CIM: Von der Euphorie über die Ernüchterung zur realistischen Sachlichkeit

Sieben Tendenzen der heutigen CIM-Entwicklung

13.10.1989

MÜNCHEN (CW) - Erfolge bereits durchgeführter Investitionen in CIM geben der Idee neuen Aufschwung. Unter Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten wird die Integration dispositiv-planerischer und technischer Bereiche nach wie vor mit viel Elan verfolgt. Jörg Becker* beschreibt sieben Tendenzen, die den Schwerpunkt der gegenwärtigen CIM-Entwicklung aufzeigen.

Nach einer Studie von McKinsey führt in der Elektronikindustrie eine sechsmonatige Einführungsverspätung für ein neues Produkt zu einer Gewinneinbuße von etwa einem Drittel. Zu hohe Entwicklungs- und Fertigungskosten nehmen sich demgegenüber fast unbedeutend aus. Verkürzung der Produktentwicklungszeit heißt hier das Gebot der Stunde.

Die Schritte des Produktionsprozesses

Im herkömmlichen arbeitsteiligen System umfaßt der Produktentstehungsprozeß mehrere aufeinanderfolgende Schritte. Ausgehend vom Entwurf entsteht im Konstruktionsprozeß eine maßstäbliche Zeichnung des neuen Produktes. Im nächsten Schritt wird die Stückliste festgelegt. Dabei werden zu einem Endprodukt die Baugruppen, Komponenten und Einzelteile bestimmt.

Im folgenden wird zur Fertigung jedes Teils der Stückliste der Arbeitsplan mit seinen Arbeitsgängen angelegt und, wenn nötig, um einen Prüfplan ergänzt. Letztendlich wird das Produkt aufgrund der Stückliste und Arbeitspläne kalkuliert, indem die in den Arbeitsgängen angegebenen Vorgabezeiten mit den Lohnsätzen in Beziehung gebracht werden.

Zudem ist es erforderlich, diese Kosten zunächst pro Teil zu kumulieren und über die Stücklistenzusammensetzung für das Endprodukt zu ermitteIn.

Der grafische Entwicklungsprozeß ist heute der Abteilung Konstruktion zugeordnet. Hier kommen CAD-Systeme zum Einsatz. Die Stücklisten werden meist in eigenen Normenstellen erstellt und im PPS-System hinterlegt. Die Generierung der Arbeitsplätze gehört zum Bereich Arbeitsplanung, der in Unternehmensorganisationen meist eine eigene Abteilung ("Arbeitsvorbereitung") bildet. Arbeitspläne werden ebenfalls im PPS-System gespeichert.

Für die Prüfpläne existiert wiederum ein computergestütztes System zur Qualitätssicherung von Produkten (CAQ). Die Kalkulation letztendlich ist Teilgebiet der Kostenrechnung, wobei sowohl in PPS-Auftragsabwicklungs- als auch in Kostenrechnungssystemen Kalkulationsmodule anzutreffen sind.

Hier setzt die Funktionsintegration in dem Sinne an, daß Aufgaben der Arbeitsplanung und Kalkulation an den Konstruktionsbereich wandern und synchron die eigentlichen Zeichnungsaufgaben durch einzelne Phasen des Konstruktionsprozesses begleiten. Über einen phasengesteuerten Ähnlichkeitsvergleich werden dem Konstrukteur die kostenmäßigen Auswirkungen seiner Entscheidung vor Augen geführt, so daß er Abweichungen von Kostenzielen frühzeitig erkennt, gegensteuern und bei möglichen Alternativen die kostengünstigste auswählen kann.

Zum anderen kann durch die Hinterlegung von aus der Fertigungstechnik resultierenden Zeichnungsregeln jeder Konstruktionsschritt auf produktionstechnische Realisierbarkeit überprüft werden. Auch die Simulation der Vorgänge und Bewegungen, die eine numerisch gesteuerte Maschine oder ein Roboter am Werkstück vornimmt, trägt zum fertigungsgerechten Konstruieren bei. Die Grundlage einer Funktionsintegration im hier beschriebenen Sinne ist vor allem eine datenmäßige Integration.

