Vom IT-Experten zum Lehrer

Siemens vermittelt ehemalige Mitarbeiter

08.08.2003
MÜNCHEN (am) - Die Beschäftigungsgesellschaft von Siemens ICN zieht Zwischenbilanz: Sieben Monate nach ihrer Gründung wurden 165 von 418 Mitarbeiter in neue Jobs vermittelt. Ein Teil von ihnen wird ab September als Lehrer an Realschulen unterrichten.

"Das Hauptziel ist nach wie vor, dass viele Mitarbeiter möglichst schnell einen neuen Job finden", sagt Kerstin Wagner, Leiterin der Beschäftigungsgesellschaft, die Siemens nach der großen Kündigungswelle in seiner Netzwerksparte ICN im Januar ins Leben gerufen hat. 418 Entlassene wechselten damals in die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE), wie die Beschäftigungsgesellschaft bei Siemens heißt. Im April hatten 84 ehemalige ICN-Mitarbeiter von der Beschäftigungsgesellschaft aus eine Stelle gefunden, mittlerweile ist diese Zahl auf 165 angewachsen. Unter den neuen Arbeitgebern sind Firmen wie BMW, Eurocopter, Sixt oder ZF Friedrichshafen.

Wagner ist froh, das hohe Vermittlungstempo der ersten drei Monate gehalten haben zu können - zumal sich der IT-Arbeitsmarkt seitdem nicht erholt hat. Den anhaltenden Vermittlungserfolg führt die Personalexpertin auf die intensive Betreuung der Mitarbeiter in der beE zurück: "Die Berater besprechen mit den Kandidaten regelmäßig ihre Situation und helfen bei den Bewerbungen." Daneben gehen die Siemens-Personalexperten, die in der Beschäftigungsgesellschaft als Berater arbeiten, immer wieder auf Unternehmen zu, fragen sie nach offenen Stellen und präsentieren ihnen geeignete Kandidaten aus der beE. Wagner spricht von einer " aktiven Arbeitsmarktbearbeitung", die wie die alle zwei Monate stattfindenden Jobbörsen - hier präsentieren sich Firmen in den Räumen der beE - den entscheidenden Erfolg bringt.

Mitunter eröffnen sich ungeahnte Berufsperspektiven: Vom neuen Schuljahr an werden neun Siemens-Ingenieure an Realschulen Mathematik, Physik und Informatik unterrichten. Weitere sechs Bewerbungen für den Schuldienst laufen noch. BeE-Mitarbeiter Edgar Namar hat den Kontakt zum bayerischen Kultusministerium geknüpft, das mit dem Programm "Quereinstieg Realschule" die Lehrerlaufbahn für Diplomstudiengänge öffnet. Dazu Namar: "Weil die sechsstufige Realschule nun bayernweit eingeführt wird, herrscht Lehrermangel, insbesondere in den technischen Fächern. Darum versucht das Kultusministerium, Praktiker aus der Industrie anzuwerben. Unsere Diplomphysiker, -informatiker und Elektrotechniker sind als Quereinsteiger mit reichlich Praxiserfahrung besonders gefragt."

Ein Staatsexamen müssen die spät berufenen Lehrer nicht ablegen, allerdings besuchen sie berufsbegleitend Seminare zu Pädagogik und Didaktik, die mit einer Prüfung abgeschlossen werden. Nach einer Übergangsphase von zwei Jahren werden sie mit ihren Lehrerkollegen, die die traditionelle Laufbahn beschritten haben, gleichgestellt, berichtet Namar. Allerdings dürfen die Quereinsteiger nicht älter als 45 Jahre sein, wenn sie nach zwei Jahren verbeamtet werden wollen. Im kommenden Jahr sollen Diplomphysiker auch als Quereinsteiger an Gymnasien unterrichten dürfen.

Das Modell der Beschäftigungsgesellschaft macht zurzeit nicht nur bei Siemens Schule. Auch die Jenaer Intershop Communications hat eine solche Einrichtung gegründet. Da bis zum Jahresende nur noch 250 der derzeit 445 Mitarbeiter an Bord des schwer angeschlagenen Softwareherstellers bleiben werden, soll die Transfergesellschaft die Kündigung für Mitarbeiter abfedern. Inzwischen haben 70 ehemalige Intershop-Mitarbeiter einen Arbeitsvertrag in der betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit unterschrieben. Dort sollen sie innerhalb der nächsten sechs Monate weiterqualifiziert und in einen neuen Job vermittelt werden. Reinhard Hoffmann, bisheriger Personalchef von Intershop und nun Leiter der Transfergesellschaft, will mit regionalen Bildungsträgern und dem Arbeitsamt Jena zusammenarbeiten.

Beschäftigungsgesellschaft

Seit Unternehmen Arbeitsplätze im großen Stil abbauen, sind Beschäftigungsgesellschaften wieder im Kommen. In diesen betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheiten (beE), die die Firma selbst oder ein spezialisierter Dienstleister betreiben kann, werden die ehemaligen Mitarbeiter bei der Jobsuche begleitet und weiterqualifiziert. Die Beschäftigungsgesellschaften gehören dem so genannten zweiten Arbeitsmarkt an, wenn sie ihre Kosten weniger durch eigenen Umsatz, sondern vor allem aus öffentlichen und privaten Zuschüssen finanzieren. So fördert die Bundesanstalt für Arbeit diese Modelle, indem sie den betroffenen Mitarbeitern ein strukturiertes Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 bis maximal 67 Prozent ihres bisherigen Nettogehaltes zahlt - den Rest legt der Arbeitgeber drauf. In der Regel verdienen Mitarbeiter etwa 80 Prozent ihres Nettogehaltes. Eine beE kann zwölf bis 24 Monate bestehen.