SharePoint Server – das Potenzial liegt oft brach

21.07.2009
Von Christophe Campana
Der Microsoft Office SharePoint Server (MOSS) ist durch die Hintertür in viele Unternehmen gelangt. Genutzt wird die Plattform für Informationsverarbeitungsprozesse aber meist nur rudimentär. Hier einige Einsatzszenarien.

Die Automatisierung von Geschäftsprozessen schreitet unaufhörlich voran: Begann sie einst im Bereich der Produktfertigung und wurde Mitte der 80er Jahre über ERP-Systeme in die Büros gebracht, so ist sie heute auf den Schreibtischen der Information Worker angekommen. Auch wenn sich Geschäftsprozesse im Office-Bereich, also die "Prozesse zwischen den Schreibtischen", bei weitem nicht so standardisieren lassen, dass sie zum Beispiel durch klassische ERP-Systeme voll automatisiert werden könnten, so verändern neue Techniken die Zusammenarbeit doch grundlegend. Moderne Kommunikations-Plattformen können Medienbrüche, die heute noch die Effizienz beeinträchtigen, überbrücken.

Ein Beispiel: Geschäftsdaten aus betriebswirtschaftlichen Systemen werden manuell in ein Word-Formular übertragen und dann per E-Mail an andere Mitarbeiter weitergeleitet. Im Anschluss an eine mehrstufige Abstimmung und Bearbeitung erfolgt eine erneute manuelle Übertragung der konsolidierten Ergebnisse in eine SAP-Maske. Auch wenn man an Teamabstimmungen, arbeitsteilige Dokumentenerstellung und Berichterzeugung, Anträge oder Genehmigungen, Prüfungen und Freigaben denkt: Immer müssen viel Zeit und Nerven aufgebracht werden.

Die fehlende adäquate IT-Unterstützung führte in der Vergangenheit dazu, dass in vielen Unternehmen zahlreiche isolierte Kleinstapplikationen, häufig Individualentwicklungen, anzutreffen sind und von Abteilung zu Abteilung eigentlich gleiche Arbeitsabläufe sehr unterschiedlich ausgeführt werden. Das Ergebnis: fehlende Prozess- und Datenintegrität, hohe Transaktions- und IT-Kosten, hinzu kommen Probleme bei Betrieb, Wartung und Migration. Hier gibt es reichlich Potenzial, das Microsoft mit seiner SharePoint-Technik heben will.

Microsoft ködert mit SharePoint

SharePoint als Technik ist nicht neu. Microsoft hat mit dem Microsoft Office SharePoint Server 2007 (MOSS) bereits die dritte Version auf dem Markt. Neu ist, dass mit diesem Release erstmals von einer umfassenden Technologieplattform gesprochen werden kann. Zielten die beiden ersten Versionen überwiegend auf eine Web-basierende Dokumentenablage als Alternative zum File-Laufwerk, so stehen heute weitreichende Funktionen bereit, mit denen strukturierte und unstrukturierte Informationsverarbeitungsprozesse unterstützt werden können.

Campana & Schott hat im Rahmen einer Kundenanalyse in diesem Jahr festgestellt, dass hochgerechnet in rund 70 Prozent der Großunternehmen MOSS bereits vorhanden und häufig auch im produktiven Einsatz ist. Ein Grund hierfür ist sicher die geschickte Vermarktungsstrategie von Microsoft. Der "kleine Bruder" des MOSS, die Windows SharePoint Services (WSS) 3.0, ist über den Windows Server bereits mit lizenziert. Die Anschaffungskosten gehen also – zumindest was den Cashflow betrifft – zunächst gegen null. In vielen Unternehmen werden daher lokale Anwenderversuche gefördert oder zumindest toleriert. Die einfache Konfigurierbarkeit sowie der bereits mit den WSS erzielbare Nutzen für Teams oder Abteilungen im Rahmen der Zusammenarbeit wecken schnell Begehrlichkeiten nach mehr.

