Siemens kommt nicht zur Ruhe

27.06.2006
Heftige Kritik von Aktionären und Betriebsräten an der Zerschlagung von Siemens’ Com-Sparte und das ungewisse Schicksal des Bereichs Enterprise Networks erhitzen die Gemüter in der Münchner Zentrale.
Den Schwerpunkt im künftigen NSN-Geschäft bildet der Mobilfunksektor.
Den Schwerpunkt im künftigen NSN-Geschäft bildet der Mobilfunksektor.
Nokia und Siemens schaffen sowohl im Festnetz- wie im Mobilfunksektor den Sprung aufs Treppchen der drei weltweit führenden Ausrüster.
Nokia und Siemens schaffen sowohl im Festnetz- wie im Mobilfunksektor den Sprung aufs Treppchen der drei weltweit führenden Ausrüster.

Der traditionsreiche Netzwerkbereich wird de facto aufgegeben, kritisiert in einer offiziellen Mitteilung der Verein von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG e.V. Er macht dafür in erster Linie schwere Management-Fehler verantwortlich. Die Dynamik der Internet-Entwicklung seien unterschätzt, die Anforderungen im Enterprise-Geschäft vielfach ignoriert worden. Trotzdem hätte die Siemens-Sparte das Potenzial gehabt, innerhalb von zwei Jahren wieder den Anschluss an die Marktführer zu finden. Allerdings rechne der Siemens-Vorstand offensichtlich nur noch in Quartalen.

Nokia Siemens Networks (NSN)

Geplanter Start: 1. Januar 2007.

Management: CEO Simon Beresford-Wylie (Nokia), Finanzchef Peter Schönhofer (Siemens), Marketing Karl-Christoph Caselitz (Siemens), COO Mika Vehviläinen (Nokia).

Zentrale: Espoo (Finnland).

Konsolidierter Jahresumsatz: 15,8 Milliarden Euro (Siemens 9,2 Milliarden Euro - Nokia 6,6 Milliarden Euro).

Sparziele: 1,5 Milliarden Euro bis 2010.

Belegschaft: 60000 (Siemens 40000 - Nokia 20000), zehn bis 15 Prozent der Stellen könnten gestrichen werden.

Stimmen zum Deal

• Martin Garner (Ovum): "Anbieter wie Huawei, Motorola und Nortel stehen nun unter Druck, eigene Zukunftsstrategien zu entwickeln."

• Richard Windsor (Nomura): "Nun liegt es an den Finnen, das Geschäft in Fahrt zu bringen - was Siemens in sechs Jahren nicht gelungen ist."

• Angela Merkel: Die Bundeskanzlerin empfand die Gründung des weltweit drittgrößten Telecom-Ausrüsters "fast als Geschenk". Deutschland und Finnland würden damit in eine neue Phase sehr enger Kooperation treten.

• Olli-Pekka Kallasvuo (Nokia-Chef): "Wir sind überzeugt, dass die Partnerschaft mit Siemens der beste Weg ist, um im globalen Wettbewerb zu bestehen."

• Klaus Kleinfeld (Siemens-Chef): "Dieses Joint Venture ist ein wichtiger Schritt, mit dem wir unsere Marktposition nachhaltig stärken."

• Siemens-Betriebsrat: "Die anstehende Abspaltung ist eine Notoperation, damit im Herbst eine optisch saubere Bereichsbilanz vorgelegt werden kann."

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www.computerwoche.de/

577918: Siemens-Chef schließt weiteren Stellenabbau nicht aus;

577819: Chefetage für NSN steht fest;

577614: Siemens und Nokia legen Netzsparten zusammen.

Am 19. Juni hatte der Münchner Traditionskonzern die Gründung des Joint Ventures Nokia Siemens Networks bekannt gegeben. Beide Branchengrößen wollen ihr komplettes Ausrüstergeschäft für Festnetz- und Mobilfunkbetreiber in das Gemeinschaftsunternehmen einbringen. Branchenbeobachtern zufolge geben die Münchner damit den Schwarzen Peter an den finnischen Partner weiter. Jahrelang hatten sie es nicht geschafft, ihr schwächelndes TK-Geschäft zu sanieren. Nun soll es offenbar Nokia richten. Obwohl Siemens und Nokia zu gleichen Teilen an dem Gemeinschaftsunternehmen beteiligt sind, halten die Finnen die Fäden in der Hand. Mit Simon Beresford-Wylie übernimmt ein Nokia-Manager die Führung des Joint Ventures, dessen Geschäfte zudem von Finnland aus geleitet werden sollen. Analysten sprechen aus Siemens-Sicht von einem Abschied auf Raten.

Die Belegschaftsaktionäre hegen ähnliche Befürchtungen. Siemens wolle sich mehr oder weniger geräuschlos aus diesem Geschäftsfeld zurückziehen. "Dies ginge an die Wurzeln und das Selbstverständnis von Siemens und wäre zudem ein beunruhigendes Signal für den Standort Deutschland", warnt der Vereinsverantwortliche Wolfgang Niemann. Vor allem die ehemaligen Siemens-Mitarbeiter könnten die Verlierer dieses Geschäfts sein. Man könne den Kurs nur mittragen, "wenn die Mitarbeiter des Com-Bereichs nicht reinen Renditeinteressen geopfert werden".

