die drei Wissenschaftler Technologietrends wie etwa die Nutzung bestimmter Hardware-Architekturen.

Die Beunruhigung der Expertenrunde beruht allerdings auf den Ergebnissen der Top-500-Liste vom November 1994 und nicht auf der aktualisierten vom Juni 1995.

Schaut man sich die neueste Hitliste genauer an, ergibt sich ein anderes Bild: Im Rennen der weltweit schnellsten Supercomputer rangiert ein System aus Deutschland an 39. Stelle und ein weiteres unter den ersten 50.

In Europa liegen drei Supercomputer vor dem potentesten deutschen Rechner. Unter den ersten 100 Topmodellen finden sich vier in Deutschland installierte Systeme. Grossbritannien kann demgegenueber auf sechs Superrechner verweisen. Frankreich andererseits plazierte lediglich zwei Boliden unter den 100 schnellsten Computern der Welt und damit noch einen weniger als die kleine Schweiz.

Zu fragen ist allerdings, ob die Definition des Wissenschaftsrats, eines Supercomputers ist, nicht in die Irre fuehrt: Das Expertenkollektiv zaehlt zu den Hoechstleistungsrechnern nur solche, die im November 1994 unter die schnellsten 50 der Welt fielen.

Diese Festlegung vernachlaessigt jedoch eine wesentliche Tatsache: Kein anderes europaeisches Land weist eine annaehernd so hohe Dichte installierter Hoechstleistungsrechner auf wie die Bundesrepublik.

In Europa sind insgesamt 145 Superrechner an Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen sowie in der Industrie installiert. Ueber ein Drittel davon - genau 37,2 Prozent beziehungsweise 54 Systeme - absolvieren als Zahlenfresser in Deutschland ihren Dienst. Weit abgeschlagen folgen Frankreich mit 27 und Grossbritannien mit 17 Superrechnern auf den Plaetzen.

Klar ist allerdings auch, dass die Alte Welt mit den USA nicht mithalten kann: 55 Prozent aller Top-500-Supercomputer stehen jenseits des grossen Teichs, 29 Prozent in Europa, 13 Prozent in Japan. Mit sieben der zehn potentesten Rechner arbeiten amerikanische Wissenschaftler, die anderen drei stehen japanischen Forschern zur Verfuegung. Fast die Haelfte (49) der 100 schnellsten Computer rechnen in den USA, mehr als jeder fuenfte (22) der sogenannten Number-Cruncher in Japan.

Die Hitliste von Meuer/Dongarra eignet sich denn auch weniger fuer die nationale Nabelschau. Neben dem Leistungsmass sagt sie viel mehr aus ueber technologische Trends in der Szene.

Hier sind zwei Richtungen auszumachen: Zum einen befinden sich Maschinen mit herkoemmlicher Parallel-Vektor-Architektur auf dem Rueckzug. Zum anderen stagnieren die Installationszahlen fuer massiv-parallele (MPP = Massively parallel processing) Maschinen e la Thinking Machines (TMC), Kendall Square Research (KSR) oder Intel. Dieser Trend wird durch die Pleiten von TMC und KSR bekraeftigt.

Allerdings gilt diese Feststellung nur eingeschraenkt: Die IBM tritt mit ihren erstmals auf der CeBIT 1993 vorgestellten massiv- parallelen "SP1"-Rechnern, insbesondere aber mit deren Nachfolgemodellen "SP2" in ueberzeugender Manier auf dem Supercomputer-Markt auf. Jeder siebte der 500 Toprechner (66 SP2- und sechs SP1-Maschinen) traegt bereits das Big-Blue-Logo.

Die IBM-Rechner stehen auch exemplarisch fuer eine andere Tendenz in der Supercomputer-Szene: Zunehmend setzen die Hersteller bei Prozessoren nicht mehr auf die teure bipolare ECL-Technologie. Sie nutzen vielmehr CMOS-CPUs, die nicht fluessiggekuehlt sein muessen. Noch 1993 waren 332 der 500 schnellsten Supercomputer in ECL- Technologie ausgelegt und nur 109 mit Prozessoren von der Stange. Zwei Jahre spaeter hat sich dieses Verhaeltnis umgekehrt: 322 CMOS- Supercomputern stehen in der Top-500-Liste nur mehr 127 ECL- Systeme gegenueber.

Auf grosses Interesse stossen bei den Anwendern aber vor allem Rechner mit einer SMP-(Symmetrical Multiprocessing)-Architektur. Und da gibt es, wie Meuer/Dongarra zeigen, einen klaren Gewinner: Vor 18 Monaten war die Silicon Graphics Inc. (SGI) mit ihren "Power-Challenge"-SMP-Rechnern in der Top-500-Hitliste nicht einmal vertreten. Im November 1994 hatten sie sich dem Marktfuehrer Cray Research Inc. mit halb so vielen installierten Superrechnern bereits angenaehert. Mit 128 verkauften Power-Challenge-Systemen gegenueber 125 Cray-Maschinen hat sich SGI im Juni 1995 stueckzahlenmaessig an die Spitze der Top-500-Liste katapultiert.

Allerdings schoenen die Kalifonier aus Mountain View dieses Erfolgserlebnis: 32, also 25 Prozent, der 128 installierten SGI- Rechner stehen beim Hersteller selbst. Lediglich neun der angegebenen 125 Cray-Systeme laesst hingegen der Anbieter aus Eagan, Minnesota, fuer sich arbeiten.

Wesentlicher Vorteil der SMP-Modelle ist der vergleichsweise geringe Aufwand fuer die Software-Entwicklung. Auch die Anschaffungskosten und vor allem die Ausgaben fuer den laufenden Unterhalt der SMP-Systeme sind erheblich niedriger als fuer herkoemmliche Supercomputer.

Die Vektor-Parallel- wie auch die MPP-Supercomputer sind allerdings nach wie vor erheblich leistungsstaerker als die SMP- Konkurrenten. Auch hierfuer ist die Top-500-Liste ein Indikator: Nur sechs mit 18 Prozessoren ausgestattete Power-Challenge- Maschinen konnten sich unter den ersten 200 Superrechnern plazieren. Sie belegen die Raenge 193 bis 198. Noch krasser wird der Unterschied, vergleicht man den schnellsten Rechner mit dem potentesten SGI-Modell: Fujitsus Parallelsystem bringt es auf 170 400 Rmax (siehe Kasten "Linpack-Benchmark"), SGIs Modell auf 4142 - das ist gerade mal 2,4 Prozent der Rechenleistung des Fujitsu- Supercomputers.