Der Boom im Handy-Geschäft scheint vorbei

Siemens' Mobilstrategie bleibt Stückwerk

16.02.2001
SEVILLA (CW) - Die Siemens AG schwört sich auf das "Mobile Business" ein. Die Geschäftseinheiten für Mobilfunk (ICM), Netztechnik (ICN) sowie IT-Services (SBS) demonstrierten auf einer Konferenz im spanischen Sevilla Einigkeit - dabei ist die goldene Zukunft des Mobilfunks gar nicht so sicher.

Siemens Neuausrichtung ist riskant: Zwar erzielte die Mobilfunkbranche im letzten Jahr ein Rekordergebnis, als die Hersteller weltweit über 400 Millionen Handys verkauften und damit ein Wachstum von 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr hinlegten. Im laufenden Jahr jedoch werden sich die Marktführer Nokia, Motorola, Ericsson und Siemens nach Ansicht von Branchenkennern mit deutlich geringeren Steigerungsraten zufrieden geben müssen.

Laut Commerzbank-Analyst Peter Knox sinken im härter werdenden Kampf um die Marktanteile die Margen der Hersteller. Außerdem zeichne sich im europäischen Handy-Geschäft bereits eine gewisse Sättigung ab. Rudi Lamprecht, Chef des Siemens-Bereichs Information and Communication Mobile (ICM), rechnet angesichts dieser Entwicklung damit, dass sich die Herstellerlandschaft in den nächsten sechs bis zwölf Monaten konsolidieren wird.

Nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg dürfen die Handy-Hersteller in Westeuropa für das laufende Jahr mit einer Absatzsteigerung von lediglich 16 Prozent rechnen. In den Kernmärkten Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien, wo bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung ein Mobiltelefon besitzt, rechnen die Marktforscher nur mit einer Zunahme zwischen zwölf und 15 Prozent.

Angesichts dieser Einschätzung wird deutlich, warum Lamprecht seinen Unternehmensbereich auf neue Märkte einzuschwören versucht. Vor allem in China und den USA wollen die Münchner künftig mehr Handys verkaufen. Doch dass der chinesische Markt schnell genug in Gang kommt, um das abflauende Europa-Geschäft auszugleichen, ist keineswegs sicher. Im US-amerikanischen Markt hofft Lamprecht auf eine Ausweitung des GSM-Mobilfunkstandards, was Siemens in der Folge bessere Absatzzahlen bescheren soll. Doch die Mobilfunkexperten bezweifeln, dass GSM angesichts des in den Startlöchern steckenden UMTS-Standards als Zwischenlösung der erwünschte Erfolg beschieden sein wird.

Der Geschäftsbereich Information and Communication Network (ICN) will mit dem Anspruch, die nächste Generation des Internet aufzubauen, seinen Teil zur Mobile-Business-Strategie beitragen. Laut ICN-Chef Roland Koch steht dabei die bereits letztes Jahr vorgestellte "4P"-Strategie im Mittelpunkt: People, Portfolio, Processes und Profitability. Unter anderem wollen die Münchner in den nächsten Jahren jährlich fast 300 Millionen Mark in die Fortbildung der Mitarbeiter stecken. Ferner soll die firmeninterne Wissensplattform "Sharenet" unternehmensweit ausgedehnt werden.

Auf der Produktseite legt Siemens ICN den Fokus auf Breitbandzugänge und das Thema Netzkonvergenz. Mit einer Investition von 100 Millionen Mark in eine neue Fabrik in Bruchsal will ICN die Fertigungskapazität seiner Digital-Subscriber-Line-(DSL-)Produkte um den Faktor 20 erhöhen. Allein in diesem Jahr sollen Produkte für 2,5 Millionen Breitbandzugänge vom Band rollen.

Um das Zusammenwachsen von Daten- und Sprachnetzen zu forcieren, setzt ICN auf die bereits bekannten Produkte "Surpass" und "Hipath". Koch blieb hier neue Strategien und Produkte schuldig. Allein mit dem Hinweis, wie viele Verträge man in der Vergangenheit abschließen konnte, versucht der Manager, den Erfolg seiner Einheit zu dokumentieren.

Der Bereich Siemens Business Services (SBS) soll laut CEO Friedrich Fröschl die Dienstleistungen für das zukünftige Mobile-Business-Modell anbieten. Grundlage dafür sollen die konzerneigenen Erfahrungen im E-Business-Sektor sein. Doch diese Kompetenz steht auf tönernen Füßen. Der Siemens-interne Umbau in einen E-Business-Konzern, wie ihn von Pierer fordert, läuft an Fröschl und SBS vorbei. So hat Siemens die Verantwortung dafür in die Hände von Albert Goller gelegt, der als Leiter für die Zentralstelle E-Business fungiert. Außerdem bauen die Münchner auf externe Hilfe von Firmen wie I2, Commerce One und IBM.

Fröschls Ziele sind dennoch hoch gesteckt. Innerhalb der nächsten drei Jahre will der Siemens-Manager seine Service-Unit unter die Top Five der weltweit führenden Dienstleistungsanbieter bringen. Den Weg dorthin könnten laut Fröschl Firmenübernahmen oder ein Börsengang ebnen. Doch auch hier muss der Siemens-Manager erste Rückschläge einstecken. Das britisch-französische IT-Service-Unternehmen Sema Group, an dem Gerüchten zufolge auch SBS interessiert war, ging für 5,3 Milliarden Dollar an den amerikanisch-französischen Dienstleister Schlumberger (siehe Seite 1).

Siemens kauft bei IntelSiemens wird in den nächsten drei Jahren Flash-Speicherchips im Wert von zwei Milliarden Dollar von Intel beziehen. Damit wolle man sicherstellen, die Nachfrage nach Internet-fähigen mobilen Endgeräten befriedigen zu können, erklärte Rudi Lamprecht, Chef des Bereichs Information and Communication Mobile (ICM) bei Siemens.