Im Entstehungsprozeß eines neuen Produktes beschreiben alle Vorgänge das jeweilige Objekt, wobei die Sicht jeweils differiert. Das Produkt wird betrachtet:

- aus konstruktionsorientierter Sicht (CAD)

- aus materialwirtschaftlicher Sicht (PPS)

- aus Fertigungssicht (CAP)

- unter Qualitätsgesichtspunkten (CAQ) und

- aus Kostenrechnungssicht.

Hier muß den sich durch CIM ändernden Organisationsformen durch wandelnde DV-Unterstützung Rechnung getragen werden. Eine einheitliche Datenbasis zur Verwaltung aller produktbeschreibenden Merkmale (Engineering data base) kann die Integration der Funktionen im Produktentstehungsprozeß wirkungsvoll unterstützen. Die Funktionsintegration mit der zugrundeliegenden Datenintegration führt zu einer Verschmelzung der Aufgaben der Konstruktion, Arbeitsplanung, Qualitätssicherung und der Kalkulation durch unterschiedliche Phasen, in denen die definitorischen Merkmale des Produktes immer weiter detailliert werden.

Durch diese simultane Definition eines neuen Produktes aus unterschiedlichen Sichten mit schrittweiser Verfeinerung kann gegenüber dem sequentiellen Abarbeiten der Funktionen mit den auftretenden Iterationen eine beträchtliche Beschleunigung der Produktentwicklungszeit erreicht werden. Gerade hier liegt für viele Unternehmen ein kritischer Erfolgsfaktor.

Neben der Integration der dispositiv-planerischen und der technischen Bereiche innerhalb eines Unternehmens prägt die materialflußmäßige Verbindung und informatorische Integration zwischen Unternehmen die derzeitige Entwicklungstendenz von CIM. Ein direkter Informationsaustausch steuert und verfolgt den Materialfluß mit dem Ziel, Produkte genau dann beim Abnehmer bereitzustellen, wenn sie dort weiterverarbeitet werden.

Ob in der Automobilzuliefererindustrie, der Hausgeräteherstellung oder der Elektronikindustrie, die Umsetzung dieser Just-in-time-Philosophie zur Senkung von Lagerbeständen und Verkürzung von Durchlaufzeiten nimmt in vielen Branchen eine wichtige Stellung ein.

Die informatorische Verbindung wird zum einen durch eine direkte Anwendung-zu-Anwendungs-Beziehung zwischen Herstellern und Zulieferern realisiert, indem in einer unmittelbaren Kopplung zwischen dem Einkaufssystem des Herstellers und dem Verkaufssystem des Zulieferers die Bestellung automatisch als Auftrag übernommen wird.

Zum anderen werden Standardschnittstellen wie genormte Datenformate für Bestellung, Abruf und Lieferschein dazwischengeschaltet, die sowohl vom Verband der Automobilindustrie (VDA) als auch internationalen Gremien, beispielsweise für Edifact (Electronic Data Interchange For Administration in Commerce und Transport), entwickelt wurden und werden.

Die schnelle Übertragung von Informationen zwischen Herstellern und Zulieferern ist aber nur eine Folge der Umsetzung der Just-in-time-Philosophie. Organisatorisch schwerwiegender sind Änderungen der Abläufe, die damit einhergehen.

Der herkömmliche Ablauf beginnt bei der Bestellung des Herstellers und geht über die Auftragsannahme beim Zulieferer, Auftragsbestätigung, Disposition, kapazitätsmäßige Einplanung, Feinplanung bis hin zur Fertigung und Auslieferung. Dieser Weg führt zu langen Auftragsdurchlaufzeiten.

Bei der Just-in-time-Anbindung, die heute zum Teil realisiert ist, wird der aus dem Montageplan des Herstellers resultierende Bedarf direkt an die Fertigung des Zulieferers gemeldet, der oft bereits wenige Stunden später die benötigten Teile an der Montagelinie des Herstellers bereitstellen muß.

Dispositionssysteme werden bei kurzfristigen Abrufen umgangen. Hier werden Montageplan des Herstellers und Fertigungsfeinsteuerung des Zulieferers direkt miteinander verbunden.

