Welches Betriebssystem ist das beste?

Sicherer Sieg keine Frage von Qualität der Technologie

17.04.1992

Es kann sein, daß Sie diesen Wettstreit zwischen OS/2, NT und Unix aus rein akademischem Interesse betrachten. Dann arbeiten Sie vielleicht zufrieden in einem DOS-, Windows- oder 3270-Umfeld und interessieren sich dafür, wer gewinnen wird. Aus dieser Perspektive gehört sicherlich Microsoft die Medaille.

NT ist mit Abstand das modernste unter den betrachteten Betriebssystemen. Doch das ist auch nicht schwer: Microsoft hat das Problem der "Altlasten", der Rückwärtskompatibilität in die grafische Oberfläche Windows verlagert.

Dort allerdings schlägt die Vergangenheit voll zu: Die Windows-Oberfläche ist für Programmierer ungleich schwerer zu meistern als die OS/2-Presentation-Manager-Oberfläche.

Doch die Qualität der verwendeten Technologie ist noch längst keine Garantie für den sicheren Sieg.

Bei Microsoft wird zum Beispiel bewußt nicht nach der technisch anspruchsvollsten, sondern nach der naheliegendsten Lösung gesucht.

Die Kostenseite ist gerade in großen Installationen letztendlich der wesentliche Faktor für die Systementscheidung. Inzwischen ist jedem klar geworden, daß die Betriebssysteme des hier besprochenen Kalibers allesamt "Ressourcenfresser" sind. OS/2 ist dabei inzwischen wahrscheinlich am sparsamsten (aus schlechter Erfahrung, siehe Tabelle auf Seite 32).

Früher hat man argumentiert, daß die Anwendung den Ausschlag für die Auswahl des Betriebssystems gebe. Doch wenn alle Hersteller ihre Anwendungen auf alle Betriebssysteme portieren beziehungsweise alle Betriebssysteme sich untereinander emulieren, verliert dieses Argument seine Gültigkeit. Es ist genau wie bei der Hardware: Auch die Betriebssysteme werden sich immer ähnlicher - auch bei ihnen fallen die Preise.

Einziges Auswahlkriterium bleibt die Connectivity

Einziges Kriterium für die Auswahl ist die Connectivity geblieben. Diese Funktionen sind einzigartig wichtig, und da sie zunehmend direkt in das Betriebssystem integriert werden, muß die Entscheidung auf dieser Ebene getroffen werden. Wo immer ein IBM-Host-Rechner in einer Installation vorhanden ist, empfiehlt sich ein sehr genauer Blick auf OS/2.

Wo hingegen Downsizing schon stattgefunden hat und dezentrale Unix-LAN-Lösungen an der Tagesordnung sind, wäre es sinnlos, etwas anderes als Unix auf den Dektops einzusetzen. NT hat heute in einer DEC-Umgebung eine sehr gute Zukunftsperspektive - und überall dort, wo man experimentierfreudig auf neue RISC-Hardware setzen will, ohne auf Bekanntes, also Windows, zu verzichten.

Ein Szenario für eine OS/2-Lösung

Ein Unternehmen hat beispielsweise zwei IBM ES/9000 im Einsatz. Daran hängen zirka 300 IBM-Bildschirme und 100 mit Ethernet vernetzte PCs, die in einer Terminalemulation unter DOS arbeiten. Nun ist eine Neuorganisation geplant, in deren Zuge viele Terminals durch PCs ersetzt werden sollen. Um den PC-Benutzern die Vorteile einer grafischen Benutzeroberfläche zu ermöglichen, stehen OS/2, Windows (NT) und Unix zur Auswahl. Die OS/2-Lösung bietet sich aus folgenden Gründen an:

- grafische Oberfläche,

- Windows-Programme können gefahren werden,

- durch die Verwendung der OS/2 Extended Services eine unterstützte Verbindung zum Host-seitig installierten DB2- Datenbanksystem

- einfache Anbindung durch den Communications Manager sowie den LAN Server im Netz (der Ethernet unterstützt).

Für Windows NT sind diese Connectivity-Brücken (noch) nicht geschlagen - ähnliches gilt abgeschwächt für Unix. Dort käme vielleicht IBMs AIX in Frage, doch mangelt es AIX an der Fähigkeit, Windows-Programme ablaufen zu lassen, eine Forderung der Endbenutzer.

Ein Szenario für eine NT-Lösung

Eine Firma hat im fraglichen Unternehmensbereich mehrere Micro-VAX installiert.

Die Mitarbeiter im kommerziellen Bereich arbeiten mit PCs, die via PCSA mit den VAXen verbunden sind. Im Ingenieurbereich sollen in Zukunft die neuen "RISC-PCs" von Digital Equipment wegen ihres guten Preis-Leistungs-Verhältnisses eingesetzt werden. Es ist dem Unternehmen mitgeteilt worden, daß die verwendete CAD-Software auf NT portiert wird. Deshalb kann eine NT-Lösung angedacht werden. Der Vorteil einer solchen Lösung besteht darin, daß die Ingenieure in die Bürolösung der kommerziell orientierten Mitarbeiter eingebunden werden können.

Da Microsoft speziell angepaßte PC-Client-Software für DECs All-in-l anbieten wird, ergibt sich hier eine interessante Zukunftsperspektive für den zunehmenden Einsatz von NT auf Workstations, in enger Koppelung mit den DEC-Systemen.

Ein Szenario für eine Unix-Lösung

Ein Unternehmen mittlerer Größe hat keine Mainframes oder Minicomputer im Einsatz das PC-Netz (Ethernet) besteht allerdings aus zirka 30 Servern und 150 angeschlossenen PCs. Die Firma ist im Anlagenbau tätig und muß sich ständig den wechselnden Projektgrößen und der internationalen Auftragslage anpassen. Aus diesem Grund werden sehr oft für wenige Monate einige Desktop-Maschinen gemietet beziehungsweise geleast, um temporär existierende Arbeitsteams damit zu bestücken. Die Unix-Lösung hat den Vorteil, daß man sehr kurzfristig Maschinen bekommt, die von vornherein mit Ethernet-Anschluß und passender Unix-Software ausgestattet sind. Die Vernetzung von Unix-Maschinen unterschiedlicher Hersteller ist relativ ausgereift - daher der Zuschlag für eine heterogene Systemwelt in Unix.

Die richtige Lösung ist also immer eine individuelle Lösung. Wenn man eine ganz grobe Faustregel, die mit Vorsicht zu genießen ist, braucht, dann gilt:

- OS/2 im Umfeld eines IBM-Hosts

- NT im Umfeld eines DEC-Hosts und

- Unix im Umfeld ohne Host.

Die Gefahr an solchen Regeln ist, daß man die Wirklichkeit mißachtet. Was tut zum Beispiel eine Firma, die sowohl IBM- als auch DEC-Mainframes im Einsatz hat? Diese Frage ist sicherlich an eine Beratungsfirma zu stellen, sie sprengt den Rahmen dieses Beitrags.

Für alle Hersteller von Desktop-Betriebssystemen gilt jedoch, was Jim Groff von Apple kürzlich sagte: "Wenn man im Betriebssystem-Markt Erfolg haben will, muß man einen sanften Migrationspfad und die Möglichkeit bieten, bestehende Anwendungen zu fahren." Die IBM hat diese Lektion anhand von OS/2 offenbar gelernt.