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Siemens ICN stoppt Großprojekt mit i2

18.01.2002
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach fast einem Jahr Laufzeit hat der Siemens-Bereich ICN ein Projekt für die elektronische Auftragsverfolgung gestoppt. Die i2-Software "Global Logistics Monitor" (GLM) konnte die Anforderungen nicht erfüllen. Brisant ist die Entscheidung, weil die Münchner das System konzernweit einführen und danach auch externen Kunden anbieten wollten.

Das Urteil war vernichtend. Die i2-Software GLM biete in der aktuellen Version weder die erwartete Funktionalität noch die Performance, ist in einem internen Siemens-Dokument zu lesen, das der CW vorliegt. Ursprünglich als Einführung einer Standardsoftware geplant, geriet das Vorhaben "während der vergangenen Monate zu einem Entwicklungsprojekt". Siemens ICN (Information and Communication Networks) greift nun notgedrungen auf ein eigenentwickeltes System zurück. Für i2 Technologies, Pionier im Markt für Supply-Chain-Management (SCM), ist die Entscheidung ein herber Rückschlag.

Bereits im Februar 2001 startete Siemens ICN das Projekt Order Tracking and Tracing (OT & T), das unter anderem die Einführung der i2-Software GLM beinhaltete. Neben dem texanischen Hersteller holte man mehrere IT-Dienstleister ins Boot, darunter Siemens Business Services (SBS) und IBM Global Services. Plangemäß sollte die Auftragsverfolgung in der 50. Kalenderwoche 2001 in Betrieb gehen.

Termin nicht gehalten

Weil ICN gleichzeitig eine ältere Logistiksoftware auf ein SAP-System migrieren wollte, galt der Termin als besonders kritisch. Würde das Vorhaben nicht gelingen, müssten ICN-Kunden auf die bislang gewohnte Auftragsverfolgung verzichten. Doch i2 konnte den Termin nicht halten; immer wieder mussten Spezialisten die Software anpassen. Nun erwägen die Münchner Schadensersatzforderungen gegen i2.

"Wir haben die Funktionalität im letzten Jahr voll zur Verfügung gestellt", wehrt sich Adi Stahuber, Europa-Chef von i2. Auch die Performance, die Siemens fordere, habe man noch vor Jahresfrist gewährleisten können. Dabei sei es "zu geringfügigen Verzögerungen" gekommen. Siemens evaluiere zurzeit die vorgelegte Version.

Trotz dieser Beteuerungen ist die Entscheidung gefallen, wie Monika Teslinski aus dem Center of E-Excellence der Siemens AG bestätigte. Dies gelte aber "nur für dieses eine Projekt und nur für eine bestimmte Funktionalität". Es sei noch zu klären, ob es ein grundsätzliches Problem mit dem i2-Produkt gebe. Entsprechende Tests dauerten an.

Die Zurückhaltung Teslinskis ist erklärlich, zeichnet sie doch in der Siemens-Stabsstelle verantwortlich für die konzernweite Definition von Standards für das Supply-Chain-Management. In diesem Feld haben sich die Bayern auf i2 als alleinigen Softwarelieferanten festgelegt. Nach den jüngsten Erfahrungen müsse diese Empfehlung aus dem Center of E-Excellence "präzisiert" werden, fordern die ICN-Kollegen. Teslinski, die neben dem Thema SCM auch für die Betreuung der strategischen Partner zuständig ist, will davon nichts wissen. "Es gibt überhaupt keinen Grund, die Zusammenarbeit in Frage zu stellen."

Folgen für SBS?

An diesem Punkt wird die Sache heikel für Siemens: Gemeinsam mit dem Chiphersteller Intel und i2 hat SBS eine Supply-Chain-Management-Lösung für den Konzern entwickelt, die ab Anfang dieses Jahres auch externen Kunden angeboten werden soll. Das Paket "E-managed Service Chain" umfasst neben weiteren i2-Produkten auch GLM.

Das Center of E-Excellence gibt informationstechnische Direktiven für den gesamten Konzern aus, an die man sich aber nicht unbedingt halten müsse, ist aus dem Unternehmen zu hören. Folge man aber den Vorgaben, "tritt einem hinterher keiner auf die Füße". Die Direktive für SCM sieht zwar i2-Produkte vor, doch intern fördere Siemens durchaus auch andere Anbieter.

Diese könnten jetzt Morgenluft wittern, denn i2 ist in die Kritik geraten. Das GLM-Tool sei in mehreren Tests mit Pauken und Trompeten durchgefallen, berichtet ein Insider. So liege etwa der tägliche Message-Load bei 30.000 bis 50.000 Meldungen. Das i2-System habe aber maximal 15.000 Meldungen verarbeiten können. Hinzu komme, dass es sich bei der GLM-Version 5.1 um "eine völlige Neuentwicklung" gehandelt habe. Siemens sei der erste Kunde gewesen, der das Release einführen wollte.

i2-Chef Stahuber mag diese Vorwürfe nicht stehen lassen. GLM 5.1 sei schon mehrfach im Einsatz, auch bei großen Kunden. Namen konnte er allerdings nicht nennen. Auf Nachfrage räumte er ein, dass GLM ursprünglich von der britischen Firma M-Star entwickelt wurde, die i2 vor zweieinhalb Jahren übernommen hatte. Bereits mit dem Release 5.0 sei die Software in die i2-Gesamtlösung integriert worden, von einem Fremdprodukt könne deshalb nicht die Rede sein.