Entlassen hilft sparen

Doch die Vorzeichen deuten auf einen massiven Stellenabbau. Bereits im ersten Jahr soll Nokia Siemens Networks eine zweistellige operative Marge einbringen, gab Nokia-Chef Olli-Pekka Kallasvuo die Marschrichtung vor. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, gilt es, auf die Kostenbremse zu drücken. Bis 2010 sollen rund 1,5 Milliarden Euro an "Synergieeffekten" realisiert werden. Nach zusätzlichen Sparpotenzialen werde gesucht.

Das geht in erster Linie auf Kosten der Mitarbeiter. Zwischen 6000 und 9000 Stellen könnten wegfallen, hieß es. Das entspricht zehn bis 15 Prozent der rund 60 000 Köpfe zählenden Belegschaft des Joint Ventures. Insider sprechen sogar von bis zu 20 000 Jobs, die gestrichen werden müssten, um die Vorgaben einzuhalten.

Arbeitnehmervertreter beklagten den "radikalsten Bruch in der Geschichte des Hauses Siemens" und bekräftigten, dies nicht kampflos hinnehmen zu wollen. Sie machten das Management für die Schieflage des Geschäftsbereichs verantwortlich. "Mitarbeiter mussten durch Mehrarbeit, Einkommensverzicht und Stellenverluste Opfer für die Rettung des Bereichs erbringen, während die verantwortlichen Manager ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben", heißt es in einer Erklärung.

Siemens-Chef Klaus Kleinfeld bemüht sich indes, die Wogen zu glätten. Das Joint Venture sei nicht der Ausstieg aus der Telekommunikation, betonte er in einem Gespräch mit der "Welt". Allerdings stehe die Welt nicht still. Fest- und Mobilfunknetze würden zunehmend zusammenwachsen. Auf diese Veränderungen könne man gemeinsam mit Nokia besser reagieren als allein. Kleinfeld verwies in diesem Zusammenhang auf andere Kooperationen im Markt der TK-Ausrüster.

Siemens habe alle Möglichkeiten geprüft, warb der Siemens-Lenker um Verständnis bei den Mitarbeitern. Die erzielte Lösung biete die besten Aussichten für Kunden und Mitarbeiter, hieß es in einem Brief an die Siemens-Belegschaft. Insgesamt seien die Arbeitsplätze, die von dieser Lösung betroffen sind, sicherer geworden. Von den angekündigten Sparzielen und dem damit verbundenen möglichen Stellenabbau will der Siemens-Boss allerdings nicht abrücken. Auch darüber hinausgehende Streichungen kann Kleinfeld nicht ausschließen. "Das ist in einem Unternehmen, das so vielschichtig aufgestellt ist wie Siemens, nicht möglich."

Sorge um Enterprise Networks

Gedanken müssen sich wohl in erster Linie die 17000 Mitarbeiter des noch unter dem Siemens-Dach verbleibenden Com-Bereichs "Enterprise Networks" machen. Die Zukunft der Sparte ist ungewiss, ein Verbleib im Siemens-Konzern jedoch eher unwahrscheinlich. Die Führung der Münchner hat erklärt, sie suche nach einer Lösung für die Reste des Com-Bereichs. Angeblich wird bereits über einen Verkauf beziehungsweise eine Kooperation verhandelt. Im Favoritenkreis der potenziellen Käufer oder Partner finden sich Namen wie Avaya und Nortel. Als möglichen Kaufpreis handeln Insider einen Betrag zwischen 1,5 und 1,75 Milliarden Euro.

Allerdings scheinen Kooperationsverhandlungen in diesem Bereich nicht einfach. Nachdem Nortel und Huawei noch im Februar dieses Jahres offiziell eine Allianz angekündigt hatten, wurde dieser Plan vor wenigen Wochen offenbar wieder ad acta gelegt. Gründe für die Trennung wurden nicht genannt. Doch möglicherweise scheint dem durch Bilanzskandale angeschlagenen Nortel-Management eine Kooperation mit dem Bereich Unternehmensnetze von Siemens die aussichtsreichere und lohnendere Variante.

Kleinfeld bleibt hart

Während sich die Wettbewerber in der TK-Ausrüster-Szene um die beste Ausgangsposition balgen, bleibt Kleinfeld seiner harten Linie treu. Alle Siemens-Bereiche müssen bis Frühjahr die vorgegebenen Margenziele des seit Anfang 2006 amtierenden Firmenchefs erreichen. Wer auf dem Weg dorthin strauchelt, bekommt vom obersten Siemens-Schiedsrichter die rote Karte präsentiert. Nach der Handy-Sparte im vergangenen Jahr hat es nun den Com-Bereich erwischt. Gefährdet ist darüber hinaus weiter das Service-Business. Produktnahe Teile des Geschäfts von Siemens Business Services (SBS) wurden bereits an Fujitsu-Siemens Computers (FSC) abgegeben. Für die höherwertigen Dienstleistungen rund um Beratung und Outsourcing sucht Kleinfeld nach einer "strategischen Reorientierung". Obwohl der Siemens-Lenker betont, wie wichtig SBS für den Konzern sei, weicht er einer klaren Antwort über Verbleib oder Verkauf der Sparte hartnäckig aus.