Dabei bemerken die Benutzer aber bald, dass den WSS für einen weiterreichenden Einsatz Plattformeigenschaften wie professionelle Administrierbarkeit und Usability fehlen. Der Köder wirkt, und die Unternehmen entscheiden sich für die Nutzung (und kostenpflichtige Lizenznahme) von MOSS. Erstaunlich dabei: Die anschließend realisierte Anwendungstiefe und -breite deckt nur einen geringen Teil dessen ab, was eigentlich mit der SharePoint-Technik möglich ist. Das Potenzial wird oft noch nicht einmal im Ansatz ausgeschöpft. Die Benutzer beschränken sich weiterhin fast ausschließlich auf Altbekanntes wie den Web-basierenden Dokumentenaustausch. Unbeachtet bleiben sehr oft die Möglichkeiten, sich aus Word, Excel & Co. heraus mit SharePoint in verschiedensten Business-Applikationen zu organisieren. Auch die Marktexperten von Microsoft selbst haben diesen Bereich lange vernachlässigt.

SharePoint ist zu einer Plattform gereift, mit der sich Applikationen für sämtliche Organisationsbereiche bereitstellen lassen. Überall dort, wo gemeinsame Informations- und Dokumentenbearbeitung (Kollaboration) sowie Beantragungs- und Freigabeprozesse IT-seitig unterstützt werden sollen, lohnt sich die Frage: Wie können die Prozesse noch effizienter gestaltet und Medienbrüche weiter reduziert werden? Die folgenden Beispiele sollen zeigen, wie allein durch die Anpassung und Umsetzung von reinen SharePoint-Standardfunktionen echte Geschäftsapplikationen entstehen.

Tipps zum MOSS-Einsatz

  • Formulieren Sie eine eigene SharePoint-Vision, durchdenken Sie die Strukturen und verhindern Sie Informationssilos.

  • Die ersten MOSS-Anwendungen: Beginnen Sie mit bereits dokumentierten, zumindest aber schon gelebten Prozessen.

  • Auch wenn sich MOSS sehr für Rapid Prototyping eignet, ein Mindestmaß an fachlicher Konzeption ist erforderlich.

  • Richtwert: Übersteigt der geplante Programmieraufwand 30 Prozent des gesamten Realisierungsaufwands, ist die technische Konzeption kritisch zu hinterfragen (MOSS-Anwendungen basieren primär auf Anpassungen, weniger auf Individualentwicklung in .NET, C# etc.).

  • Unterschätzen Sie nicht das Management of Change: MOSS verändert die Arbeitsweise Ihrer Mitarbeiter (die Einführung einer SharePoint-Lösung ist nicht mit der technischen Bereitstellung zu Ende!).

Automatisierte Verträge mit Office Business Applications (OBA)

Beantragungs- und Freigabeprozesse im Office-Bereich folgen meist einem ähnlichen Muster: Nach telefonischen Vorabstimmungen wird der zu beantragende Inhalt, zumu uBeispiel eine Stellenplanung, als Excel-Formular per E-Mail zur Freigabe an die entsprechend Zuständigen geleitet. Um eine Übersicht über sämtliche Anträge zu erlangen, werden die wichtigsten Daten aller Einzelanträge manuell in eine zentrale Excel-Datei überführt. Nach Freigabe des einzelnen Antrags werden die Daten in ein Word-Dokument eingefügt, ausgedruckt und unterschrieben. Nicht selten werden Teile dieser Daten anschließend wieder digitalisiert und in ein ERP-System übertragen.

Klingt umständlich – und ist es auch. Dennoch existieren solche Prozesse in allen Unternehmen und sämtlichen Unternehmensteilen. Ein Beispiel aus dem Bereich Human Resources (HR) zeigt, wie es effizienter ablaufen kann: Die Vertragsdefinition, -beantragung und Freigabe werden durch Web-basierende Formulare auf Basis von InfoPath abgewickelt. Bewerberstammdaten wie Name und Adresse müssen dabei nicht manuell aus einer Bewerberdatenbank übernommen werden, sondern sind direkt im Formular enthalten. Alle Formulare werden in einer zentralen SharePoint-Bibliothek gespeichert. Übersichten etwa über die die Anzahl der freigegebenen Verträge oder zur durchschnittlichen Gehaltshöhe je Vertragstyp sind per Knopfdruck verfügbar. Nach erfolgter Vertragsvergabe wird mittels Workflow automatisiert ein Word-Dokument erstellt, das die relevanten Bewerber- und Vertragsdaten im Vertragstext enthält. Ein manueller Übertrag ist somit nicht mehr notwendig.