Auch Qualitätswesen ist von Just-in-time betroffen

Solch enge Kopplungen sind allerdings nur möglich, wenn längerfristige Absprachen zwischen Hersteller und Zulieferer getroffen werden, die den Flexibilitätsbedarf des jeweiligen produzierenden Unternehmens mit den Möglichkeiten des Zulieferers und die Kapazitätsanforderungen des Herstellers mit den Ressourcen des Zulieferers in Einklang bringen.

Auf dieser mittelfristigen Ebene behalten auch die Dispositionsmodule der PPS-Systeme ihre Berechtigung als Schaltstelle zwischen Kapazitätsbedarf des Kunden, eigener Fertigung und Bedarf an Lieferteilen von den eigenen Zulieferern, mit denen möglicherweise gleich enge Verbindungen eingegangen werden.

Auch das Qualitätswesen ist von den Just-in-time-Realisierungen betroffen. Bei mengen- und zeitmäßig genau definierten Lieferungen, deren Teile sofort weiterverarbeitet werden, würden erkannte Mängel in der Wareneingangskontrolle unweigerlich zum Produktionsverzug führen. Deshalb muß sichergestellt sein, daß die richtigen Produkte zur richtigen Zeit in der gewünschten Qualität geliefert werden. Die ehemals stattfindende Wareneingangskontrolle verlagert sich zum Zulieferer, dessen Warenausgangskontrolle sich oft von der Stichprobenprüfung zu einer Vollprüfung erweitert und nicht nur in den Meßwerten, sondern auch in den Meß- und Prüfverfahren mit dem Abnehmer abgestimmt wird. Teilweise sind neuen Produktes - Prüfungsingenieure des Herstellers beim Zulieferer zur Festlegung von Prüfwerten, Meß- und Prüfverfahren und Meß- und Prüfinstrumenten.

Die direkte Verbindung zwischen Marktpartnern über Unternehmensgrenzen hinweg bezieht sich nicht nur auf Abrufe und Qualitätsdaten, auch in der Produktentwicklung wird durch direkten Datenaustausch die Durchlaufzeit bis zur Fertigungsfreigabe verkürzt. Die Geometrie von neuen Teilen wird vom Hersteller - meist über Standardschnittstellen wie IGES, STEP, VDA-FS - an den Zulieferer übergeben, der in seinem CAD/NC-System die Daten unter Minimierung von Wiedereingabeaufwand weiterverarbeiten kann.

Im Bereich der Produktionsplanung und -steuerung vollzieht sich eine Verschiebung der Gewichte der einzelnen Funktionen. Der Schwerpunkt der derzeitigen traditionellen PPS-Systeme liegt auf der mittelfristigen Planung mit der Materialwirtschaft, dem Kernpunkt der Systeme und der Kapazitätswirtschaft. Die geringe Unterstützung der Grobplanung führt oft zu mangelhaften Ergebnissen der Material- und Kapazitätswirtschaft und zu ständigen Plananpassungen. Hier wird zunehmend erkannt, daß die Grobplanung stärkeres Gewicht erhalten muß. Simulationen der Auswirkungen von geänderten Ausgangsdaten in der Grobplanung und statistische Prognoseverfahren zur Ermittlung des Primärbedarfs weisen hier den Weg.

Vor allem aber am unteren Ende der PPS-Systeme, in der kurzfristigen Steuerung, ist ein Wandel zu beobachten. Hier werden verstärkt eigenständige Systeme zur Steuerung von abgegrenzten Fertigungseinheiten eingesetzt. Diese Produktionssteuerungssysteme liegen nicht mehr in der Anwendungshoheit der Disposition, sondern sind Instrumente der Werkstattverantwortlichen vorort.

Verstärkt wird diese Entwicklung durch das Vordringen der Organisationsform der Fertigungsinsel. Sie bedeutet eine Abkehr von dem verrichtungsorientierten Prinzip, bei dem funktionsähnliche Fertigungseinrichtungen mit dein Ziel einer möglichst hohen Kapazitätsanlastung zusammengefaßt werden. Zudem hat dies eine Hinwendung zum objektorientierten Prinzip zur Folge, bei dem alle Betriebsmittel, die zur Bearbeitung einer unter gruppentechnologischen Gesichtspunkten gebildeten Teilefamilie notwendig sind, eine Einheit bilden. Hier steht die kurze Durchlaufzeit als Hauptziel im Vordergrund.

