Siemens:groß in kleinen Märkten

03.08.1990

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem Wirtschaftsinformationsdienst Etage, München.

Viel Lob erntet Dr. Karlheinz Kaske, Vorstandvorsitzender der Siemens AG, in den Medien, weil er für den "schlafenden Riesen" einen dynamischen Strukturwandel eingeleitet hat. Doch dahinter verbirgt sich wohl kaum ein Aufbruch zu "neuen" Ufern. Während Siemens mit der Übernahme von Rolm und Plessey überlebenswichtige Marktanteile für das Telekommunikation Geschäft noch zukaufen konnte, verfährt der Konzern in anderen Geschäftsfeldern geradezu defensiv.Nachdem das wenig erfolgreiche Geschäft mit elektronischer Satztechnik bei der unprofitablen Hell-Tochter in Kiel konzentriert wurde, verschwindet Hell nunmehr als "Sacheinlage" in der hochprofitablen Linotype, an der Siemens im Gegenzug Anteile erhält. Auch ihrer elektrischen Bauelemente entledigte sich Siemens zum Teil.

Mangels eigener Tüchtigkeit geschah dies durch die Bildung einer gemeinsamen Tochter mit dem Marktführer Matsushita. Ebenso verschwindet jetzt die Herstellung von Büro-Druckern aus dem Kerngeschäft; sie werden beim ehemaligen Konkurrenten Mannesmann-Tally untergebracht. Bei der Ex-Konkurrenz landet auch die Substanz der glücklosen Vascom, die das weltweite Siemens-Kommunikationsnetz vermerkten sollte ein Marktsegment, in dem Firmen wie die General Electric Informations-Service gutes Geld verdienen. Die Vascom hingegen (zirka 150 Mitarbeiter) wurde bereits ein Jahr nach ihrer Gründung wieder aufgelöst, und ihre Aktivitäten übernimmt die Kölner Meganet (zirka 30 Mitarbeiter), die von einer Quandt-Tochtergesellschaft abstammt, der Deutsch-Atlantischen Telefongesellschaft, an der auch der Gerling-Konzern beteiligt ist. An die Konkurrenz loszuschlagen versucht der Münchner Konzern ebenso ein komplette Telefonfabrik in Bad Hersfeld, eine traditionsreiche Fabrik, in der Computer-Pionier Konrad Zuse seine erste Serien-Rechner gebaut hat.

Mangels Masse eingestellt wird auch die Produktion der Speicherplatte Megafile. Sogar eine Ausgliederung der Halbleitertechnik schloß Siemens-Chef Kaske jüngst nicht mehr aus nachdem er bereits bei Toshiba Know-how zukaufen mußte. Er deutete an, daß er die von de Konzern so hochgelobte Chip-Fertigung unter Umstände beim französischen Staatskonzern Thomson unterbringen will. Jüngst wurde außerdem mit IBM eine gemeinsame Entwicklung von Chips vereinbart.

Die Maßnahmen entsprechen einer Äußerung, die Kaske kürzlich vor seinem oberen Führungskreis machte: "Wenn wir etwas nicht so gut können, wie unser stärkster Wettbewerber, müssen wir uns von dem Arbeitsgebiet trennen", orakelte er. Auch im Computergeschäft werden Bereiche, die sich als Ballast erwiesen haben, abgeworfen. Sang- und klanglos liquidiert wurde eine gemeinsame Tochter mit Intel, die einen speziellen Unix-Rechner namens BiiN mit einem Aufwand von rund einer halben Milliarde Mark zwar entwickelte, aber nicht erfolgreich vermerkten konnte.

Siemens-Konkurrenten wie Tandem erzielen mit solchen fehlertoleranten Rechnern zweistellige Zuwachsraten. Der Siemens-Bereich Daten- und Informationstechnik (D1) verschwindet in der neuen Tochter Siemens-Nixdorf-Informationssysteme (SNI), von der neu Vorstands-Rundschreiben aber bereits abgegrenzt hat. Diese Vorsicht hat wohl mehr als nur steuerliche Gründe. Dem designierten SNI-Management wird eine Sanierung des Agglomerats kaum zugetraut, so daß eine Lösung à la Hell wohl schon ins Auge gefaßt ist.

In dieses "dynamische" Bild paßt auch die Auflösung des Unternehmensbereiches Kommunikations- und Datentechnik (UBK), in dem aus strategischer Weitsicht zwei Bereiche zusammengeschlossen waren: Private Kommunikationssysteme (PN) sowie DI, derjetzt als Sacheinlage zu Nixdorf geht. Dem ehemaligen UBK-Chef Claus Kessler jetzt Vorstand für Produktion und Logistik war es nicht gelungen, Hicom-Anlagen und Computer in einem Systemkonzept gewinnbringend zu koppeln. Diese Synergie schafft sich nun der PN-Bereich im Alleingang - gemeinsam mit Siemens-Konkurrenten wie IBM, Digital Equipment (DEC) oder Hewlett-Packard (HP). Kenntnisreiche Kritiker, wie der Chefredakteur des Fachblattes "Computerwoche", Dieter Eckbauer, die immer wieder auf dergleichen Siemens-Schwachpunkte hingewiesen haben, wurden nie ernst genommen.

Zug um Zug gibt der Konzern technologisch anspruchsvolles Terrain preis, das bislang nicht die erhoffte Dividende brachte. Die wird wohl auch in Zukunft kaum operativ verdient.Ist Siemens-Chief Karlheinz Kaske eher Bankier als Entrepreneur?

Unter dem Titel "Papa Siemens" brachte ihn "Forbes" in Verbindung mit einer Coupon-Schere. Auch den Redakteuren des US-Magazins fiel auf, daß Kaske an vielen Fronten zum Rückzug bläst. Back to the roots - also zurück zum bequemen Geschäft mit Finanzanlagen und großen Anlagen für große Kunden, wie Energieversorgern oder Behörden? Siemens ist wohl infolge innerer Bürokratisierung und zunehmender Provinzialität (traditionellerweise gibt es hier nur Haus-Besetzungen im Management) daran gescheitert, eine neue Dienstleistungskultur des anspruchsvollen Geschäfts mit Beratung, Service und Systemintegration für schlüsselfertige Projekte der Kommunikations-, Daten- und Informationstechnik zu züchten. Aber genau mit dieser Erfolgsformel wird in Zukunft das Geld verdient. Zwar ist Siemens nächst Mitsubishi noch Vizeweltmeister bei der Anmeldung internationaler Patente. Aber die Fähigkeit zu deren globaler Vermarktung in Gestalt von Soft- und Hardware steht auf einem ganz anderen Blatt.

Ökonomischer Erfolg und technologische Kompetenz sind weniger in Patent-Statistiken als vielmehr in Unternehmensbilanzen ausgewiesen. Und da sieht es unter Kaske bescheiden aus. Die Eigenkapital-Rentabilität von Siemens dümpelt zwischen acht und zwölf, die des Gesamtkapitals bei etwa drei Prozent - basierend auf einem mageren Ertrag, der leicht durch Verzinsung von rund 20 Milliarden Mark liquider Mittel (ein gar nicht so kleiner Teil davon sind Forschungssubventionen) zufließen kann.

Das operative Geschäft dürfte in vielen Bereichen unrentabel sein. Die Schwäche bei der Vermarktung von Patenten drückt sich auch darin aus, daß Siemens immer noch rund die Hälfte seines Umsatzes in der Bundesrepublik erwirtschaftet. Nur ein knappes Viertel verdienen die Münchner in der großen Welt außerhalb Europas: klein in großen Märkten, groß in kleinen Märkten.