Industriestandard und Softwarealternativen locken Großanwender ins Lager des Marktführers:

Shell und BAT verlassen Nicht-IBM-Mainframer

11.03.1983

MÜNCHEN - Immer mehr Kunden der "Nicht-IBM-Kompatiblen" rüsten zum Aufbruch ins Lager des Marktführers. Renommierte Konvertiten, so die Shell AG und die BAT Cigaretten-Fabriken GmbH, bisher Univac- beziehungsweise Honeywell-Anwender, scheuen weder Millionenaufwand noch Know-how-Verlust bei der Systemumstellung. Der Markt für Standardsoftware in der Nicht-IBM-Welt ist nach Ansicht von Fachleuten zu eng, um den zunehmenden Programmbedarf zu decken. Hinzu komme die Angst der Großkunden, bei "unabhängigen" Anbietern wie Univac, Honeywell Bull oder ICL langfristig von der technologischen Entwicklung auf dem Jumbosektor abgeschnitten zu sein.

Marktbeobachter sagen harte Zeiten für die Nicht-IBM-Anbieter voraus: Das Neugeschäft der "BUNCH" (englisch: Horde - hier für Burroughs, Univac, NCR, Control Data und Honeywell) stagniere, die Altkundenbasis beginne zu wackeln. Jüngstes Beispiel ist die Hamburger Shell AG, die jetzt endgültig entschieden hat, ihr Univac-System 1100/82 durch einen IBM-Prozessor 3083 E zu ersetzen. Eine Studie, die den Umstellungsaufwand ermitteln sollte, wurde von der Münchner Cap Gemini GmbH erstellt.

Das süddeutsche DV-Beratungsunternehmen ist überhaupt sehr aktiv im Replacement-Business. So werden derzeit mit Gemini-Hilfe Systemwechsel bei der Preussischen Elektrizitäts AG (Preußenelektra) in Hannover (bisher ICL-System 2960) und der Hamburger BAT Cigaretten-Fabriken GmbH (Honeywell 66/40) abgewickelt. Aber auch andere Großkunden der Nicht IBM-Anbieter, wie die Hermes Kreditversicherung in Hamburg (Siemens 7.700 und BS1000) und die Dortmunder Union - Schultheiß Brauerei AG Moneywell-Alt-user), machen für einen Wechsel zu Big Blue mobil. Das Rechnenzentrum der Universität Braunschweig stellte bereits vor einigen Monaten von zwei ICL-Rechnern auf zwei 4341-Prozessoren um. Ein Abweichler auch die Württembergische Feuerversicherung in Stuttgart: Sie wechselte von Honeywell-Equipment zur IBM 3081. Von anderen Unternehmen, wie der Dresdner Bank und dem Otto-Versand, wird berichtet, daß sie gegenwärtig einen möglicher Wechsel untersuchten.

So berichten denn auch Unternehmensberater, die sich dem lukrativen Umstellungsgeschäft verschrieben haben, daß in den letzten Monaten eine Lawine losgetreten wurde. Erklärt Klaus Schenk, Bereichsleiter bei ADV/Orga in Wiesbaden und verantwortlich für Systemwechselberatungen in seinem Hause: "Die Umsteiger treffen mehr eine strategische denn eine wirtschaftliche Entscheidung." Sie fürchteten, so der ADV/Orga-Mann, künftig ein "technologisches Mauerblümchendasein" zu führen. Diese Angst sei laut Schenk entstanden, als die Stuttgarter für ihre Jumbos die "Erweiterte Architektur" (XA-Extended Architecture) ankündigten.

Softwaremarkt für BUNCH-User zu eng

Auch Berater der Hamburger SCS GmbH wollen Wechselgelüste bei BUNCH-Anwendern ausgemacht haben. Hierbei rückten vor allem Überlegungen in den Vordergrund, von teurer Individualsoftware wegzukommen und verstärkt Standardprogramme einzusetzen. Diese aber stünden für die Maschinen der Nicht-IBM-Kompatiblen nur in unzureichendem Maße zur Verfügung.

Cap-Gemini-Manager wollen zwar weitere Replacement-Kandidaten aus ihrer Klientel nicht nennen, bestätigen aber, daß auch hierzulande das Wechselfieber grassiere. Die Münchner sprechen in diesem Zusammenhang von rund 800 Umstellungen, die Cap Gemini in den letzten Jahren weltweit durchgeführt habe. Für viele Umsteiger habe sich herausgestellt, bekräftigt der deutsche Gemini-Boß, Klaus Fekete, daß die Umstellung letztlich immer noch billiger sei als die langfristige Bindung an einen Mainframe-Exoten. Untersuchungen bei größeren Benutzern hätten ergeben, daß allein bei den Hardwarekosten jährlich bis zu vier Millionen Mark durch den Einsatz von IBM- oder PCM-Maschinen eingespart werden könnten. Das Preis-/Leistungsverhältnis, so Fekete, habe sich vor allem durch die Neuankündigung des Marktführers im Bereich der Systeme 43XX und 308X erheblich zuungunsten von Univac, Honeywell & Co. verschoben. Zudem sei die Möglichkeit, steckerkompatible Prozessoren oder Peripherie zu kaufen, in der IBM-Welt erheblich größer. Auch die Personalbeschaffung stelle durch das größere Angebot nur ein untergeordnetes Problem dar.