Fertigungssteuerung ist Dreh- und Angelpunkt

Der Fertigungsinsel-Verantwortliche erhält mit der wachsenden funktionalen Aufgabe (Komplettbearbeitung statt Teilbearbeitung) mehr dispositive Aufgaben wie Terminierung, Reihenfolgefestlegung und Losbildung. Er benötigt ein Instrumentarium, das über die Aufgaben der derzeitigen PPS-Systeme hinausgeht. Fertigungssteuerungssysteme wie elektronische Leitstände zeigen den Weg. Hier muß neben der Funktionalität der Systeme vor allem die Integrationsfähigkeit gegeben sein, da ein Fertigungssteuerungssystem nach zwei Seiten intensiver Anbindung bedarf. Dies Ist zum einen an die mittelfristig planenden PPS-Systeme (die besser PP-, also Produktionsplanungssysteme hießen) und zum anderen an die technischen Steuerungen der Teilefertigung, des Transports, Lagers und der Montage sowie der Rückmeldung der Betriebsdaten von diesen Einheiten.

Die Fertigungssteuerung bildet den Dreh- und Angelpunkt am Übergang von dispostiv-planerischen Systemen zu operativen technischen Steuerungen. In der Anbindung an die technischen Steuerungen ist aber heute noch ein Manko auszumachen, während die Schnittstelle zur Produktionsplanung, und sei es nur über Filetransfer, häufig realisiert ist.

Während in den USA nach wie vor große Projekte durchgeführt werden, die die starre Automatisierung in den Vordergrund stellen, ist hierzulande eine Abkehr von solchen Systemen mit zwar niedrigen Pro-Stückkosten, aber hohen Umrüstkosten zu beobachten. Die Zukunft wird in flexiblen Einrichtungen mit höheren Pro-Stück-, aber eben geringen Umrüstkosten gesehen. Dies ist durch den Trend zu kleinen Losen auf Grund der zunehmenden Variantenvielfalt bedingt. Die deutschen Werkzeugmaschinen - als eine Keimzelle von CIM - nehmen international eine Spitzenstellung ein, sowohl im Hinblick auf Flexibilität als auch auf Qualität.

Im Einsatz von flexiblen Fertigungszellen, grob gesprochen einer flexiblen Fertigungseinrichtung mit automatischer Werkzeug- und Werkstückzufuhr, hat die Entwicklung der letzten Jahre in der Bundesrepublik die Prognosen übertroffen. Beim Einsatz von flexiblen Fertigungssystemen, der Verknüpfung mehrerer flexibler Fertigungszellen über Transporteinrichtungen, sind die Erwartungen allerdings nicht erfüllt worden. Die Schwierigkeiten liegen hier vor allem in den übergeordneten Steuerungen, die aufgrund der vielen unterschiedlichen Systembestandteile (Verbindung von Fertigungs-, Lager-, Handhabungs- und Transportsystemen) eine sehr hohe Komplexität aufweisen. Aber auch hier sind gerade in jüngster Zeit Projekte zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen. Ein Wachstumspfad für die Zukunft der flexiblen Fertigungssysteme ist somit vorgezeichnet.

Standardisierung dient der CIM-Entwicklung

Die zunehmende Rechnervielfalt im Unternehmen, die tiefer werdende Rechnerhierarchie und die sich vergrößernde Anzahl an unterschiedlichen Steuerungen der technischen Komponenten laufen einer Integration zuwider. Standardisierungsbemühungen auf unterschiedlichen Ebenen des Rechnereinsatzes und der Anwendungen mildern diese Tendenz des Auseinanderdriftens.

Auf der Softwareebene, die der Hardware am nächsten liegt, nämlich dem Betriebssystem, zeichnet sich - nach längerem Zögern - eine Entwicklung in Richtung Unix ab. Immer mehr Hardwarehersteller bieten Rechner an, auf denen Unix als originäres oder zumindest als optionales Betriebssystem läuft. Damit werden Verknüpfungen zwischen Rechneranwendungen als auch die Portierbarkeit von Programmen erleichtert.

