Siemens: Wir bleiben IBM-kompatibel, Unbundling kommt

09.05.1975

Werner Wiesehahn, Geschäftsführer der Pragma Software GmbH berichtet in seiner Eigenschaft als Mitglied des ADL-Bundesvorstands über ein Gespräch mit dem Leiter des Gesamtvertriebs Datentechnik der Siemens AG

Mit einem Besuch bei der Geschäftsleitung des Unternehmensbereiches Datentechnik der Siemens AG in München führte der ADL-Verband für Informationsverarbeitung seine Gespräche mit den führenden Herstellern in der Bundesrepublik Deutschland fort. Siemens-Gesprächspartner waren der Leiter des Gesamtvertriebes Datentechnik, Dipl.-Ing. Behrens, sowie der Leiter der Produktplanung Große Systeme. Dipl.-Ing. Breidler.

Die Siemens AG beabsichtigt, die einmal begonnene Geschäftspolitik einer möglichst nahen Anwendungskompatibilität zum Marktführer beizubehalten. Diese klare Aussage kann als Resümee eines langen Gespräches über Fragen der Kompatibilität getroffen werden. Obwohl einige amerikanische Hersteller sich sehr klar für den Weg einer möglichst großen Unterscheidung zum Marktführer entschieden haben und darin ihre geschäftlichen Zukunftserfolge sehen, bleibt die Siemens AG ihrer im Jahre 1963/64 getroffenen Entscheidung einer möglichst großen Kompatibilität zum Marktführer treu. Diese Kompatibilität soll sich jedoch bewußt auf die Ebene der Anwendung der Datenverarbeitung beschränken und keineswegs ein technisches Nachempfinden der vom Marktführer gesetzten Maßstäbe sein.

Die Frage der Kompatibilität wird damit ganz entscheidend auf die Struktur der Software gelegt, während man bei der Hardware durchaus eigene, und so sieht man es bei der Siemens AG, auch bessere Wege beschreiten kann als der Marktführer.

Die von Siemens angebotene Kompatibilität wird es in Zukunft durchaus ermöglichen, eigene technologische Wege zu beschreiten und dennoch dem Anwender, der als Umsteiger oder als Benutzer zweier Systeme an der Kompatibilität interessiert ist, keine Schwierigkeiten zu bereiten. In einer parallelen Weiterentwicklung der Hardware-Technologien sieht Siemens auch ihre echte Chance als Mitbewerber und Alternative zum Marktführer.

Kompatibilitätsprobleme standen selbstverständlich auch im Mittelpunkt der Verhandlungen zwischen den heutigen Partnern der Unidata, dem Verbund von Philips, CII und der Siemens AG. Die Lösung des Problemes wurde in einer eindeutigen und für alle Partner verbindlichen Schnittstelle zwischen der Hardware und der Software erreicht. Diese Schnittstelle wurde wesentlich von der Siemens AG beeinflußt und gewährleistet, daß sämtliche Hardware-Systeme des Unidata-Verbandes über die einheitliche Schnittstelle kompatibel zu dem von Siemens angebotenen Betriebssystem BS 1000 sind.

Die Frage, warum sich die Siemens AG bislang entschieden gegen den Einsatz von Mixed-Hardware streubt, wurde eindeutig beantwortet. Siemens gehört zu den Herstellern, die bisher nicht von der Politik des Unbundling, also der preislichen und kalkulatorischen Trennung von Hard- und Software Gebrauch machen.

Somit trägt jedes einzelne Hardware-Teil, und damit auch jedes einzelne Peripherie-Gerät in der internen Kalkulation mit zur Abdeckung der Entwicklungskosten für die Software bei. Der Mixed-Hardware-Hersteller dagegen braucht bei der Kalkulation seines Produktes Software-Kosten nicht mit zu berücksichtigen, da er von diesem Problem nicht tangiert wird.

Würde die Siemens AG dem Anschluß von Fremd-Peripherie zustimmen, bedeutet das für sie jedoch Verlust von anteiligen Software-Entwicklungskosten und somit eine Verringerung ihrer Umsatz- und Ertragsbasis. An diese Argumentation schließt selbstverständlich die Frage, warum die Siemens AG dann nicht auch zur Politik des Unbundling übergeht, die ja auch Vorteile für den Anwender bietet. Ohne sich auf einen Termin festlegen zu können oder zu wollen, wurde hierzu jedoch eindeutig erklärt, daß auch bei der Siemens AG dieser Schritt zu erwarten ist und somit auch auf dem Gebiet der Software ein echter Wettbewerb zum großen Mitbewerber möglich sein wird. Diese Politik des Unbundling wird darüber hinaus auch der Software-Branche zugute kommen, die dann ihre Produkte zumindest teilweise nicht mehr wie derzeit zu zusätzlichen Kauf- oder Mietpreisen anbieten muß. Dieser Schritt dient auch in dieser Hinsicht dann einer Verstärkung des Wettbewerbs auf dem EDV-Markt. Es bleibt die Frage offen, ob sich ausreichend Mixed-Hardware-Anbieter finden, die bereit sind, die technischen Schnittstellen zu Siemens-Anlagen zu berücksichtigen.

Allerdings meint Siemens einschränkend: "Selbst wenn wir beginnen müßten, einige Anwender-Software-Produkte zu berechnen, bleibt die Kostenbelastung aus der Entwicklung der System-Software so groß, daß wir auf eine Abdeckung aus Hardware-Preisen angewiesen sein werden."

Die Preispolitik der Siemens AG, auch dieses Unternehmen hat ja eine Woche nach der Ankündigung der IBM-Preiserhöhung seine Preise erhöht, richtet sich eindeutig nach dem Handeln des Marktführers. Ebenso wie die Siemens AG im Jahre 1970 nach einer entsprechenden Ankündigung des Marktführers ihre Preise gesenkt hat wird sie auch zukünftig bei Preiserhöhungen sozusagen im Windschatten des großen Bruders mitziehen und mitziehen müssen, wie die Angaben des Siemens-Vorstandes auf der Jahres-Pressekonferenz zum Ergebnis des Geschäftsbereiches Datentechnik der Siemens AG bewiesen haben.