Daß die traditionellen Mainframer in den letzten Jahren bereits empfindliche Absatzschlappen einstecken mußten, unterstreichen Erhebungen amerikanischer Marktforscher. Demnach hat sich der Marktanteil der BUNCH-Vertreter in den vergangenen Jahren drastisch verringert. Hielten die Nicht-Kompatiblen 1977 noch 29 Prozent des Großrechnermarktes, so ging dieser Anteil bis heute auf elf Prozent zurück. Lagen im Vergleich dazu die PCM-Anbieter vor sechs Jahren erst bei zwei Prozent, so konnten Amdahl & Co. ihren Marktanteil mittlerweile auf zwölf Prozent schrauben.

Was NCR-Manager Wolfgang Roemer für sein Haus ausführt, gilt sinngemäß wohl auch für die anderen IBM-Konkurrenten: "Unser Mainframe-Engagement liegt primär nicht im Ablösegeschäft, wir wollen vor allem unseren vorhandenen Kundenstamm halten." Doch diese Kundenbasis wird neuerdings auch von den PCMs, den "Plug Compatible Manufacturers" attackiert, die diesen Markt bislang vernachlässigten. Zwar rennen die Steckerkompatiblen in diesem Segment keineswegs offene Türen ein, doch was sich der DV-Chef der Shell AG, Reinhold Schmandt, von einem Systemwechsel versprochen hatte ("Wir wollen am Industriestandard IBM teilhaben"), glauben die PCMs Umsteigern gleichfalls bieten zu können.

Überlebenschancen eingeengt

Den Shell-Managern schwebt aber nicht nur eine normierte IBM-Welt vor. Nach den Worten Schmandts waren für die Neuorientierung zunächst wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend. Sein Unternehmen könne es sich kaum noch erlauben, umfangreiche Individualsoftware zu erstellen. Bei wachsenden Benutzeranforderungen sei man darauf angewiesen, Programme einzukaufen. Durch die größere Installationsbasis bei IBM-Maschinen ließe sich ein wesentlich breiteres Angebot von "unabhängigen" Softwarehäusern einholen.

Wulf Upmeier, DV-Leiter der BAT Cigaretten-Fabriken, führt als weiteren Grund für seinen Wechsel zu IBM die größeren Möglichkeiten im Tool- und Methodenbereich an. Auch zusätzliche Alternativen im Mixed-Hardware-Markt, die er bei seinem bisherigen Lieferanten Honeywell Bull vermißte, hätten seine Pro-IBM-Entscheidung beeinflußt.

Der DV-Manager von Preußenelektra, Siegfried Heinzel, sieht für die europäischen Mainframer nur geringe Chancen, im Jumbogeschäft zu überleben. Der Vorsprung amerikanischer und japanischer DV-Technik gegenüber europäischen Produkten habe sich stetig vergrößert. Der Hannoveraner bedauert, daß mit dem Niedergang renommierter Großrechneranbieter gute Konzepte verlorengehen würden. Die Konkurrenzsituation unter den Mainframern habe in der Vergangenheit dazu geführt, daß die Entwicklung in der Datenverarbeitung entscheidend vorangetrieben wurde. Eine noch größere IBM-Welt führe zu einer Einengung des Wettbewerbs. Andererseits würden Entwicklungen in einer "standardisierten DV-Landschaft", so Heinzel, für den DV-Entscheider überschaubarer.

BUNCH-Service ist besser

Der Entschluß, von einem hilfsbereiten Exoten ins IBM-Lager zu wechseln, fällt manchem Benutzer nicht leicht. Konstatiert der Leiter des Rechenzentrums der Universität Braunschweig, Dr. Georg Bayer, der jüngst der Nürnberger ICL den Rücken kehrte: "Bei den traditionellen Mainframern wird man tendenziell besser bedient, bei der IBM ist der Anwender hingegen nur eine Nummer." Außerdem seien die "alternativen Hersteller" in verschiedenen Anwendungsnischen flexibler als der Marktführer und würden zudem einen intensiveren Service bieten.

Die individuellere Bedienung lobt auch Shell-DV-Chef Schmandt. Dennoch schränkt der Hamburger ein: "Dieser Sonderstatus ist in den letzten Jahren abgebaut worden; für Extraleistungen wird heute - anders als früher - kräftig die Hand aufgehalten."