Hinsichtlich der von General Motors initiierten und dann von den nationalen und internationalen Standardisierungsgremien weitergeführten Vereinheitlichung des Netzprotokolls unter dem Stichwort MAP (Manufacturing Automation Protocol) mit den Datenformaten MMS (Manufacturing Message Specification) haben sich die hiesigen Unternehmen lange Zeit zurückgehalten. Während in den USA - wenn auch nur probeweise oder in Teilbereichen - MAP eingesetzt wurde, hat man hierzulande mehr auf die Herstellernetze gesetzt. Erst seit der Festschreibung von Netzarchitekturteilen in der Version 3.0 im letzten Jahr ist ein verstärktes Interesse an MAP zu verspüren. Gerade die MMS-Spezifikation, die auf hoher Ebene das Übertragungsprotokoll definiert, läßt für die Zukunft ein weiteres Vordringen von MAP erwarten. Bei den Datenbanksystemen setzt sich SQL als Datenbeschreibungs-, Datenmanipulations- und Abfragesprache immer mehr durch. Die gängigen Datenbanksysteme bieten zumindest als Option die SQL-Schnittstelle

an.

Eine einheitliche Datenzugriffssprache erleichtert den Austausch zwischen unterschiedlichen Systemen. Das Problem sind aber nach wie vor die unterschiedlichen Datenstrukturen, die einer echten Integration, nämlich dessen Zugriff von unterschiedlichen Systemen auf eine gemeinsame Datenbasis, zuwiderlaufen.

Im überbetrieblichen Datenaustausch konkurrieren mehrere Standardisierungsbemühungen miteinander. Vorreiter waren hier die Automobilhersteller in der Kommunikation mit den Zulieferern. Die internationale Standardisierung in Richtung Edifact wird hierzulande nur zögerlich aufgenommen. Auch die Standardisierung des Austausches produktdefinierender Daten, die in der STEP-Empfehlung münden (Standard for the Exchange of Product Definition Data), kommt eher schleppend voran, nicht zuletzt wegen der Vielzahl schon bestehender Schnittstellen, wie zur Zeit häufig eingesetzten IGES-Schnittstelle (Initial Graphics Exchange Specification).

Noch fehlt eine echte Standardisierung bei CIM

Vor allem aber fehlt eine Standardisierung von Anwendungssystemen. Hier geht nach wie vor jeder Hersteller eigene Wege. Die Standardisierungsbemühungen, die sich auf hardwarenahen Ebenen bewegen, sind derzeit von größerer Akzeptanz geprägt als die, die sich den eher anwendungsorientierten Ebenen widmen.

Ungeachtet der Schwierigkeiten, die derzeit bei der Umsetzung der CIM-Gedanken bestehen, ist als wohl wichtigste Tendenz festzuhalten, daß sich eine Gesamtsicht auf das Unternehmen über die Einzelbereiche hinweg langsam durchsetzt. Sie manifestiert sich in einer neuen Definition von ablauforganisatorischen Vorgängen, computergestützten Verbindungen und aufbauorganisatorischen Maßnahmen. Bezüglich der ablauforganisatorischen Veränderungen wandern viele Funktionen, die bisher im Verlauf einer Vorgangskette angefallen sind, an deren Anfang. Überprüfung der kapazitätsmäßigen Realisierbarkeit während der Primärbedarfsplanung, simulative Einlastung bei der Anfragebearbeitung, Simulation der Verfahrwege der NC-Maschine oder des Roboters während der Konstruktion, konstruktionsbegleitende Kalkulation und Simultaneous Engineering mögen dies belegen.

Ausgehend von diesen organisatorischen Überlegungen muß definiert werden, wie die DV-Unterstützungssysteme integriert werden können, damit die Durchgängigkeit der Vorgänge erreicht wird. Vier lntegrationspotentiale gilt es bei der Verknüpfung der Systeme auszuschöpfen: die Datenintegration, die Datenstrukturintegration, die Modulintegration und die Funktionsintegration.

