Apples „Akku-Bremse“

Sicherheits-Feature oder erzwungene Obsoleszenz?

Kommentar  23.12.2017
Von 
Stephan Wiesend schreibt für die Computerwoche als Experte zu den Themen Mac-OS, iOS, Software und Praxis. Nach Studium, Volontariat und Redakteursstelle bei dem Magazin Macwelt arbeitet er seit 2003 als freier Autor in München. Er schreibt regelmäßig für die Magazine Macwelt, iPhonewelt und iPadwelt.
Ein alter Akku bremst ein iPhone aus. Schlimmer als die eigentlich sinnvolle Schutzfunktion ist aber Apples arroganter Umgang mit diesem Thema.

Kaufen Sie sich einen neuen Golf GTI mit 230 PS, wären Sie vermutlich ziemlich überrascht, wenn der Wagen nach zwei Jahren nur noch 115 PS leistet. Bei einem iPhone ist dies laut Apple aber durchaus beabsichtigt.

Schadhafte Akkus könne ein iPhone stark verlangsamen.
Schadhafte Akkus könne ein iPhone stark verlangsamen.
Foto: Markus Schelhorn

Auffallend ist es vor allem beim iPhone 6: Nutzer eines alten iPhone 6 berichten, dass ihr iPhone statt mit 1400 MHz plötzlich nur noch mit 600 MHz rechnet – ein Leistungsverlust, der sogar simple Aufgaben wie die Eingabe von Text ausbremst. Betroffen sind davon iPhone SE, iPhone 6, 6S, 7 und bald auch aktuelle Modelle.

Gegenüber Matthew Panzarino hat sich Apple jetzt nach fast zwei Wochen voller Gerüchte endlich erklärt: Seit einem Update drosselt iOS in bestimmten Situationen automatisch die Leistung der iPhone-CPU: bei Kälte, niedrigem Akkustand und mäßiger Akkuqualität. Wie Apple gegenüber der Cupertino sehr wohlgesonnenen Seite "Techchrunch" erklärte, hat der Hersteller damit nur im Sinn, seinen Kunden das optimale Nutzererlebnis zu bieten. Es soll vor allem das plötzliche Abschalten eines iPhones verhindern.

Führten doch Akku-Probleme bei Einführung des iPhone 6S zum Schlimmsten: dem plötzlichen Abschalten bei Kälte und niedrigem Akkustand. Eine notwendige aber den Nutzer frustrierende Selbstschutzfunktion, die Hardwareschäden verhindert. Ein iPhone-Akku verliert nach längerer intensiver Nutzung nämlich nicht nur einen Teil seiner Kapazität, er ist nicht mehr in der Lage zuverlässig hohe Spannungswerte zu liefern, die für volle CPU-Leistung nötig sind. Die Lösung: Das Heruntertakten per Powermanagement. Das ist nicht neu, auch viele Android-Smartphones drosseln die Leistung ihrer CPU unter Last – laut Messungen sogar deutlich schneller als iPhones. Aber schließlich haben auch viele Benutzer eines E-Mobils lernen müssen, dass sich im Winter die Reichweite ihres Akku-Fahrzeugs leider halbiert.

Worauf Apple allerdings nicht eingeht: Offensichtlich ist die Drosselung der CPU-Leistung permanent, wenn der Akku nicht mehr in Ordnung ist. Was Apple ebenfalls nicht erklärt: Warum man dies erst jetzt erfährt.

Arroganz

Aus technischer Sicht ist das Heruntertakten der CPU ja durchaus gerechtfertigt. Allerdings hätte Apple dies seinen Nutzern schon längst erklären müssen! Dass alte iPhones langsamer werden, haben ja schon viele Anwender berichtet. Bisher hielten wir dies für eine Verschwörungstheorie, leider ist es einfach die Wahrheit! Da liegt dann auch die böse Vermutung nahe, Apple wolle seine Nutzer zum Kauf eines neuen iPhone verleiten. Hätten doch viele Anwender eines iPhone 6 nur ihren Akku tauschen müssen – und ihr Smartphone wäre wieder so schnell wie am ersten Tag gewesen...

Nach Einschätzung des Autors handelt es sich hier aber einfach um Arroganz: Apple hat diese Funktion wohl verschwiegen, um Diskussionen mit seinen Kunden zu vermeiden – nach dem Motto: Was der Kunde nicht weiß, macht ihn nicht heiß und für die meisten Aufgaben ist die halbe Leistung völlig ausreichend. Benchmark-Ergebnisse wie Geekbench seien ja für die Praxis außerdem völlig irrelevant – so Apple gegenüber Techchrunch.

In der Praxis ist dieser Leistungsverlust aber eben doch spürbar: Man muss offenbar erwarten, dass auch ein neues iPhone X nur mit frischem Akku so schnell bleibt. Vielleicht zwei Jahre lang öffnet es eine komplexe Webseite in Millisekunden, startet ein Spiel mit einem Wimpernschlag und schneidet 4K-Videos ohne Verzögerung – plötzlich aber nicht mehr. Ganz wie ein alter Akku-Rasierer, der irgendwann nicht mehr so gut schneidet.

Geiz

Unschön an dem Thema finden wir aber vor allem Apples Kommunikation zu der Causa: Das System erkennt also, dass ein Akku Probleme hat, meldet dies aber nicht dem Nutzer? Ebenso wenig erfährt man, dass die CPU herunter getaktet wird. Dabei gäbe es sogar eine Systemmeldung, die über Akku-Probleme informiert – allerdings sieht man diese anscheinend erst bei stark geschädigtem Akku. Bei einem Macbook wird dagegen vom System schon relativ früh eine Wartung empfohlen. ( Mehr noch, in den Systemeinstellungen eines Macbooks erfährt man nicht nur über die Zahl der bereits vollzogenen Ladezyklen, sondern auch über dessen Zustand und die verbleibende Ladung. – Anm. der Redaktion).

iPhone-Besitzer mit einem betroffenen iPhone berichten außerdem, dass Apple den Verlust der CPU-Leistung nicht als Schaden einstuft und einen Akku nicht immer austauscht – weder im Rahmen von Apple Care noch gegen die happige Servicepauschale. Apple Stores halten sich anscheinend an eigene Richtlinien, wann ein Akku als defekt gilt und wann er ausgetauscht wird. Vermutlich will Apple hohe Reparaturkosten vermeiden: Ist doch ein Akku-Schaden innerhalb der Garantie oder Gewährleistungspflicht sehr wahrscheinlich und bei den aktuellen Modellen noch einmal aufwendiger geworden. Hier sollte Apple nachbessern oder zumindest immer einen Austausch anbieten. Es gibt zwar für den Akkutausch viele alternative Anbieter, eigentlich steht da aber der Hersteller in der Pflicht.

Eine Sammelklage verärgerter US-Kunden hat Apple aber in jedem Fall zu erwarten und wir vermuten, dass das Thema noch einige Wellen schlagen wird. Mit einer besseren Kommunikationspolitik hätte Apple hier viel Kritik vermeiden können. (Macwelt)