Auf dem Weg zum Universal Server

Siemens bringt Anfang 1999 Acht-Wege-NT-Server

07.08.1998

Der "Primergy 870" wurde von SNI zeitgleich mit Intels "Xeon"-Prozessor, einem Pentium II mit Slot-2-Gehäuse für den Einsatz in Servern, vorgestellt. Das System ist weitgehend modular konzipiert und bietet zahlreiche während des Betriebs austauschbare ("hot-pluggable") Komponenten, etwa Netzteile, Lüfter und Festplatten.

Joseph Reger, ehemals Cheftechnologe bei der IBM, hat jüngst die Fronten gewechselt und ist nun bei SNI für das Technologie-Marketing zuständig. Zu der Acht-Wege-Lösung von Siemens erläutert er: "Alle Chipsätze sind in ihren Grundideen gleich: Um ein Symmetrical-Multiprocessing-System mit vernünftiger Leistung zu erreichen, kommt eigentlich immer ein Cache zum Einsatz, damit der Durchsatz der Bussysteme erhöht wird."

Auf den Xeon-Prozessoren befinden sich bereits der Level-1-Cache samt Controller und die Controller-Logik für den Level-2-Cache; der allerdings liegt außerhalb des eigentlichen CPU-Kerns. Für vier Prozessoren reicht dieses Konzept aus, acht Wege sind schwerlich ohne zusätzlichen Level-3-Cache sinnvoll zu betreiben.

Dieser ist bei Siemens und anderen Anbietern nicht mehr prozessorspezifisch, vielmehr teilen sich je vier CPUs einen (mehrere MB großen) Cache. Der Chipsatz muß die Controller-Logik und die nötige I/O-Anbindung übernehmen. Hier sieht Reger einen Vorteil für Siemens: "Vom Mitbewerb unterscheiden wir uns dadurch, daß wir die I/O-Komponenten des Primergy 870 direkt übernehmen können. Bei Corollary hingegen muß bei einem Upgrade auf acht Prozessoren die I/O-Logik ebenfalls getauscht werden; bei uns genügt ein simpler CPU-Board-Wechsel und das Hinzufügen des Chipsatzes."

Das sei zum einen billiger für die Kunden. Fast noch wichtiger aber sei, daß mit neuer I/O-Logik auch alle System- und Kompatibilitätstests neu vorgenommen werden müßten.

Siemens hingegen müsse nur die Integration des Level-3-Cache prüfen, ein großer Vorteil, wenn um es die schnelle Befriedigung von Nachfrage gehe.

Später sei dann, gemeinsam mit anderen Herstellern, durchaus ein Umstieg auf die Standard-High-Volume-(SHV-)Technik unter der Regie von Intel denkbar. "Grundsätzlich versuchen wir im NT-Markt, uns nach Standards zu richten. Wenn diese aber - wie im Fall Corollary - noch nicht vorhanden sind und wir und unsere Kunden sie brauchen, dann realisieren wir eine eigene Lösung."

Skalierung wie unter Unix dürfe man von einem Wintel-Server allerdings nicht erwarten - zumindest noch nicht unter NT 4. "Es ist kein Geheimnis, daß NT 4 eine große Anzahl von Prozessoren nicht so unterstützt, wie NT 5 das tun wird", erläutert Reger. "Oberhalb von vier Prozessoren erreicht man nicht die von Unix gewohnte Skalierbarkeit." Zu erwarten sei grob gerechnet ein Leistungszuwachs von 50 Prozent beim Wechsel von vier auf acht CPUs. Das rechne sich aber bereits heute, wenn lediglich ein CPU-Board-Tausch nötig sei.

Man arbeite intensiv mit Microsoft zusammen, um auch unter der aktuellen Version eine passable Skalierbarkeit zu erreichen. Diese Verbesserungen kämen allerdings allen Anwendern zugute. Das sei auch gut so, meint der Siemens-Mann: "Die Attraktivität der Plattform rührt nicht zuletzt daher, daß sie Industriestandard ist. Damit muß man leben."

Mit ihren Intel-basierten "Primergy"-Servern für Windows NT ist SNI zur Zeit überdurchschnittlich erfolgreich. Nach Erhebungen der Marktforscher von Dataquest und der International Data Corp. (IDC) liegen die Münchner/Paderborner in Deutschland auf dem ersten und in Westeuropa auf dem vierten Platz der Hersteller-Rangliste.

Bernd Puschendorf, Leiter Corporate Marketing und Support des Geschäftsbereichs Open Enterprise Computing, verkündet stolz: "Zum ersten Mal seit 1991 verzeichnen wir ein Umsatzwachstum in allen Kerngeschäften. Mit den Primergy-Servern konnten wir um mehr als 30 Prozent zulegen und liegen damit deutlich über dem Marktdurchschnitt." Bei den High-end-Unix-Maschinen habe SNI um mehr als 20, bei den Mainframes um mehr als zehn Prozent zulegen können. Und: selbst im Mainframe-Geschäft sei es gelungen, Neukunden zu akquirieren.