Datenintegration ist die gemeinsame Nutzung von Daten durch unterschiedliche Bereiche. So benötigen Materialwirtschaft, Kapazitätsminderung, Kapazitätsabgleich, Fertigungssteuerung, Konstruktion, Instandhaltung und Qualitätssicherung den Teilestammsatz. Die Datenintegration führt dazu, daß Daten, die in einem Bereich anfallen, sofort allen anderen Bereichen zur Verfügung stehen. Durch den Wegfall der Mehrfacheingaben gleicher Daten wird der Aufwand für das Änderungswesen (organisatorisch, personell und DV-technisch) wesentlich verringert. Inkonsistenzen bei der Informationsübermittlung, die heute häufig eine Fehlerquelle im betrieblichen Ablauf darstellen, können weitgehend ausgeschlossen werden. Hohe Durchlaufzeiten durch lange Informationsübertragungswege, sei es durch verzögerte manuelle Weitergabe von Informationen oder durch periodisch stattfindenden Filetransfer, können drastisch reduziert werden.

Die Datenintegration unterstützt aber auch die Funktionsintegration. Wenn zum Beispiel gefordert wird, daß vertriebsgerecht, fertigungsgerecht und kostenoptimal konstruiert wird, muß das Klassifikationssystem so aufgebaut sein, daß diese Funktionen unterstützt werden. Hier reicht es nicht mehr aus, daß im Klassifikationssystem nur eine Sicht auf Teile hinterlegt wird (beispielsweise hierarchischen Klassen zugeordnet), es muß darüber hinaus eine Einteilung erfolgen, welche Funktion das Teil oder die Baugruppe unterstützt, wie diese Teilfunktion zu einer Gesamtfunktion beiträgt, welche technischphysikalischen Eigenschaften ein Teil hat und wie dadurch bestimmte Anforderungen der Anforderungsliste erfüllt werden. Weiterhin muß eine Einordnung in Kostenklassen und Kostenstrukturen erfolgen. Die Geometrie eines Teils muß so klassifiziert werden, daß Rückschlüsse auf die Fertigungstechnik möglich sind. Auch dispositive Merkmale sind in einem solchen Klassifikationssystem festzuhalten.

Sowohl Einzelteile als auch Baugruppen und Endprodukte sind Fertigungs-, Konstruktions-, Funktions- und Kostenklassen zuzuordnen. Ein derart gestaltetes Klassifikationssystem, das unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Einordnung aller Teile vornimmt, unterstützt wirkungsvoll alle planenden Bereiche in einem CIM-Umfeld, insbesondere den Vertrieb, Materialwirtschaft, Produktentwurf und Konstruktion sowie die Arbeitsplanung.

Datenstrukturintegration ist die Nutzung eines Datensatzaufbaus für unterschiedliche Inhalte. Prinzipiell unterscheiden sich die Stammsätze für Betriebsmittel, Werkzeuge und Vorrichtungen nur wenig. Hier kann die Struktur eines Stammsatzes für die genannten unterschiedlichen Inhalte verwendet werden. Auch die Struktur einer Stückliste (Nummer des übergeordneten Teils, Nummer des untergeordneten Teils, "Produktionskoeffizient", Gültigkeitsdauer) kann für die Werkstücke in ihrer Zusammensetzung aus untergeordneten Teilen wie auch für Werkzeuge und Betriebsmittel Anwendung finden.

Modulintegration sorgt für Vereinheitlichung

Bei Anwendung der Datenstrukturintegration sinkt durch die Mehrfachnutzung einer einmal definierten Datenstruktur der Entwicklungsaufwand für die Systeme der Datenverwaltung. Da die Daten Grundlage der betrieblichen Funktionen sind, sinkt auch der Entwicklungsaufwand für die Anwendungssysteme, die diese Funktionen abdecken, da jeweils unterschiedliche Daten derselben Datenstruktur Basis für gleiche Funktionen sind. In Unternehmungen, die über einen eigenen Fertigungsmittel- und Werkzeugbau verfügen, können Stammdaten und Stücklisten der "Teile" des Fertigungsmittelbaus als Stammdaten und Stücklisten der "Betriebsmittel" in der Arbeitsplanung und Instandhaltung genutzt werden.