Einsatz von OBA

Einsatzmöglichkeiten:

  • Semistrukturierte Beantragungs- und Freigabeprozesse wie Projektanträge, IT-Demands, Standortzutrittsberechtigungen;

  • den ERP-Systemen vorgelagerte Informationsverarbeitungsprozesse, zum Beispiel Mitarbeiterstammdaten- und Skill-Verwaltung, Bestellanforderungen, Rechnungsfreigabe;

  • Excel- und Word-Formulare, die heute per E-Mail-Attachments für Beantragungen und Freigaben versendet werden.

Vorteile:

  • Bekannte Oberfläche und Umgebung für Endbenutzer (Office und Browser/Web);

  • Reduzierung von Medienbrüchen in der Office-Welt;

  • Senkung manueller Aufwände für Aggregation und Auswertung der Daten.

Teamarbeitsbereiche bereitstellen

Projektteams arbeiten heute überwiegend standort- und organisationsübergreifend. Um ihnen eine effiziente Kooperation zu ermöglichen, ist es Aufgabe der IT, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen: einen zentralen, standortunabhängig erreichbaren Projektarbeitsplatz, der Funktionen für ein modernes Dokumenten-Management ebenso liefert wie für die Aufgaben- und Terminverwaltung.

Ein Beispiel aus dem Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) zeigt den zukünftigen SharePoint-Arbeitsplatz. Früher wurden im Unternehmen die Entwicklungsprojekte über das File-Laufwerk bearbeitet. Das führte zu den typischen Problemen wie nicht standardisierten Strukturen, falschen Berechtigungen und fehlenden Versionierungen. Umständlich war das Ganze auch: Nach der Initiierungsphase – dem Vertragsabschluss mit dem Kunden – wurden alle Projektdaten auf DVD gebrannt und dem Team der Realisierungsphase übergeben. Dieses legte dann einen neuen Ordner auf dem File-Laufwerk an, übertrug dahin die DVD-Daten, und alles begann wieder von vorne.

Heute nutzt das Unternehmen für Forschungs- und Entwicklungsprojekte Teamarbeitsbereiche in SharePoint. Dies sind die Gründe:

Deutlich geringere Administrationsaufwände;

schnelle Anlage von Arbeitsbereichen durch jeden Mitarbeiter im Projekt möglich;

selbsterklärende Strukturen in einem ansprechenden Design;

• einheitliche Standards für das Dokumenten-, Aufgaben-, Issue- und Risiko-Management als Teil der Arbeitsbereiche (inklusive Versionierung);

• Arbeitsbereiche sind projektspezifisch erweiterbar und hochgradig skalierbar bei großen Datenmengen (zum Beispiel Engineering-Daten aus dem PDM);

• Abruf und Erstellung von Inhalten auch offline beziehungsweise ohne Netzzugang.

Wichtig für Teams

  • Eine eigene, einheitliche globale Navigation;

  • die automatische Registrierung aller Arbeitsbereiche in einer zentralen Liste;

  • eine eigene Site Collection pro Project Workspace für die Skalierbarkeit bei hohen Datenvolumen;

  • die automatisierte Anlage von Arbeitsbereichen mittels Workflow.

Unterstützung für das Ideen-Management

Um Veränderungen schneller ins Unternehmen oder Innovationen rascher auf den Markt zu bringen, muss das Ideenpotenzial aller Mitarbeiter berücksichtigt werden. Das bedeutet: Jeder Mitarbeiter muss die Möglichkeit haben, neue Ideen und Vorschläge im Unternehmen zu platzieren.

Ein Beispiel aus dem Bereich Unternehmensentwicklung oder Organisationsabteilung (betriebliches Vorschlagswesen beziehungsweise Ideen-Management) zeigt, wie SharePoint nicht nur die Erfassung, Bewertung und Weiterentwicklung von Ideen unterstützt. Zusammen mit Microsoft InfoPath ermöglicht die Plattform einen rollenbasierenden Prozess: Neue Ideen werden zunächst über einen Steckbrief (InfoPath) per Browser festgehalten. Kollegen, Gremien und Communities können dann diese Ideen Schritt für Schritt ergänzen, kommentieren und bewerten. Workflows für Vorgesetzte und Manager ermöglichen die Freigabe von Ideen, aus denen dann zum Schluss gesonderte Projekte entstehen.

