"Sich antizyklisch zu verhalten ist leichter gesagt als getan"

02.11.2001
Prof. Dr. Dr. h. c. August-Wilhelm Scheer Universität des Saarlandes

CW: Sollen die Firmen auch im IT-Bereich sparen - oder hier eher investieren?

Scheer: Natürlich ist es wünschenswert, wenn Firmen sich antizyklisch verhalten und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten rationalisieren sowie in Kundenbeziehungen investieren. Das ist aber leichter gesagt als getan. Der Druck auf der Kostenseite ist nun einmal da - und daher müssen die DV-Abteilungen ebenfalls sparen. Aber das geht auch, ohne an Effizienz zu verlieren. Dazu reicht es häufig, nur diejenigen Projekte weiterzuverfolgen, die dem Unternehmen einen echten Nutzen bringen. So sind in den letzten zwei Jahren durch den Internet-Hype eine Reihe von Initiativen gestartet worden, zum Beispiel Marktplätze, die nicht den erhofften Erfolg gebracht haben. Hier kann man sein Engagement problemlos verringern.

CW: Worauf sollte der Fokus liegen: schneller Return on Investment oder die Verfolgung der langfristigen Strategie - auch wenn ein kurzfristiger Nutzen nicht zu erwarten ist?

Scheer: Wenn die Zeiten härter werden, dann rückt die kurzfristige Betrachtung in den Vordergrund, also die Frage: Wo kann man schnell Kosten senken? Wenn man das klug macht, schadet es nichts. Nice-to-have-Projekte, die keinen direkten Einfluss auf die Produktivität haben, kann man auch mal ein Jahr schieben. Allerdings darf man die langfristige Entwicklung nicht aus dem Auge verlieren. Ein Unternehmen muss sich strategisch weiterentwickeln, und hierzu gehört es, notwendige Internet-Projekte voranzutreiben. Man darf nicht den Anschluss an den Wettbewerb verlieren. Das wäre gefährlich.

CW: Sie würden E-Business-Projekte also nicht generell verschieben oder gar ganz stoppen wollen?

Scheer: Auf keinen Fall. E-Business wird kommen. Wir erleben nur eine Verschnaufpause. Das Thema hat sich nicht so schnell entwickelt, wie es von manchen erwartet worden ist. Daher wird in vielen Unternehmen die dazu aufgebaute IT-Infrastruktur nicht genügend genutzt, und das sorgt für Ernüchterung. Aber die Durchdringung mit Internet-Technologien wird sich erhöhen, und wir werden über kurz oder lang auch wieder einen neuen Schub für Internet-gestützte Anwendungen erleben. Die Firmen müssen also aufpassen, dass sie jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern bei der zweiten Welle dabei sind. Ich denke, dass spätestens Mitte nächsten Jahres das Thema wieder Fahrt gewinnt.

CW: Welche Kriterien sollten die Unternehmen anlegen, um ihre E-Business-Aktivitäten zu überprüfen?

Scheer: Ein Selbstläufer ist E-Procurement. Dadurch lassen sich sofort Kosten sparen. Bei Marktplätzen, öffentlichen wie privaten, ist die Sache komplizierter. Hier muss zum Beispiel auf bestehende Vertriebswege Rücksicht genommen werden. Die Unternehmen müssen in diesem Bereich noch experimentieren und dürfen nicht sofort Profitabilität erwarten.

CW: Sehen Sie auch andere Hype-Themen so optimistisch, zum Beispiel Supply-Chain-Management (SCM) oder Knowledge-Management (KM)?

Scheer: Gerade im SCM wird zurzeit kräftig investiert. Die Unternehmen versuchen, sich das darin liegende Rationalisierungspotenzial zunutze zu machen, und treiben diese Projekte weiter. Das ist auch nicht so spekulativ wie E-Business. KM ist ein eher weiches Thema, aber viele große Unternehmen investieren in E-Learning, weil Mitarbeiterschulung immer wichtiger wird und hier durch die bislang nötigen Reisen hohe Kosten entstehen. Daher laufen solche Projekte weiter - aber nicht mehr so visionär wie vor ein paar Jahren, sondern abgespeckt mit einem klaren Ziel. Wenn sich Einsparungen nachweisen lassen, zum Beispiel bei Reisekosten, wird das gemacht.

CW: Haben Sie noch einen Tipp, wo man erfahrungsgemäß in der IT selbst sparen kann?

Scheer: Das sind häufig einfache Dinge. Wartungsverträge sind ein gutes Beispiel. Häufig wird noch Wartung für Geräte bezahlt, die gar nicht mehr benutzt werden. Ein IT-Leiter kann sicher in vielen Bereichen solche unnützen Ausgaben finden. Patentrezepte von Beratern wie Outsourcing würde ich dagegen mit Vorsicht genießen. Das sind Entscheidungen, die langfristige Auswirkungen auf das Unternehmen haben. Sie sollten nicht kurzfristig als Reaktion auf den Kostendruck getroffen werden. Außerdem greifen die Kosteneinsparungen erst mittel- bis langfristig.