Smart Metering

Sicher messen, sicher schalten

06.08.2021
Von 
Dr. Jörg Ritter studierte Informatik an der Universität Oldenburg. Danach arbeitete er als Software-Ingenieur und Bereichsleiter bei der IDS Prof. Scheer GmbH. Ab 1995 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oldenburger Informatikinstitut OFFIS. 2000 erfolgte die Promotion im Fachbereich Informatik. Bis 2004 war Dr. Ritter am Aufbau der OSC-IM Systems AG beteiligt, die Mitte 2004 von der BTC Business Technology Consulting AG erworben wurde. Dr. Ritter verantwortet seit 2005 als Vorstand bei der BTC den Vertrieb und die Unternehmensentwicklung.
Smart Metering - beziehungsweise der Smart Meter Rollout kommt endlich in Schwung. Lesen Sie, was die intelligenten Messsysteme für Anbieter und Kunden bedeuten und warum die Energiewende jetzt neue Geschäftsmodelle ermöglicht.
Das Messtellenbetreibergesetz sieht vor: Bis 2032 sollen alle verbauten, analogen Stromzähler durch digitale Pendants ersetzt werden.
Das Messtellenbetreibergesetz sieht vor: Bis 2032 sollen alle verbauten, analogen Stromzähler durch digitale Pendants ersetzt werden.
Foto: Pi-Lens - shutterstock.com

Manche Dinge dauern etwas länger. Manche so lang, dass man schon nicht mehr daran glauben mag. Ein Beispiel ist die Einführung von intelligenten Messsystemen. Diese bestehen aus einem elektronischen Zähler (genauer: moderne Messeinrichtung), der den Energieverbrauch misst und einem Smart Meter Gateway, der diese Werte an den Stromversorger übermittelt. Darüber hinaus können die Gateways Steuersignale an dezentrale Systeme (CLS, Controllable Local System) übermitteln, um Erzeuger und Verbraucher zu schalten. Die EU-Verordnung, die zumindest das Messen verpflichtend macht, stammt von 2009. Bis 2020, so damals das eigentlich gar nicht so ambitionierte Ziel, sollten in den EU-Ländern 80 Prozent der Zähler smart sein.

Während Länder wie Italien oder Schweden zügig aktiv wurden und heute überwiegend smarte Zähler einsetzen, passierte in Deutschland wenig. Wie viele intelligente Messsysteme in Deutschland Dienst tun, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Vermutlich sind es aber nur einige 10.000.

Smart Metering - noch nicht kostendeckend

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der deutsche Weg der Umsetzung ist ein Energiewende-orientierter Weg, der von Anfang an mehr als das reine Fernauslesen von Verbrauchsdaten umfasste (wie in Italien oder Schweden) und eine weitreichendere, qualitativ hochwertige Gesamtarchitektur zum Ziel hatte. Datenschutz und Cyber-Security - von DSGVO bis zur Manipulationssicherheit und dem Schutz vor Eingriffen in das Energienetz - waren dabei wichtige Designgrundsätze dieser Architektur. Dieser Weg war leider nicht sehr gradlinig und fand seinen Höhepunkt in der Bedingung, dass der verpflichtende Roll-Out erst stattfinden musste, als mindestens drei zertifizierte Smart Meter auf dem Markt waren. Keine schlechte Idee eigentlich, denn so entsteht keine Abhängigkeit von einem Anbieter. Tatsächlich hat es aber so bis Anfang 2020 gedauert. Seitdem kommen fortlaufend neue Anbieter hinzu.

Bezüglich der Verpflichtung zum Austausch der Messstellen sind jedoch aktuell bereits einige Gerichtsverfahren anhängig. So hat das Oberverwaltungsgericht NRW im März 2021 auf die Beschwerde eines privaten Unternehmens, das auch andere Messsysteme vertreibt, entschieden, dass vorläufig auch andere Messsysteme eingebaut werden dürfen. Ein weiterer Grund für die Verzögerung ist, dass es die Netzbetreiber gar nicht eilig haben, Smart Meter einzuführen. Denn sie müssen diese bezahlen. Was nicht ganz stimmt, denn über die Netzentgelte zahlen am Ende doch die Stromverbraucher den Smart Meter. Allerdings nicht komplett, denn die Kosten, die der Netzbetreiber dem Kunden in Rechnung stellen darf, sind gedeckelt und betragen je nach Verbrauch zwischen 30 Euro pro Jahr für kleine Verbraucher und 200 Euro für große, wobei der Durchschnitt bei 110 Euro pro Jahr liegt. Das ist angeblich zu wenig, um kostendeckend zu sein, wie die Netzbetreiber klagen. Doch das dürfte sich ändern, denn mit der Massenfertigung der Smart Meter werden diese deutlich billiger.

Auch die Kunden sind nicht durchweg begeistert, denn sie wollen natürlich eine Gegenleistung, zum Beispiel Einsparungen an anderer Stelle. So stand von Anfang an im EU-Gesetz, dass die Stromanbieter dynamische Tarife anbieten sollen. Die Urform ist der Nachtstrom, mit dem man günstig Nachtspeicherheizungen laden kann. Doch wirklich dynamisch war das bisher nicht. Vielmehr sollen dynamische Tarife helfen, die Stabilität des Netzes auch dann noch zu gewährleisten, wenn an windigen Tagen Unmengen an Windstrom ins Netz gelangen oder bei Regenwetter Solaranlagen keinen Strom einspeisen. Durch geschickte Preisanreize für den Kunden bis hin zu intelligenten Steuerungen von Erzeugern und Verbrauchern können beide ausbalanciert und auch der Eigenverbrauch optimiert werden. Der Kunde erhält dann über sein Smart Meter Tarifanreize, etwa indem er sein Elektroauto dann lädt, wenn viel billiger Strom im Netz ist. Hinzu kommt, dass heute immer mehr Stromverbraucher auch Strom von ihrer Photovoltaikanlage einspeisen. All das will verwaltet, gemessen und geschaltet werden.