Überhaupt gewinnt das Server-Geschäft zunehmend an Bedeutung. IDC hat im April 1998 prognostiziert, daß der weltweite Markt von 65 Milliarden Dollar im Jahr 1997 bis zum Jahr 2002 auf ein Volumen von 97,8 Milliarden Dollar steigen werde. Dabei verzeichnet der NT-Bereich mit einem Faktor 2,5 (von elf auf 28,1 Prozent Marktanteil) das stärkste Wachstum.

Der Weg ins Enterprise Computing ist für NT allerdings noch weit. Andreas Zilch, Director Research & Consulting für Zentral- und Osteuropa bei der Meta Group Deutschland, meint etwa: "NT hat gegenüber Unix oder gar Mainframe-Betriebssystemen noch deutliche Mängel in Skalierbarkeit, Ausfallsicherheit und Verwaltbarkeit. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die etablierten Plattformen jeweils rund 20 Jahre gebraucht haben, bis sie für große geschäftskritische Anwendungen und den RZ-Einsatz reif waren."

Dennoch wird Microsofts mächtigstes Betriebssystem allerorten als "strategisches" Produkt eingestuft und -gesetzt. Die Meta Group erwartet, daß es ab 1999 die primäre Plattform für Software-Entwicklung bilden und - optimistisch geschätzt - ab dem Jahr 2002 erstmals mit Unix gleichziehen kann.

In einigen Jahren, so erwartet Siemens, sei durchaus ein Server vorstellbar, auf dem die drei Betriebssystem-Plattformen Windows NT, Unix und BS2000 neben einander lauffähig sind. Meilensteine auf dem Weg dorthin sind zum einen die Tatsache, daß BS2000 bereits heute auf RISC-Prozessoren läuft. Die zweite Grundvoraussetzung ist Intels kommende Prozessorgeneration "IA-64", die erstmals im "Merced"-Prozessor Gestalt annehmen wird. Siemens plant, alle Plattformen nach und nach auf diese Architektur umzustellen.

Die logische Folge wäre laut Reger dann ein System, das alle drei Betriebssysteme parallel fährt: "In drei bis vier Jahren können wir uns einen Server vorstellen, der mit dynamischen Domänen arbeitet. Darin laufen in der ersten Phase Unix und NT, kurz darauf auch BS2000." Weitere zwei Jahre später sei ein Konzept virtueller Maschinen zu realisieren, in dem die unterschiedlichen Betriebssysteme noch stärker integriert wären. "Mit einer solchen Maschine könnten wir drei Fliegen mit einer Klappe schlagen", so der Stratege. "Wir würden unseren BS2000- und Unix-Kunden Investitionsschutz für ihre Software bieten und gleichzeitig den PC-Servern den Aufstieg ins Enterprise-Computing ermöglichen. Daran arbeiten wir.

PRIMERGY 870

- Vier Xeon-Prozessoren mit 400 oder 450 Megahertz Taktfrequenz und 512 KB bis 2 MB Level-2-Cache

- Ab Ende 1998 auch mit acht CPUs lieferbar ("Primergy 870-80")

- 128 MB bis 8 GB Arbeitsspeicher

- I/O-Prozessor i960RD, vorbereitet für I2O-Technik

- Vier 64-Bit- und fünf 32-Bit-PCI-Steckplätze (hot-plug-fähig), dazu drei 32-Bit-PCI/ISA- und ein reiner ISA-Slot

- "Stack"-Technik für Aufstockung um zusätzliche Funktionsblöcke (etwa USV, Tape-Library, zweiter Server)

- umfangreiche Management-Software ("Serverstart", "Serverview", "Remote View")

AXIL UND COROLLARY

Praktisch alle existierenden Implementierungen von Acht-Wege-Konzepten für Windows NT basieren auf dem "Adaptive-Memory-Crossbar"- (AMX-)Konzept der "Northbridge"-Server von Axil Computer. Zu den bekannten Lizenznehmern gehören unter anderem Hewlett-Packard (HP) und Data General (DG). Axil, eine Tochter des koreanischen Hyundai-Konzerns, hat allerdings am 23. Juni 1998 Konkurs angemeldet. Die betroffenen Anbieter müssen nun in den sauren Apfel beißen und auf Intel warten. Der Chipkrösus hatte 1997 die Firma Corollary mit ihrer "Profusion"-Architektur aufgekauft und wird (vermutlich um die Jahresmitte 1999) auf Basis dieser Technik einen Chipsatz für Acht-Wege-Server auf den Markt bringen. Intel-Sprecher Heiner Genzken hält sich dazu bedeckt: "Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch viel zu früh, irgendwelche näheren Angaben zu unserer Lösung zu machen."