Silberstreif am Mikro-Horizont

21.09.1984

Man mußte im August bei der US-Premiere kein Prophet sein, um vorauszusehen, daß sich die IBM für den Europa-Start ihres Arbeitsplatzcomputers PC AT (Seite 1) nicht soviel Nachlaufzeit lassen würde wie beim Einstieg ins Mikrogeschäft mit dem "gewöhnlichen" PC vor rund drei Jahren. Damals hatten die sonst so instinktsicheren IBM-Strategen noch geglaubt, hierzulande gingen die Uhren anders - man könne also ruhigen Gewissens zuerst den US-Markt angehen, um nach einer Aufwärmzeit dann auch den Alten Kontinent mit PC-Hardware zu beglücken. Eine Fehleinschätzung.

Wie kam es dazu? Zwar hatte niemand dem Mainframe-Marktführer so recht zugetraut, auf Anhieb im Mikro-Massenmarkt Fuß zu fassen - zu unbeweglich schien der Rechnerriese. Auch hat Big Blue seinen Dezentralisierungsfans nie das Gefühl vermitteln können, am Kleinklein-Geschäft ernsthaft interessiert zu sein. IBM und Computer-Straßenverkauf: Das konnte man sich nicht vorstellen. Händlerrabatt und Cash-and-Carry-Verfahren - IBMs Sache ist das alles nicht.

Aber mit zwei Eigenschaften schien Big Blue dabei: Einmal hatte sich IBM in mehr als zwanzig Jahren als ein DV-Hersteller präsentiert, unter dessen Schutzschirm ("umbrella") die Konkurrenten, was den rein preislichen Aspekt angeht, gut gedeihen konnten. Motto: Es war schon immer etwas teurer, IBM zu kaufen. Das konnte in der von Preiskrämpfen geschüttelten Mikrobranche nur von Vorteil sein.

Zum anderen galt ein "blauer" Computer stets als Prestige-Objekt. Und so hoffte der Wettbewerb, daß der IBM-Einstieg dem Mikro, bis dahin als Garagenprodukt belächelt, gleichsam die höheren Weihen verleihen würde: vom Spielzeug zum Werkzeug.

In Amerika entwickelte sich des IBM-PC-Geschäft zunächst auch prächtig. In Europa, vor allem in der Bundesrepublik und in Frankreich, hatten die IBM-Töchter dagegen von Anfang wenig Grund zum Jubel: Mikro-Pioniere wie Apple und Commodore waren schon da, Sirius und Konsorten, auf der PC-Kompatibilitätswelle reitend, schnappten dem großen Mikro-Novizen überdies Marktanteile weg.

Heutiger Status: Von der PC-Euphorie ist nicht viel übriggeblieben. Jeder, der im Mikrogeschäft steckt, weiß, daß die Kraftzwerge keine Selbstläufer sind. Grund: Viele Me-too-Varianten - keine Standards. Niemand durchschaut mehr die Ankündigungspolitik der Hersteller und ihre Wirkungen. Panikwerbung zerstört einen wachsenden Teil des Kundenvertrauens. So ist das Ankündigungsbombardement gerade die Ursache der Marktschwäche, für deren Beseitigung es sich ausgibt.

Nun mag es scheinen, als ob die IBM mit dem AT-Announcement neue Maßstäbe setzt. Verglichen mit dem verunglückten PC-Happening, etwa in den Metro-Shops, ist das in der Tat eine andere Veranstaltung. Man kann indes eine weitere Aussage wagen: Der PC AT ist erst die Spitze des Eisberges. Spekuliert werden darf, daß IBM es nicht bei den Betriebssystemen MS-DOS und Xenix beläßt, ein eigenes Betriebssystem für die PC-Welt bringt (VM?).

Nur soviel steht fest: Mit Workstation-Mikros wie dem PC AT wird die Herausforderung, Intelligenz zu verteilen, neu gestellt. Sehr zur Freude der zentralen DV-Abteilungen: Sie bekommen die Kontrolle über das Personal Computing zurück. Immerhin etwas.