Sorgen bereitet den Siemens-Verantwortlichen auch die künftige Zusammenarbeit mit i2. Sie berge zu viele Risiken, weil der Hersteller beispielsweise Entwickler vom britischen Standort Nottingham abgezogen habe, heißt es in der Begründung für die Beendigung des Projekts. Der Darstellung unternehmensnaher Quellen, i2 habe die Organisation in Nottingham aufgegeben, trat Stahuber entgegen: Richtig sei, dass M-Star in der englischen Stadt ein Entwicklungszentrum unterhalten habe. Weil i2 eigene Labors in Dallas betreibt und seit kurzem auch in Indien programmieren lässt, seien "gewisse Bereiche" in die US-Zentrale verlagert worden.

Dass im Zuge der GLM-Einführung immer wieder zeitraubende Anpassungen notwendig wurden, ist für Stahuber nicht ungewöhnlich. Wegen der Komplexität des "generellen E-Business-Transformationsprojekts" in der Siemens AG gebe es viele Abhängigkeiten. Andere wichtige Projekte wie Demand Planning seien "nach extrem kurzer Zeit" abgeschlossen worden.

Seit der Gründung 1988 hat sich i2 zu einem weltweit tätigen Softwareanbieter entwickelt, mit mehr als 1000 Kunden und einem Jahresumsatz von rund einer Milliarde Dollar. Das schnelle Wachstum hat seinen Preis. Stark in Marketing und Vertrieb, schwach in der Einlösung von Versprechen - so kritisieren nicht wenige i2- Beobachter. Auf der Kundenliste stehen prominente Namen von Alcatel über General Electric bis Xerox. Doch Siemens ICN ist kein Einzelfall. Auch bei Siemens ICM (Information & Communication Mobile) und der Chiptochter Infineon kam es Insidern zufolge zu Verzögerungen.

Der US-amerikanische Sportartikelhersteller Nike machte i2 Anfang letzten Jahres gar für Umsatz- und Gewinneinbrüche verantwortlich. Im Zuge der Einführung des SCM-Systems seien sowohl Produktverknappungen als auch Überbestände aufgetreten. Allerdings deuteten Experten seinerzeit an, dass Nike auch Fehler bei der Einführung und Handhabung der i2-Software unterlaufen seien. Nach Angaben einer Sprecherin hatten sowohl i2 als auch der Kunde "von Anfang an" gewusst, dass die Implementierung "nicht leicht werden würde", da sie Anpassungen an vorhandene Systeme und spezielle Anforderungen des Anwenders einschloss.

Anpassungsarbeiten sind indes allzu häufig auf die fehlende Integration des i2-Produktportfolios zurückzuführen, monieren Kritiker. In den vergangenen Jahren haben die Texaner nicht weniger als zehn Unternehmen übernommen, daraus erwuchs ein Bauchladen höchst unterschiedlicher Produkte mit nicht einheitlichen Schnittstellen.

"Diese Produktvielfalt ist für i2 eine schwer zu beherrschende Herausforderung", urteilt Andreas Baader von der auf SCM spezialisierten Beratung Barkawi & Partner. Unter dem Markendach "Tradematrix" präsentiere i2 die Programme als eine Produktlinie mit "einer Integration, die zu oft das User Interface und zu selten die Prozessdaten umfasse". Zwar seien die Kernprodukte für Produktionsplanung und -optimierung (Demand Planner, Fulfilment Planner) durchaus zu empfehlen. Bei anderen Produkten wie eben GLM "muss man aber genau hinschauen". Schnittstellen und die Tools selbst erforderten bei der Implementierung regelmäßig aufwändige Modifikationen.

Schwierige Integration

Auch Frank Naujoks, SCM-Experte bei der Meta Group, verweist auf diesen Aspekt. Das Tradematrix-Portfolio umfasse über 100 verschiedene Softwaremodule. Gegenwärtig sei aber erst ein Drittel der Komponenten mit der hauseigenen Adaptertechnik ausgerüstet, die die Daten- und Prozessintegration vereinfachen soll. Die überwiegende Mehrheit der i2-Applikationen verfüge noch nicht über Adapter, die für die Integration mit den übrigen Produkten benötigt werden.

Im Fall Siemens seien jedoch auch die komplexen und sehr heterogenen IT-Strukturen zu beachten. Das Unternehmen sage selber, dass konzernweit knapp 350 unterschiedliche ERP-Releases von SAP im Einsatz sind. Naujoks: "Das macht die Sache nicht leichter." (wh)