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Smart Meter, CLS und IoT

Die zu steuernden dezentralen Anlagen werden entweder direkt an den Smart Meter oder über eine kleine Steuerbox angebunden. Ebenso kann der Smart Meter mit einfachen Zusatzelementen um verschiedene Mehrwerte ergänzt werden. Der Zugriff auf die CLS-Einheiten ist dabei über die BSI-zertifizierte Infrastruktur (Download) gesichert und nur den berechtigten Akteuren, wie dem Netzbetreiber oder dem Stromlieferanten, vorbehalten. Das CLS-Management wird entscheidend sein für neue IoT-basierte Geschäftsprozesse auf der sicheren Smart-Meter-Infrastruktur. Darüber hinaus spielt es auch bei der zunehmenden Sektorenkoppelung eine wichtige Rolle. Der Charme ist, dass der Kunde auch andere Dienstleistungen nutzen kann. Services reichen von der Geräteüberwachung, um Wasserschäden zu verhindern, über Fensterkontrollen, wenn ein Unwetter angesagt ist, bis hin zur Alarmierung eines Notarztes, wenn die Seniorin nicht wie üblich morgens um 8 Uhr den Rollladen hochgefahren hat.

In der Praxis wird es noch dauern, bis solche Dienstleistungen flächendeckend bei den Kunden ankommen. Zum einen sind derzeit überhaupt nur elf Prozent aller Messstellen verpflichtet, auf ein Smart Meter umzustellen, hauptsächlich solche, die mehr als 6.000 Kilowattstunden pro Jahr verbrauchen, womit nicht alle Privathaushalte umgestellt werden. Trotzdem können die Netzbetreiber freiwillig auch weitere Kunden versorgen, wenn sie sich davon einen Mehrwert für sich oder ihre Kunden versprechen.

Was dann noch fehlt, sind Geschäftsmodelle, wie man die Möglichkeiten der Smart Meter nutzen kann. Wo sie bereits im Einsatz sind, liefern sie Verbrauchswerte etwa beim Wechsel des Stromanbieters oder bei Umzug. Dynamische Tarife muss zukünftig jeder Stromlieferant seinen Kunden anbieten, diese sind aber noch nicht weit verbreitet. Auch hochfrequente Messdaten sind verfügbar, bedürfen aber noch den richtigen Geschäftsmodellen. Sollten diese bis zur Abschaltung der Atomkraftwerke nicht umgesetzt werden, wird es schwierig, die volatile Erzeugung aus erneuerbaren Energien, zunehmende Elektromobilität und Steigerung des Eigenverbrauchs zur CO2-Reduktion auch wirtschaftlich für die Prosumer zu belohnen. Damit würden Anreize für Dezentralität und Flexibilität fehlen und der Erfolg der Energiewende auf dem Spiel stehen.

Smart Metering - Anwendungen

So düster, wie es klingt, ist die Lage allerdings nicht. Die zuständigen Messstellenbetreiber und Gateway-Administratoren, die Unternehmen, die für den Betrieb der Smart Meter zuständig sind, berichten, dass in den letzten Monaten die Zahl der Smart Meter stark angestiegen sei. 2021 dürfte also das Jahr sein, wo Smart Meter in Deutschland den Durchbruch schaffen werden.

Und es gibt durchaus heute schon Anwendungen für Smart Meter. In den Startlöchern sitzen die Wohnungsgesellschaften, die viele Immobilien verwalten. Sie dürfen ab 2021 den Messstellenbetreiber frei wählen. Dort lohnen sich Smart Meter schon für das Submetering, zum Beispiel für die Abrechnung und den Mieterwechsel in den einzelnen Wohneinheiten. Über das automatische Auslesen des Verbrauchs können die Immobilienverwalter zum Beispiel feststellen, wenn in einer eigentlich nicht vermieteten Wohnung dennoch Strom verbraucht wird. Für die Wohnungswirtschaft und Stadtwerke eröffnet sich hier ein interessantes Geschäftsfeld, sie könnten als Messstellenbetreiber auftreten und ihren Kunden Services auf Basis des Smart Metering anbieten. Die im Dezember 2018 in Kraft getretene EU-Energieeffizienzrichtlinie schreibt ab 2020 sowieso die Fernablesbarkeit von Zählern für die verbrauchsabhängige Abrechnung über eine sichere Infrastruktur vor. Da liegt es nahe, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und gleich alles über einen Smart Meter zu organisieren.

Übrigens nicht nur für Strom. Denn Submetering eignet sich genauso zur Verbrauchsmessung von Gas, Wasser oder Wärme. Schon einfache Dienstleistungen hätten großes Einsparpotenzial. So bräuchten die Vermieter und Energielieferanten kein Personal mehr zum Ablesen der Zähler. Und die Mieter müssten nicht an einem bestimmten Termin zuhause sein und fremde Personen in das Haus oder die Wohnung lassen. Aber es gibt noch weitere Potenziale für den Smart Meter: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat gerade das "Stufenmodell zur Weiterentwicklung der Standards für die Digitalisierung der Energiewende" vorgelegt, das der Sektorkopplung von Strom, Wärme und Verkehr große Bedeutung einräumt. (bw)