Aktuelle Bedeutung gewinnt ein solches Vorgehen aus dem Ideen-Management bei der dezentralen Suche/Erfassung und zentralen Bewertung von Kostensparmaßnahmen. Mittelpunkt ist wiederum ein SharePoint-Workspace, über den die Eingabeformulare eingereicht werden und in dem abhängig von der jeweiligen Rolle die offenen Aufgaben beziehungsweise Informationen aufgelistet werden. Der besondere Mehrwert jedoch liegt in der Visualisierung durch Business-Intelligence-Komponenten.

BI-Komponenten

  • Mittels Performance Point und ohne Programmierung lassen sich Management-Cockpits realisieren;

  • Manager können über den Browser direkt auf Reports und Business-Intelligence-Funktionen zugreifen;

  • eine Pipeline überwacht den jeweiligen Reifegrad der einzelnen Ideen;

  • Gateway und Radar zeigen den Zustand des Portfolios an;

  • hierarchische Reports visualisieren Abhängigkeiten.

Ausblick: Einsatzpotenziale richtig erkennen

SharePoint bietet bislang unerkannte, von vielen Unternehmen noch nicht realisierte Potenziale in der Automatisierung von Unternehmensabläufen. Dabei wirken vier zentrale Anwendungsaspekte zusammen:

Funktionen für Dokumenten- und Content-Management;

Unterstützung von Projekt- und Arbeitsgruppen;

• Integration von Geschäftsdaten aus ERP-Systemen etwa von SAP;

• automatisierte Büroabläufe über Formulare und Workflows.

In der täglichen Nutzung werden Microsofts Office-Produkte und SharePoint verschmelzen. Gemeinsam mit dem Web-Browser werden Word, Excel und unternehmensspezifische Formulare zum zentralen User Interface beziehungsweise Frontend für Geschäftsanwendungen. Auch wenn die Oberfläche vielen Anwendern bekannt ist, das Arbeiten mit SharePoint bedingt Veränderungen. An diese werden sich die Benutzer aber schnell gewöhnen. Zum Beispiel wird das Denken in Ordnern und File-Strukturen bald der Vergangenheit angehören.

Unterschiedliche, häufig selbst organisierte Initiativen und Lösungen einzelner Abteilungen oder Mitarbeitergruppen werden dabei zu einer schnellen Evolution führen – manche dieser Anwendungen werden sich schlagartig verbreiten, andere warten vielleicht etwas länger auf ihren Durchbruch.

So realisieren viele kleine Schritte die große Vision einer gemeinsamen, einheitlichen Plattform für die Zusammenarbeit aller. Die Rolle der zentralen IT ist dabei primär die Bereitstellung der Plattform und ihrer Governance durch entsprechende SharePoint-Guidelines. Den Rest erledigen zum großen Teil die Anwender.

Die "Prozesse zwischen den Schreibtischen" werden dadurch für die Mitarbeiter deutlich schneller – und für die Unternehmen deutlich kostengünstiger. (ue)o

Das kann MOSS

• Collaboration: arbeitsteiliges Bearbeiten von Dokumenten, Aufgaben und Terminen;

• Content-Management: zentrales Verwalten und Bereitstellen von Informationen und Dokumenten;

• Enterprise Search: schnelles und einfaches Suchen beziehungsweise Finden von Informationen;

• Forms & Workflows: Modellierung und Automatisierung von Entscheidungs- und Geschäftsprozessen;

Business Intelligence: Bereitstellung von Kennzahlen, Analysefunktionen und (Management-)Berichten;

Portal: Zusammenführung aller Funktionen und Informationen in einer Browser-basierenden Oberfläche.

Was in Version 2007 fehlt

  • Web 2.0: Wikis, Ad-hoc-Surveys, Tagging und Rating haben noch nicht die sonst im Internet übliche Usability oder sind noch nicht verfügbar;

  • Offline-Verfügbarkeit: Basisfunktionalität wird zwar über Outlook bereitgestellt; für vollständige Offline-Fähigkeit sind aber noch Third-Party-Werkzeuge notwendig (Zusatzkosten!);

  • Geschäftsdatenintegration: bislang im Standard nur "read only" möglich.