Modulintegration ist die gemeinsame Nutzung von DV-Modulen durch mehrere CIM-Bereiche. So wird ein zur Lagerverwaltung von der Materialwirtschaft (für Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe, Einzelteile und Baugruppen), von der Auftragsabwicklung (zur Verwaltung der Fertigwaren- und Versandlager), von der Fertigungssteuerung (zur Verwaltung der Werkstattbestände) und von der Instandhaltung (für die Instandhaltungsmaterialien) benötigt, darüber hinaus von der Arbeitsplanung, wenn ihr das Werkzeugwesen zugeordnet ist, sowie von der Prüfplanung als Teil der Qualitätssicherung für die Prüfmittel. Bedarfsauflösung und Brutto/Nettorechnung sind in der Materialwirtschaft, Qualitätssicherung und in der lnstandhaltung erforderlich.

Die Modulintegration kann sich auf zwei Arten vollziehen: Im ersten Fall wird ein physisch einmal vorhandenes DV-Modul durch unterschiedliche Bereiche genutzt. Dies ist der Standardfall, wenn die Applikationen auf einem Rechner laufen. Im zweiten Fall wird das gleiche Programm unterschiedlichen Computern zugewiesen. Voraussetzung ist hier allerdings, daß Kompatibilitäten zwischen den Systemen auf den einzelnen Stufen innerhalb eines informationstechnischen Konzeptes vorliegen. Neben der Hardwarekompatibilität ist vor allem die Kompatibilität auf der Betriebssystem- und Datenverwaltungs-Seite ausschlaggebend für die Nutzung identischer Module.

Diese drei Arten der Integration sind Voraussetzung für die Funktionsintegration, die letztendlich die organisatorischen Veränderungen ermöglicht. Funktionsintegration bedeutet zum einen, daß eine Funktion automatisch eine andere Funktion ansteuert, und zum anderen, daß Funktionen miteinander verschmelzen.

Der erste Fall liegt vor, wenn die Ergebnisse der dispositiven Aufgaben der Fertigungssteuerung, nämlich die Terminierung und Reihenfolge der Bearbeitungen an den Betriebsmitteln, direkt in Signale umgesetzt werden, die zum Anstoß der Bearbeitung führen, so daß manuelle Zwischenschritte entfallen können. Asynchrone Bearbeitungen können so erheblich beschleunigt werden.

Der zweite Fall der Funktionsintegration, das Zusammenwachsen bisher getrennter Tätigkeiten, wird durch eine inhaltliche Verschmelzung von DV-Systemen erreicht. Die Verbindung von Geometrie-, Stücklisten-, Arbeitsplan- und Kostenrechnungsdaten und -funktionen für die konstruktionsbegleitende Kalkulation zeigt diese Funktionsintegration. Die Integrationspotentiale (Daten-, Datenstruktur-, Modul- und Funktionsintegration) müssen mit den organisatorischen Abläufen, die aus der CIM-Strategie abgeleitet werden, welche wiederum aus der Unternehmensstrategie resultiert, in Einklang gebracht werden.

Die Gesamtsicht auf CIM in der Verbindung von strategischer und operativer Komponente muß auch in der Umsetzung der DV-Realisierungen ihren Niederschlag finden. Die Verbindung von Systemen auf der mengenorientierten Ebene muß ergänzt werden, um die vertikale Integration von diesen operativen Systemen über die wertorientierten Abrechnungs- und Kontrollsysteme bis zu den Planungs- und Entscheidungssystemen. In einzelnen Bereichen finden sich bereits in vertikaler Richtung durchgängige Systeme. Hier wird eine mengenmäßige Lagerentnahme gleichzeitig bewertet und führt zu einer Lagerbestandsveränderung. Diese wird sofort in der Finanzbuchhaltung und der Kostenrechnung sichtbar und führt zu einer Aktualisierung des angeschlossenen Informations- und Auswertungssystems. Eine strategische Sicht auf CIM, die sich in Gesamtkonzeptionen für die rechnerintegrierte Produktion durch Umsetzung der Integrationspotentiale in horizontaler und vertikaler Sicht manifestiert, setzt sich mehr und mehr durch.

* Jörg Becker ist Koordinator des CIM-Technologie-Zentrums Saarbrücken im Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes.